Einkommensstudie des DIW Die Deutschen werden reicher – aber nicht alle

Einkommensstudie zeigt: Die Deutschen haben mehr Geld, doch nicht alle profitieren gleichermaßen Quelle: imago images

Der langjährige Aufschwung hat den Deutschen mehr Geld ins Portemonnaie gespült. Das zeigt eine neue Studie. Doch nicht alle haben profitiert. Das birgt Sprengstoff für die Zukunft.

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Das Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre hat den deutschen Haushalten spürbar höhere Einkommen beschert. Im Schnitt 29 Prozent mehr Geld hatten sie 2017 zur Verfügung als noch 1991 – netto und inflationsbereinigt, wohl bemerkt. Das zeigt eine neue Studie zur Einkommensverteilung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin.

Und der Geldsegen kommt offenbar nicht nur in den Portemonnaies der Menschen an, sondern auch in ihren Köpfen: Die Befragten waren 2017 deutlich zufriedener als in den zwei Jahrzehnten zuvor, und das über alle Einkommensgruppen hinweg.

Das Urteil des Forscherteams um Markus Grabka fällt dennoch gespalten aus. Der Grund: Die Einkommen wuchsen in den unterschiedlichen Einkommensgruppen unterschiedlich stark, vor allem getrieben von den Top-Verdienern. Die viel beschworene Schere zwischen Arm und Reich geht also weiter auf.

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So nahmen die Einkommen der obersten zehn Prozent um 35 Prozent zu. Bei den untersten zehn Prozent hingegen sanken sie sogar. Auch das sogenannte Dezentil darüber, also die Gruppe zwischen den unteren elf und 20 Prozent der Einkommen, legte gerade einmal um zwei Prozent zu. Niedrigverdiener profitierten also kaum vom langjährigen Aufschwung.

Das liegt den DIW-Experten zufolge aber auch an einer Verschiebung in der Gesellschaft, genauer: an der Zuwanderung. Viele der Zuwanderer waren demnach kaum qualifiziert oder konnten wegen Sprachproblemen nur schleppend in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden. Dadurch wuchs die Gruppe am unteren Rand der Statistik um eingewanderte Erwerbslose und Aushilfsjobber. Gerade in den zwei großen Zuwanderungsphasen Anfang der 1990er-Jahre und ab 2015 fielen die Realeinkommen der untersten Gruppe besonders stark.

Und noch eine weitere Verschiebung beobachten die Forscher: Es gibt immer mehr armutsgefährdete Menschen in Deutschland. Deren Anteil stieg von elf Prozent in den 1990er-Jahren auf zuletzt 16,6 Prozent.
Dabei droht nicht allen Altersgruppen gleichermaßen Armut. Während unter älteren Menschen die Armutsgefahr weitestgehend konstant geblieben und bei Senioren sogar gesunken ist, stieg sie bei jungen Menschen stark an. Menschen unter 34 Jahren haben damit deutlich weniger vom Jobboom und den steigenden Löhnen profitiert als die etablierteren Generationen vor ihnen.

Neben den Jungen sind auch Städter deutlich stärker armutsgefährdet als zuvor. In Großstädten über 500.000 Einwohnern ist es mehr als jeder Fünfte. Besonders bemerkenswert: Die DIW-Forscher haben die Wohnkosten in ihrer Analyse nicht berücksichtigt. Da diese in den Städten besonders hoch sind, dürfte die tatsächliche Zahl der Armutsgefährdeten also noch deutlich höher liegen.

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Diese Zahlen müssen jedoch mit Vorsicht genossen werden. Die Forscher sprechen von relativer Armut, definiert als Einkommen, dass bei 60 Prozent des mittleren Einkommens liegt oder noch darunter. Da das mittlere Einkommen über die Jahre deutlich gestiegen ist, nämlich laut DIW-Studie um 15 Prozent, liegt die so definierte Armutsschwelle heute höher als noch vor einigen Jahren.

Die Menschen, die neuerdings als armutsgefährdet gelten, haben also nicht unbedingt weniger Geld zur Verfügung als vorher. Absolut gesehen.

Relativ hingegen schon. Das kann für sozialen Sprengstoff sorgen, umso mehr, wenn die Konjunktur sich wirklich deutlich abkühlen sollte. Das dürften die als erstes spüren, die schon jetzt am unteren Rand der Skala sind: Niedriglöhner und darunter vor allem junge Menschen.

Die Studie des DIW zeigt, dass sie zwar heute schon weniger profitieren, das aber nicht so empfinden, sondern sogar zufriedener sind als zuvor. Wenn jedoch der Abschwung kommt und die ersten ihre Jobs verlieren, könnte das ganz anders aussehen.

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