Editorial
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Das Finanzsystem ändert sich, unsere Instinkte nicht

Quelle: Jann Höfer für WirtschaftsWoche
Horst von Buttlar Chefredakteur WirtschaftsWoche

Wir sind zu fixiert auf die letzte große Finanzkrise, um die neue zu verstehen. Denn diesmal geht es nicht um toxische Produkte, sondern um das Einmaleins der Banken. Die Ruhe dürfte deshalb auch nur eine Atempause sein.

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Wenn etwas Großes passiert ist, zudem noch in rasender Geschwindigkeit, muss man innehalten und sich fragen, was eigentlich passiert ist. Denn noch immer wissen wir nicht, ob wir am Anfang einer Finanzkrise stecken oder schon mittendrin; ob die Krise vielleicht vorbei ist und gar nicht so groß war. Die einzige Gewissheit, mit der wir uns beruhigen, ist, dass diese Krise offenbar „nicht wie 2008“ ist. Was Notenbanken nicht davon abhielt, innerhalb weniger Tage Summen zu mobilisieren, die in zwei- und dreistelligen Milliardenschritten wuchsen. Die Antwort war gewaltig, nicht nur im Volumen: In den USA gab es quasi eine Generalgarantie für alle Einlagen, in der Schweiz eine neue Form des Bailouts, die Rechte von Aktionären und Anleihegläubigern aushebelte.

Nach der großen Finanzkrise 2008 stand ein großes „Nie wieder“: Nie wieder sollten Banken zu groß und intransparent werden und mit ihren riskanten Geschäften und Produkten, die Warren Buffett als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ bezeichnet hat, das Finanzsystem in den Abgrund reißen – und mit ihm die reale Wirtschaft, unsere Jobs, unser Geld und unseren Wohlstand. All das ist diesmal (noch) nicht passiert, die erste Panik konnte rasch eingedämmt werden. In den Abgrund haben wir die vergangenen Tage dennoch kurz geschaut. Und die meisten klugen Köpfe sagen, dass dies nicht das Ende war. So etwas „kommt in Wellen“, sagt der Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff. „Das ist bei weitem nicht vorbei.“

Was also ist das Problem, wenn wir „nicht 2008“ erleben?

Es geht nicht um Voodoo, sondern das Einmaleins

Vielleicht sind wir zu fixiert auf die letzte Krise, um die neue zu verstehen. Denn diesmal geht es nicht um Voodoo-Produkte mit komischen Kürzeln, sondern um das Einmaleins der Banken: Liquidität und Zinsen. Letztere waren zu lange zu niedrig und sind nun zu schnell zu hoch geworden.

Wobei „too big to fail“ eine Pointe hat: Die Kunden in den USA fliehen mit ihren Einlagen von den kleinen zu den großen Banken. Und in der Schweiz wurde die UBS gerade noch größer gemacht. Die zweite Pointe: Es hieß immer, steigende Zinsen würde die Banken stärken, denn sie leben von der Zinsmarge: Sie leihen Geld teurer aus, als sie die Einlagen ihrer Kunden verzinsen. Der steigende Zins brachte aber offenbar nicht nur neue Geschäfte, sondern ein neues Risiko.

Höhere Zinsen sind im Prinzip richtig, nur die Geschwindigkeit wirkt seit Anfang 2022 wie eine Schocktherapie. Es bleibt weniger Zeit, sich anzupassen. Wenn man als Unternehmen oder Bank dieses Risiko falsch eingeschätzt hat, hat man ein Problem – das ist Missmanagement, nur dass es bei einer Bank schneller zum Ende führen kann als bei einer Fabrik oder einem Kaufhaus. Die Schocktherapie geht aber auch auf das Konto der Notenbanken: Vor allem die US-Notenbank Fed musste so schnell reagieren, weil sie vorher zu langsam war.

Es kommt aber noch etwas hinzu: Wir müssen feststellen, dass all die Puffer, Risiko- und Warninstrumente nicht ausgereicht haben, die wir nach 2008 ins Finanzsystem eingebaut haben. Selbst wenn Politiker wie im Refrain aufsagen, wie „robust“ die Banken inzwischen sind: Die Stabilität und Beherrschbarkeit des Finanzsystems ist am Ende eine Illusion. Dazu ist es zu vernetzt, zu komplex, zu unüberschaubar geworden, und auch zu sehr verschachtelt und gehebelt.

Das Finanzsystem ändert sich, unsere Instinkte nicht

Selbst wenn sich die Lage nun beruhigt, ist diese Ruhe trügerisch. Denn wenn Kennziffern so solide sind, wieso muss eine Großbank mit 167 Jahren Geschichte innerhalb eines Wochenendes notverkauft werden – in einem Deal, bei dem man sich immer noch die Augen reibt und nicht weiß, ob dies der Coup des Jahrzehnts war oder ein Ungetüm geschaffen wurde, das nur neue Probleme bringt?

Hinzu kommt: So komplex das Finanzsystem auch sein mag, so banal und unverändert sind unsere Instinkte und Ängste. Ein Geldsystem lebt seit jeher von Vertrauen, nur dass der Bankrun inzwischen per Smartphone stattfinden kann.

Von Spotify lernen?

Finanzkrisen hat es über die Jahrhunderte gegeben. Den großen Crashs gingen indes oft Phasen der Euphorie, des überschäumenden Enthusiasmus voraus – über ferne Länder in der Südsee oder Amerika, über neue Erfindungen wie die Eisenbahn oder das Internet. Wo aber war diesmal die Euphorie? Kommen wir nicht eher aus anderen Abgründen und Krisen, aus einer Pandemie, einem Energieschock, aus hoher Inflation?

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Nun, die Euphorie wurde gestreckt über zehn Jahre, verpackt in Unmengen billiges Geld. Nun folgt eine Zeit des Erwachens, die manchmal brutal ist. Niemand brachte das Problem kürzlich besser auf den Punkt als ein Investor, der bei Spotify eingestiegen ist – denn bei dem Musikdienst waren die Kosten für neue Produkte völlig aus dem Ruder gelaufen. Man müsse nun schauen, so der Investor, „what was built to last and what was built for the bubble“. Und diese Stunde der Wahrheit erleben wir: In Banken, Unternehmen, Geldanlagen, unseren Häusern. Es gibt keinen Grund für Panik, aber auch keinen für Entspannung.

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