Was dem Business-Class-Liberalismus vor allem fehlt, ist ein historisches Verständnis des Verhältnisses von Staat und Markt. Denn „Markt“ – das war ja bis weit ins 17. Jahrhundert hinein ganz buchstäblich ein Ort der Verteilungsgerechtigkeit: Der reibungslose Tausch, die Vermeidung des Diebstahls, die Abwesenheit von Betrug mussten damals noch sichergestellt und durchgesetzt werden. Erst im 18. Jahrhundert machte man die wundervolle Entdeckung, dass der Markt der gesetzlichen Beaufsichtigung nur in sehr geringem Maße bedarf, weil er Betrüger auf lange Sicht aussortiert – und weil sich an ihm natürliche, wahre Preise bilden, die um den „echten“ Wert eines Produktes herum schwanken. Kurzum, die wirtschaftliche Freiheit fällt der Welt nicht als Geschenk der ökonomischen Theorie in den Schoss. Sie wird gefordert, gefördert, ermöglicht und eingeräumt; sie wird kontrolliert, regiert und endlich protegiert von einem liberalen Staat, der Gefallen an seiner möglichst unauffälligen Rolle als Spielleiter des Marktgeschehens findet. Das moderne Ergebnis dieser Regierungspraxis heißt Ordnungspolitik. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass Regierende und Regierte gleichermaßen davon überzeugt sind, dass das Geschehenlassen die Leistung marktwirtschaftlicher Prozesse steigert, solange ein gesundes Kräftemessen stattfindet und quicklebendiges Geld das Spielgeschehen beschleunigt.
In den vergangenen drei, vier Jahrzehnten ist diese Ordnungspolitik vor die Hunde gegangen – und zwar nicht, weil ihre erklärten Feinde sich an ihr versündigt hätten, sondern ihre falschen Freunde, die Business-Class-Liberalen. Sie haben die funktionale Trennung zwischen Staat und Markt paradoxerweise aufgehoben und beide Sphären unheilvoll miteinander verklammert. Die Ur-Ursache dafür ist die Wachstumsdelle der Industrienationen in den Sechzigerjahren und die Kreditexplosion nach Aufgabe des Bretton-Woods-Systems 1971/1973: Seither verpflichten sich Finanzmärkte, Notenbanken und Staaten wechselseitig, ein Wachstum aufrechtzuerhalten, das mit realwirtschaftlichen Mitteln nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Die Notenbanken erfüllen ihre Aufgabe, indem sie unendlich viel Geld schöpfen. Die Finanzmärkte, indem sie das Kapital nicht mehr um Güter kreisen lassen, sondern nur noch um sich selbst. Und die Staaten, indem sie Notenbanken und Finanzmärkten die Lizenz zur fortwährenden Geldproduktion erteilen, um ihren sozialpolitisch verwöhnten Bevölkerungen die Folgen der Wachstumskrise zu ersparen. Seither ist the business of business nicht mehr nur in autoritativen Staaten, sondern auch in liberalen Demokratien vor allem Politik. Seither ist der Preis des Geldes aus den Fugen, der Wettbewerb verzerrt, der Marktmechanismus gestört. Seither steigt der Wert von börsennotierten Unternehmen nur noch deswegen, weil Politik und Notenbanken die Zinsen manipulieren, längst überfällige Markt-Korrekturen verhindern und die Krise durch fortgesetzte Eingriffe zugleich vertagen und verschärfen.
Wie also lässt sich wirtschaftliche Freiheit wieder gewinnen? Zunächst einmal: durch die radikale Entklammerung von Markt und Staat – und durch die funktionale Stärkung beider Sphären. Es geht einerseits darum, den Staat als recht- und rahmensetzende Gewalt zu rehabilitieren: durch die Revision seines Selbstverständnisses als Deregulierungsagentur zur Förderung einer Finanzoligarchie. Und es geht andererseits darum, den Markt zu rehabilitieren: durch die Revision seines Daseinszwecks als Kreditbroker für klamme Staaten. Nur geschützte freie Märkte, die Risiken bearbeiten statt sie zerstückelt und verbrieft hinter einem Vorhang der Verantwortungslosigkeit zum Verschwinden zu bringen, sind verlässliche Lieferanten von Preisinformationen. Und nur Staaten, die dafür sorgen, dass Märkte unabhängig von geldpolitischen Einflüssen ihre Aufgabe erfüllen können, schlecht wirtschaftende Unternehmen ihrer überfälligen Insolvenz auszuliefern, erhalten sich die Freiheit, die Finanzmärkte vor sich selbst zu schützen.