Essay Ökonomen verstehen nichts von Wirtschaft

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Die Ur-Ursache der Krise

Abgeordnete im Bundestag Quelle: dapd

Weder „mehr Markt“ noch „mehr Staat“ sind angemessene Forderungen in einer Geld-Welt, die sich durch eine systemische Verschränkung von Markt und Staat auszeichnet. Eine Chance zur Lösung der Krise besteht deshalb nicht darin, den Markt zugunsten des Staates auszubremsen, Banken gegen Steuerzahler auszuspielen, Ratingagenturen ihrer Kontrollfunktion zu berauben – und schon gar nicht in einer Politisierung des Geldes, wie sie den Occupy-Bewegten vorschwebt. Vielmehr geht es darum, die Funktionstüchtigkeit der Sphären Staat und Markt durch klar definierte Aufgabenbeschreibungen zu stärken – und sei es vorerst im Wege des Ausschlussverfahrens: Der Staat ist nicht dazu da, die globalen Wettspiele einer Finanzaristokratie zu lizenzieren, die ihre Gewinne einstreicht und ihre Verluste der Allgemeinheit aufbürdet. Und die Finanzmärkte sind nicht dazu da, eine Politik zu finanzieren, die die Illusion von Wachstum nur noch dadurch aufrechterhalten kann, dass sie der Zukunft mit der Aufnahme immer neuer Schulden ihre Reserven stiehlt.

Wenn es eine Ur-Ursache dieser Krise gibt, dann ist es die Wachstumsdelle der Industrienationen in den Sechzigerjahren, die Kreditexplosion nach Aufgabe des Bretton-Woods-Systems 1971 und die Entstehung eines finanzmarktliberalen Sozialstaatsschulden-Kapitalismus, dessen Gedeih (und Verderb) auf der infiniten Produktion von Krediten beruht. Seit die westlichen Industrienationen nicht mehr im Schwellenland-Tempo wachsen, sind Finanzmärkte und Notenbanken Vehikel ihrer Regierungen geworden, um ein Wachstum aufrechtzuerhalten, das von den Fesseln der Realwirtschaft befreit ist. Die Notenbanken erfüllen ihre Aufgabe, indem sie unendlich viel Geld schöpfen – und die Finanzmärkte, indem sie das Kapital nicht mehr um Waren und Güter kreisen lassen, sondern vor allem um sich selbst. Der Unterschied zwischen Europa und den USA besteht darin, dass man sich den Sozialstaat diesseits des Atlantiks mit dem Mittel der Kreditaufschäumung erkaufte, während man ihn sich jenseits des Atlantiks mit zinskeynesianischen Mitteln ersparte – und seine realwirtschaftlich verarmende Bevölkerung stattdessen zu Häuser- und Ratenkäufen ermunterte.

Die Geldkrisen der Gegenwart sind daher kein Ausdruck von Marktversagen, keine Krise des Kapitalismus, kein Argument gegen die Gier und die Spekulation, sondern das Ergebnis eines staatskapitalistischen Systemversagens. Wenn Staaten heute mit Steuergeldern Banken kapitalisieren, handelt es sich dabei um verschuldete Staaten, die zur Erfüllung wohlfahrtsstaatlicher Bürger-Ansprüche von Banken kapitalisiert werden – und die genau deshalb angezählt sind, weil die Banken den Staaten bereits viel zu viel Geld für ihre fortgesetzte Wählerbeglückung geliehen haben. Insofern handelt es sich bei dieser Krise nicht um eine Pathologie des Kapitalismus, sondern um seine Heilung: Die allmähliche Realisierung der Kreditillusionen, auf die wir seit Jahrzehnten unsere Zukunft gebaut haben, bringt uns der tatsächlichen Kaufkraft der Gegenwart wieder ein kleines Stückchen näher.

Schlag nach bei Röpke

Wilhelm Röpke, der große Denker der sozialen Marktwirtschaft, hat bereits 1957 darauf hingewiesen, worauf es heute ankommt: „Den Regierenden die Herrschaft [über das Geld] zu nehmen und das Geldwesen von ihrer Willkür, Einsichtslosigkeit oder Schwäche unabhängig zu machen.“ Für Röpke war die Verletzung der „Unantastbarkeit des Geldes“ eines „der ernstesten Anzeichen für die äußerste Gefahr, in der sich Gesellschaft und Staat befinden“. Ahnungsvoll fürchtete er das Heraufziehen eines „Fiskalsozialismus“, der die Fata Morgana finanzieller Großspielräume durch die Schöpfung von Kreditgeld für bare Münze nimmt.

Natürlich, Röpke wendet sich damals, gegen Ende des ersten Wirtschaftswunder-Jahrzehnts mit einem durchschnittlichen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 8,2 Prozent, noch nicht gegen den Schuldenstaat, sondern gegen eine antideflationäre Wirtschaftspolitik, die auf Kosten der Geldstabilität das Ziel der Vollbeschäftigung verfolgt. Eines aber ist ihm schon damals mit beängstigender Hellsichtigkeit klar: dass die Regierenden die schleichende Geldentwertung nicht mit der Erhöhung ihrer Sparanstrengungen beantworten werden, sondern mit der Ausweitung der Geldmenge – bis zuletzt die Notenbanken in die politische Pflicht genommen werden: „Nachdem die Goldwährung gefallen ist, war als letztes Gegengewicht gegen die unbeschränkte Herrschaft der Regierungen über das Geld noch ein gewisses Maß an Unabhängigkeit der Zentralnotenbanken übrig geblieben. Aber auch dieser Damm ist… geborsten… Auch die unabhängigen Zentralbanken scheinen zu den Bastillen zu gehören, die dem Jakobinismus unserer Zeit keine Ruhe lassen, bis sie geschleift sind.“

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