Draghi stemmt sich gegen den Wirtschaftsabschwung Kein Ende des billigen EZB-Geldes in Sicht

Mario Draghi: EZB bleibt bei Niedrigzinspolitik Quelle: dpa

Weil die Konjunktur lahmt, Risiken lauern und die Banken wacklig bleiben, lockert die EZB ihre Geldpolitik abermals. Banken bekommen neue Sonderkredite – und das Ende des billigen Geldes rückt in weite Ferne.

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Die Wirtschaft der Eurozone hängt mehr denn je am Tropf der Europäischen Zentralbank. Deutlicher als erwartet reagiert die EZB auf die sich abschwächende Konjunktur in den 19 Mitgliedstaaten. Drei Monate nach dem Stopp ihres Anleihekaufprogramms haben die obersten Währungshüter neue Geldinjektionen für Geschäftsbanken im Euroraum auf den Weg gebracht. Außerdem hat sich der EZB-Rat von einer Leitzinserhöhung in diesem Jahr verabschiedet.

Beide Schritte sind für sich genommen kein außergewöhnliches Signal, unterstreichen sie doch die nach wie vor bewusst lockere Geldpolitik der EZB. „Doch dass alles so konkret und zusammen kam“, findet Christopher Kutt, Leiter Zinsstrategie und Staatsanleihen bei der DZ Bank, „war schon auffallend“. EZB-Präsident Mario Draghi sagte, die Zentralbank gebe angesichts eines „beträchtlich gesunkenen“ Wachstumstempos weitere Impulse.

Langfristkredite

Sie zielen vor allem auf die Geschäftsbanken. Mittels sogenannter „Targeted Longer-Term Refinancing Operations“, im EZB-Sprech schlicht „TLTRO“, will die EZB die Kreditvergabe im Euroraum am Laufen halten. Solche Langfristkredite hatte die EZB bereits im Juni 2014 und März 2016 beschlossen.

Dass eine dritte Auflage bevorstehen könnte, hatten zuletzt die Direktoriumsmitglieder Benoît Cœuré und Peter Praet, Letzerer zugleich Chefvolkswirt der EZB, angedeutet. Im Anschluss an die Ratssitzung lieferte Draghi gleich erste Details mit. So können Geschäftsbanken von September 2019 bis März 2021 Kredite mit einer Laufzeit von zwei Jahren bei der EZB abrufen, bislang waren es vier. Die Verzinsung ist variabel, sie ist an den jeweils gültigen Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte gekoppelt.

Ein Verzicht auf neue Zentralbankkredite hätte einige Banken, speziell in Italien, Spanien und Frankreich, in Schwierigkeiten gebracht. Hintergrund: Im Juni 2020 laufen Kredite aus der ersten TLTRO-Serie aus, die Bankenaufsicht wertet sie aber schon ein Jahr zuvor nicht mehr als Liquiditätsreserve. Auf italienische Geldhäuser entfielen nach Angaben der Agentur Reuters zuletzt ausstehende Langfristkredite in Höhe von annähernd 240 Milliarden Euro, auf spanische Institute rund 167 Milliarden Euro und auf Banken aus Frankreich etwa 112 Milliarden Euro .

Der Europäischen Zentralbank hat diese Konstellation wiederholt den Vorwurf eingebracht, schwächelnde Banken vor allem in Draghis Heimatland zu subventionieren. Der EZB-Präsident entgegnet dem mit seinem Mantra, die Kreditvergabe im gesamten Euroraum ankurbeln zu wollen, konzedierte jedoch, dass TLTROs durchaus ein Subventionselement enthielten, was man daran erkenne, dass diese von den Banken in der Vergangenheit gut angenommen wurden.

Konjunkturprognose

Tatsächlich hat sich die Konjunktur in den vergangenen Monaten eingetrübt. Die Industrieländervereinigung OECD erwartet für Deutschland für dieses Jahr nur noch 0,7 Prozent Wachstum, bisher waren es 1,6 Prozent. Das Wirtschaftswachstum in der Eurozone taxieren sie für das laufende Jahr auf 1,0 Prozent, Italien sieht die OECD sogar in der Rezession.

Am Donnerstag zog die EZB mit ihrer Abwärtsrevision nach. Die nun prognostizierten 1,1 Prozent Wachstum für die Eurozone liegen 0,6 Prozentpunkte unter dem, was die Notenbanker noch im Dezember für 2019 erwarteten. Leicht niedriger als bislang fallen auch ihre Prognosen für 2020 (1,6 Prozent) und 2021 (1,5 Prozent aus). Und: Auch ihre Inflationserwartungen sind gesunken. Für dieses Jahr erwartet die EZB eine Teuerung von lediglich 1,2 Prozent. Das ist deutlich unter der Marke von zwei Prozent Inflation, der sich die Notenbanker seit Jahren vergeblich nähern wollen.

Gleichwohl hält Draghi – im Konsens aller 25 Ratsmitglieder, wie er sagt – das Risiko einer Rezession für „sehr gering“. Manche Wissenschaftler sind da skeptischer. In einer aktuellen vom ifo Institut veröffentlichten Modellrechnung kommen die Ökonomen Kai Carstensen, Magnus Reif und Maik Wolters auf „Rezessionsrisiken von 41 Prozent für das erste Quartal und 63 Prozent für das zweite Quartal“.

Zinsausblick

Angesichts des Konjunkturabschwungs hatten die meisten Teilnehmer an den Finanzmärkten kaum mehr mit einer Zinsanhebung in diesem Jahr gerechnet, was Draghi nun bestätigte. Die Leitzinsen werden „mindestens bis zum Ende des Jahres“ auf ihrem gegenwärtigen Stand bleiben, erklärte der EZB-Chef. Bisher hatte er sich nur bis zum Ende des Sommers auf unveränderte Leitzinsen festgelegt.

Sparer werden bei anhaltenden Nullzinsen also noch länger auf Erträge auf ihr Erspartes warten müssen, Banken auf längere Sicht 0,4 Prozent Strafzinsen für Einlagen bei der EZB zahlen. Was dies für die Profitabilität insbesondere deutscher Banken bedeutet, halten Draghi und Co. für nachrangig. Auch Bundesbank-Chef Jens Weidmann, eigentlich ein Falke und wichtigster Gegenspieler Draghis im Rat der EZB, betont immer wieder, es sei nicht Aufgabe der Notenbank, für eine gute Ertragslage der Banken zu sorgen.

Somit wird Mario Draghi in seiner gesamten achtjährigen Amtszeit aller Voraussicht nach nicht ein einziges Mal die Zinsen erhöht haben, wenn er Ende Oktober abtritt. Anders als bei der Entscheidung für neue Langfristkredite, die einstimmig gefällt worden sei, habe es bei dem Aufschub eines Zinsschrittes kontroverse Diskussionen gegeben, sagte Draghi. Einige Mitglieder des EZB-Rates brachten sogar den März 2020 ins Spiel. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Eurozone auch nach der Ära Draghi nicht so bald vom Tropf des billigen Geldes loskommen wird.

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