Ende des Booms Die Zeit des Wachstums ist vorbei

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Ein „Plan B“ fehlt

Was aber wohl noch wichtiger ist: Die Verfestigung der Klassenunterschiede, das Anwachsen des Kapitals der Wenigen, erstickt den Unternehmergeist einer Gesellschaft. Dazu allerdings schweigt die Klingholz-Studie, die leider weitgehend geschichts- und kulturblind argumentiert. Theorien des abnehmenden Unternehmergeistes in den entwickelten Ökonomien haben Christoph Deutschmann und Bas van Bavel entwickelt. 

Gegen diese strukturellen Hemmnisse versagen politische Instrumente, die das Ende des Zeitalters des Wachstums mit einer Konjunkturdelle verwechseln. Die weit entwickelten Staaten, so Klingholz, haben es bislang versäumt, den Rückgang des Wachstums zu akzeptieren und sich neue Ziele jenseits des BIP-Wachstums zu setzen, also einen „grundsätzlichen volkswirtschaftlichen Wandel“ für die Nachwachstumszeit zu planen.

Wie könnte solch ein Plan aussehen?

Sparen und neue Einnahmequellen suchen

Für die Regierenden bedeute der Verzicht auf vergebliche Wachstumspolitik: „Sparen, wo es sozial verträglich ist, auf neue Schulden verzichten und nach alternativen Einnahmequellen suchen.“ Eine neue Steuerquelle könnte zum Beispiel die „künstliche Intelligenz“ der Unternehmen sein– statt der bisherigen der menschlichen Arbeitskraft. Solch eine Roboter-Steuer hat Bill Gates kürzlich vorgeschlagen.

Was tun mit dem Geld? Investieren in nachhaltige Technologien, fordert Klingholz. Eine „ökosoziale Marktwirtschaft“ müsse klare Regeln und einen Förderrahmen installieren, um ökologische und soziale Ziele zu erreichen. Die Politik müsse „unterscheiden zwischen dem, was Einkommen schafft und die Umwelt schont, und dem, was lediglich dem Wirtschaftswachstum oder dem Erhalt von Arbeitsplätzen dient, ohne die Folgekosten zu beachten.“ Die Subventionierung nicht nachhaltiger Wirtschaftsweisen aus Sorge um den Erhalt von Arbeitsplätzen müsse aufhören. „Eine schöpferische Zerstörung, die umweltschonende Produkte und Verfahren hervorbringt, gepaart mit einem aus strukturellen Gründen nachlassenden Wirtschaftswachstum kann dann im besten Fall eine ökologische Dividende ermöglichen.“

Banken sollen ihre Einlagen mit Zentralbankgeld decken

Weitere mögliche Maßnahmen: Die Geldschöpfung der Privatbanken aus dem Nichts sollte nach Ansicht von Klingholz und Kollegen beschränkt werden: Die Banken müssen ihre Einlagen zu 100 Prozent durch Zentralbankgeld decken. Das forderte schon in den 1930er Jahren während der großen Depression der US-Ökonom Irving Fisher. Damit würde, so die Hoffnung, das Risiko von Spekulationsblasen durch die übermäßig steigende Geldmenge bei stagnierender Produktion gedrosselt.

Der Staat sollte, so Klingholz und Kollegen, um den strukturellen Wachstumszwang von Marktwirtschaften abzumildern, „die Privilegien der Kapitalgesellschaften einschränken. Und er sollte Genossenschaften und Stiftungsunternehmen stärker unterstützen“.

Denn Unternehmen, die als Kapitalgesellschaften verfasst sind, sind auf Wachstum angewiesen, um die Renditeerwartungen der Kapitalgeber zu befriedigen, während Familienunternehmen und Personengesellschaften auch ohne Umsatzwachstum auskommen können. „Den Wachstumshunger der Kapitalgesellschaften zu mildern“ – etwa durch Verpflichtung der Unternehmensleiter auf den Erhalt der Gemeingüter – sei aber die „fraglos schwierigere Aufgabe“. 

Säkulare Stagnation“ könnte zum Desaster werden

Die Alternative zu einer solchen vorsorglich planenden Politik ist vermutlich eben nicht, dass das Wachstum schon irgendwann wieder zurückkommen wird, oder – eine unter Ökonomen besonders verbreitete Haltung – dass uns oder unseren Nachkommen schon noch rechtzeitig eine andere Lösung einfallen wird. Die Alternative ist vermutlich eher der ungeregelte und vergleichsweise sehr viel unbequemere Wandel durch den Eintritt von Unheil. Mit Katastrophen als Auslöser von Wandlungsprozessen hat die Menschheit in der Geschichte leider mehr Erfahrung gesammelt als mit vorausschauenden Reformprozessen.  

Auch eine „säkulare Stagnation“ könnte zu einem Desaster werden. Etwa, wenn die Öffnung der Geldschleusen nicht zu Investitionen, sondern zu Spekulationsblasen führt; wenn die Schulden durch verpuffende Wachstumsprogramme  ganze Staaten oder sogar die EU handlungsunfähig machen; wenn Sozialsysteme zusammenbrechen, die strukturell auf Wachstum angewiesen sind; und die betroffenen Menschen daraufhin ihr Vertrauen nicht nur ins Wirtschafts- sondern ins politische System der Demokratie verlieren.

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