Erneute EZB-Zinserhöhung Kann die EZB den Kampf gegen die Inflation noch gewinnen?

In der Europäischen Zentralbank (EZB) wird fieberhabt an der Bekämpfung der hohen Inflation gearbeitet. Kann sie sie noch stoppen? Quelle: imago images

Angesichts der hartnäckig hohen Teuerungsraten schießen die Inflationserwartungen der Bürger nach oben. Damit wächst die Gefahr schädlicher Folgeeffekte. Die Europäische Zentralbank muss die Geldpolitik schnell und konsequent straffen, um die Inflation zu besiegen.    

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Lange haben Ökonomen davor gewarnt: Kommt die Inflation ins Laufen, ist sie kaum mehr zu stoppen. Nun ist es so weit. In der Eurozone kratzt die Teuerungsrate mit 9,9 Prozent an der Zehn-Prozent-Marke. In einzelnen Ländern der Währungsunion, darunter Deutschland, hat sie bereits zweistellige Werte erreicht. In den USA liegt die Inflationsrate mit 8,2 Prozent nur wenig darunter. Eine Entspannung an der Preisfront ist vorerst nicht in Sicht.

Zwar können die Zentralbanken den Inflationsbrand in der Theorie jederzeit löschen. Dazu müssten sie die Zinsen kräftig anheben und die Liquidität, die sie in den vergangenen Jahren durch ihre Wertpapierkäufe in den Bankensektor gepumpt haben, durch den Verkauf von Wertpapieren wieder absaugen. 

Das ist jedoch leichter gesagt als getan. Denn die Regierungen haben die lange Niedrigzinsphase nicht zur Konsolidierung der Staatshaushalte genutzt, sondern als Einladung zum weiteren Schuldenmachen interpretiert. Ob Eurokrise, Corona-Pandemie oder Energiekrise – jedes Problem haben die Politiker mit zusätzlichen Staatsausgaben auf Pump adressiert. In den USA liegen die Staatsschulden mittlerweile bei 132 Prozent der Wirtschaftsleistung, in der Eurozone sind es im Schnitt knapp 96 Prozent. Länder wie Griechenland, Italien, Spanien und Portugal liegen mit ihren Schuldenquoten weit über der Marke von 100 Prozent. 

Die Angst vor Bankrotten und Finanzkrisen geht um

Steigende Zinsen sind daher Gift für die Regierungen. Sie verteuern die Refinanzierung der Schulden und binden so wachsende Teile der Steuereinnahmen. Manchen hoch verschuldeten Regierungen könnte bei weiter steigenden Zinsen sogar ein Käuferstreik am Anleihemarkt und damit der Staatsbankrott ins Haus stehen. Weder die US-Notenbank Fed noch die Europäische Zentralbank (EZB), die den Leitzins am Donnerstag wie erwartet um 75 Basispunkte anhob, haben daran ein Interesse. 

Dazu kommt, dass die Wirtschaft auf beiden Seiten des Atlantiks vor einer Rezession steht. Im Oktober brachen die Einkaufsmanagerindizes für die Eurozone sowohl in der Industrie als auch im Dienstleistungssektor ein. Mit 46,6 beziehungsweise 48,2 Punkten unterschritten beide Indizes die kritische Marke von 50 Punkten, die den Expansions- vom Kontraktionsbereich trennt. Höhere Zinsen bremsen die Investitionen und den Konsum und verschärfen so die rezessiven Tendenzen. 

Darüber hinaus könnten steigende Zinsen heftige Turbulenzen im Finanzsektor auslösen. Versicherungen und Banken, die hohe Bestände an Staatsanleihen in ihren Bilanzen geparkt haben, müssen bei steigenden Zinsen ihre Anleihebestände wertberichtigen. Das könnte ihr Eigenkapital bis zur Belastungsgrenze beanspruchen. 

Zentralbanken zwischen Baum und Borke

Die Zentralbanken befinden sich daher zwischen Baum und Borke. Eigentlich müssten sie die Zinsen kräftig erhöhen, um die Inflation zu vertreiben. Dann aber drohen Konjunktur, Staatshaushalte und Banken hintenüber zu kippen. Für die EZB kommt hinzu, dass die heterogene und dysfunktionale Währungsunion bei größeren Spannungen wie ein rohes Ei zu zerbrechen droht.  



Wenn sich die Euro-Notenbanker an diesem Donnerstag in Frankfurt treffen, um über den weiteren Kurs der Geldpolitik zu beraten, dürfte es daher nicht nur darum gehen, wie die Inflation am besten zu besiegen ist. Es wird auch darum gehen, die Nebenwirkungen geldpolitischer Straffungsmaßnahmen für Staaten und Finanzmärkte möglichst gering zu halten. Kompromisse zulasten der Preisstabilität sind damit programmiert. Ob die EZB es wahrhaben will oder nicht: Sie ist nicht mehr Herrin des Geschehens, sondern Getriebene. 

Das ist vor allem deshalb problematisch, weil die hohen Teuerungsraten die Inflationserwartungen der Bürger aus der Verankerung gerissen haben. Umfragen der EZB zufolge rechnen die Bürger in der Währungsunion auf Sicht der nächsten drei Jahre mit einer mittleren Inflationsrate von drei Prozent. Das ist ein ganzer Prozentpunkt mehr als es das Inflationsziel der EZB vorsieht. Zu Jahresbeginn hatten die Inflationserwartungen noch bei zwei Prozent gelegen. Der Höhenflug der Energie- und Nahrungsmittelpreise im Gefolge des Ukraine-Kriegs sowie das viel zu lange geldpolitische Zögern der Frankfurter Währungsbehörde haben das Vertrauen der Bürger in das Stabilitätsversprechen der EZB nachhaltig erschüttert.



Die Inflationserwartungen gehen durch die Decke

In Deutschland ist der Vertrauensschwund besonders ausgeprägt. Umfragen der Bundesbank zufolge rechnen die Bundesbürger auf Sicht der nächsten fünf Jahre mit einer mittleren Teuerungsrate von fünf Prozent. Für die nächsten zwölf Monate sind es sogar neun Prozent. Anfang 2021 hatten die Inflationserwartungen auf Jahressicht noch bei rund zwei Prozent gelegen. Überdurchschnittlich hohe Inflationserwartungen hegen Ältere und Frauen.  



Erwartungen bestimmen das Handeln der Menschen. Rechnen Käufer und Verkäufer, Mieter und Vermieter, Arbeitnehmer und Arbeitgeber damit, dass die Preise weiter kräftig steigen, kalkulieren sie dies in ihre Preis-, Miet- und Lohnverhandlungen ein. So fordert die Gewerkschaft verdi für die Beschäftigten von Bund und Kommunen Lohnerhöhungen von durchschnittlich 10,5 Prozent. Für die unteren Lohngruppen liegt die Forderung sogar bei 20 Prozent. Das weckt Erinnerungen an die Kluncker-Runde von 1974. Damals setzte der Chef der Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst, Heinz Kluncker, Lohnsteigerungen von elf Prozent durch. Die Kluncker-Runde beschleunigte die Inflation und markierte das Ende des deutschen Wirtschaftswunders. 

Gehen Unternehmer und Verbraucher davon aus, dass sich die Geldentwertung beschleunigt, fahren sie ihre Ersparnisse herunter und ihre Ausgaben herauf. Frei nach dem Motto: heute schnell kaufen, bevor es morgen noch teurer wird. Das treibt die Preise. Je länger die Zentralbank dabei zusieht, wie die Inflationserwartungen nach oben driften, desto größer ist die Gefahr, dass sie den Kampf gegen die Inflation verliert.  

Keine Rückkehr zum Zwei-Prozent-Ziel in Sicht 

Dass Inflation und Inflationserwartungen eng miteinander korreliert sind, zeigen die Erfahrungen aus den USA. Anfang der Achtzigerjahre, als die Inflation dort ihren Höhepunkt bei knapp 15 Prozent erreicht hatte, kletterten auch die Inflationserwartungen der Verbraucher auf zweistellige Werte. Erst als die Fed unter ihrem damaligen Chef Paul Volcker den Leitzins beherzt auf bis zu 20 Prozent nach oben schleuste, fand der Inflationsspuk ein Ende. Bis Mitte der Achtzigerjahre bildeten sich die Inflationsraten und die Inflationserwartungen auf rund drei Prozent zurück.



Dass Fed und EZB diesmal ähnlich konsequent zur Tat schreiten wie weiland die Fed unter Volcker, ist angesichts der hohen Staatsschulden unwahrscheinlich. Zwar hat die EZB die Leitzinsen am Donnerstag erneut um 75 Basispunkte angehoben. Der Einlagenzins, den sie den Geschäftsbanken für deren Einlagen bei der Notenbank zahlt, kletterte so auf 1,5 Prozent. In den nächsten Monaten dürften weitere Zinsschritte folgen. Doch schon bei 2,5 Prozent werde Schluss sein mit der Zinsstraffung, glauben die Ökonomen der britischen Investmentbank Barclays. Die sich zunehmend in den Konjunkturdaten niederschlagende Rezession werde die EZB davon abhalten, den Leitzins weiter anzuheben. 

Auch beim Abbau der Bilanzsumme dürfte die EZB hinter dem Notwendigen zurückbleiben. Frühestens Anfang nächsten Jahres werden die Währungshüter die Tilgungszahlungen aus ihrem Kaufprogramm APP nicht mehr vollständig in den Kauf neuer Anleihen investieren, erwarten die Barclays-Ökonomen. Tilgungszuflüsse aus dem Pandemie-Notfallkaufprogramm PEPP dürfte die EZB hingegen noch bis mindestens Ende 2024 vollständig in den Kauf neuer Anleihen stecken, allein schon um die Kurse der Anleihen aus hoch verschuldeten Ländern zu stützen und deren Finanzierungskosten zu drücken. 

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Für die Bürger der Eurozone bedeutet das nichts Gutes. Auch wenn die Inflationsraten im Laufe des nächsten Jahres wegen nachgebender Energiepreise etwas sinken – eine Rückkehr zum Zielwert von zwei Prozent ist vorerst nicht in Sicht. Die Enteignung durch die Inflationssteuer geht weiter.  

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