Bundespräsident Joachim Gauck hat vor einem Jahr eine bemerkenswert unbemerkte Grundsatzrede über unternehmerische Freiheit gehalten und dafür geworben, die Marktwirtschaft auf ein ethisches Fundament zu stellen. Gewinne, so Gauck, seien in Ordnung, aber nur solange Unternehmen auch ökologische und soziale Ziele berücksichtigten: „Schwarze Zahlen sind kein Grund, rote Linien zu überschreiten... Freies Unternehmertum braucht Grenzen.“
Man hat sich damals Milton Friedman als Gegenredner herbeigesehnt. Ob der Wirtschafts-Nobelpreisträger dem Bundesfreiheitsbeauftragten brüsk ins Wort gefallen wäre? Immerhin stammt von Milton Friedman ein einfacher Satz, der das unternehmerische Handeln auf seinen Kern reduziert und eben deshalb eine ungeheure Provokation darstellt: „The business of business is business.“ Der Unternehmer hat sein Unternehmen zu führen, so Friedman, that’s it – und wenn er das erfolgreich tut, dann füllt er damit nicht nur sein Portemonnaie, sondern auch die Konten seiner Mitarbeiter (Löhne) und Mit-Eigentümer (mit der Steigerung des Profits). Füllt mit seinen Produkten Regale (zum Wohle der Kunden). Und er-füllt damit seine gesellschaftliche Aufgabe. Punkt.
Ausgerechnet Karl Marx, der große Trierer Volksfreund, hat das Grundgesetz der Betriebswirtschaft bereits vor 150 Jahren auf eine ebenso berückende Formel gebracht: G-W-G’, was so viel bedeutet wie: Ein Unternehmer nimmt eine Summe Geld (G), verwende es auf Herstellung und Handel eine Ware (W) und erhalte dafür eine größere Summe Geld (G’) – that’s capitalism, stupid! Natürlich hat Marx das Gewinnertragssystem abgelehnt: Marx wollte, dass seine Formel als Vorwurf zirkuliert – und man kann nicht sagen, dass er damit erfolglos geblieben ist. Zuletzt hat Papst Franziskus in Anspielung auf Adam Smiths „unsichtbare Hand“ die „unsichtbare Tyrannei der Ökonomie“ beklagt: Es gebe keinen göttlichen Mechanismus, der Eigeninteressen in Gemeinwohl verwandle, im Gegenteil: Die Sakralisierung des Marktgeschehens ist ein Frevel, weil sie auch demokratisch legitimierte Interventionen als Versündigung an ihr ablehne.
Der Grund für dieses Unbehagen liegt auf der Hand: Wenn Marktwirtschaft bedeutet, dass wir es mit einem ungesteuerten, dezentral organisierten Konkurrenzsystem zu tun haben, in dem das Eigentum Einzelner die Voraussetzung für eine gelingende Verteilung der erwirtschafteten Güter ist, dann ist die mangelnde Verbreitung von Eigentum ein Problem. Denn Eigentum meint nicht nur Kapitalaufbau im monetären Sinne. Es ermächtigt auch zu Selbstbesitz und Persönlichkeitswachstum. Eigentum ist eine mentale Ressource für das Ergreifen von Freiheit. Nur wer über Eigentum verfügt, kann buchstäblich auf sich selbst vertrauen.
Die Menschheitsgeschichte ist Wirtschaftspolitik
Karl Marx hatte für einen differenzierten Blick auf das Eigentum noch keinen Sinn – und das ist verständlich, denn Marx war Zeitzeuge eines Kapitalismus, in dem Arbeiter wie eine Sachinvestition behandelt wurden. Entsprechend ist Marx’ Eigentum konzentriertes Eigentum – und Marx’ Unternehmer ein roher Kapitalist, ein Ausbeuter, der seine Arbeiter ihrer Freiheit beraubt, indem er sich ihre Arbeitskraft aneignet. Dahinter steht die Auffassung, dass alle Inbesitz-Nahme ursprünglich Weg-Nahme ist, ein Akt der Willkür, durch den ein paar Beherzte annektieren, was einmal allen gehörte: „Der Erste, der ein Stück Land einzäunte und auf den Gedanken kam zu sagen ,Dies ist mein‘ und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben“, schrieb schon Jean-Jacques Rousseau (1755), „war der wahre Begründer der zivilen Gesellschaft.“ Folgt man Rousseau, ist der erste Unternehmer ein erster Nehmer, so hat es der Philosoph Peter Sloterdijk einmal zugespitzt: der erste Bürger, der erste Betrüger, der erste Dieb.
Der Rest der Menschheitsgeschichte ist Wirtschaftspolitik und handelt von der Verteidigung und Anfechtung dieser ursprünglichen Aneignung. Die Besitzenden bemühen sich um die nachträgliche Legalisierung ihrer Nahmen und suchen sie zu verteidigen. Die Besitzlosen inkriminieren das Eigentum als Diebstahl und drohen mit dem Einreißen der Zäune. Damit es nicht so weit kommt und die einen behalten können, was die anderen zurückfordern, einigen sich beide Seiten auf ein laufendes Schlichtungsverfahren – bis zuletzt die Besitzlosen von den Unternehmern mit Tariflöhnen und 35-Stunden-Wochen entschädigt (und vom Notar aller Eigentumskonzentration, dem Staat, so großzügig mit gesetzlichen Sozialversicherungen und Mindestlöhnen abgefunden) werden, bis die Lohnabhängigkeit zuletzt Spaß macht.
Eine Niete ziehen bei der "Great Lottery of Life"
Doch bis dahin ist es ein weiter Weg. Die schottischen Ahnherren der Nationalökonomie argumentieren noch Anfang des 19. Jahrhunderts, dass es sich bei der proletarischen Armut um ein „inevitable law of nature“ handelt. Lohnerhöhungen für die „less fortunate“ würden nicht den Lebensstandard heben, sondern nur dazu führen, dass die Arbeiter mehr Kinder in die Welt und dadurch das Überleben aller aufs Spiel setzten. Die Unterschicht, die das Pech habe, bei der „original division of land“ auf der falschen Seite des Zaunes gestanden zu haben, müsse sich bitte schön damit abfinden, bei der „great lottery of life“ eine Niete gezogen zu haben.
Business-Class-Liberalismus
Hat man diese Sätze im Ohr, liest sich „unternehmerische Freiheit“ wie ein Synonym für Rücksichtslosigkeit und Kälte – und Milton Friedman steht wie ein übler Zyniker da. Aber der Kapitalismus als ausbeuterisches System – das ist nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte der Wahrheit ist: Der Kapitalismus ist ein lernfähiges System mit pazifistischen Talenten. Er emanzipiert Ausgebeutete zu Konsumenten. Und Besitzlose zu Eigentümern. Er erobert nicht nur die Welt und richtet die Menschen zu Werkzeugen seiner Wachstumslogik ab, sondern er richtet diese Welt auch zunehmend reich ein. Anders als die meisten seiner Rezensenten meinen, gereicht ihm seine moralische Neutralität dabei keineswegs zum Nachteil, ach was: Der Opportunismus des Kapitals ist sein größter Vorzug. War nicht etwa die „Moral“ in Europa bis weit ins 19. Jahrhundert hinein das, was die regierende Macht sich unter ihr vorstellte? Und spricht nicht etwa viel dafür, dass ausgerechnet das un-moralische Geld die feudale Machtmoral im 15./16. Jahrhundert sehr erfolgreich zersetzt hat – lange bevor sie in politischen Pamphleten herausgefordert wurde? Ohne die wirtschaftlichen Interessen der Kaufleute, ohne den Ehrgeiz der vielen, sich ein besseres Leben buchstäblich zu verdienen, ist der Siegeszug von Demokratie und vorstaatlichen Menschenrechten undenkbar – wer diese Provokation nicht aushält, sollte von der „Vorherrschaft des Geldes“ schweigen. Zynisch ist nicht der Kapitalismus. Zynisch sind die Wohlstandsverwöhnten in den Industrieländern, die behaupten, die Geldgier sei die Wurzel aller Übel, weil sie die Menschen zu Sklaven des Sachzwangs herabwürdige. Das Übel der Geldgier kann niemals größer sein kann als das Übel des Geldmangels. Wer darüber Näheres erfahren will, möge sich nur mal in bengalischen Dörfern umhören.
Daran freilich, dass the business of business nichts anderes als business ist, glaubt nach der Oligarchisierung des Geldes an den Finanzmärkten und nach dem Aufstieg des Staatskapitalismus in China niemand mehr. Der Eigennutz eines Investmentbankers mehrt nicht das Gemeinwohl. Und das Wettbewerbsprinzip des Kapitalismus diffundiert nicht die Staatsmacht in Peking. Was also ist schiefgelaufen mit der Idee der wirtschaftlichen Freiheit?
Der Aufstieg des Business-Class-Liberalismus
Eine Antwort darauf wüsste ausgerechnet Milton Friedman. Er hat 1976 kein Problem darin gesehen, der chilenischen Militärjunta „technischen wirtschaftlichen Rat zu geben“ – und damit nicht nur die materielle Not vieler Chilenen gelindert, sondern auch die Idee der unteilbaren Freiheit verraten. Seither sind wirtschaftliche und politische Freiheit keine zweieiigen Zwillinge mehr. Seither neigen „Liberale“ dazu, „der Wirtschaft“ Vorfahrt vor „der Politik“ zu gewähren. Echte Liberale wie Ralf Dahrendorf oder Karl-Hermann Flach hätten sich für solche Vereinseitigungen der Freiheitsidee geschämt. Ihr Liberalismus meinte den „Freiheitsdrang der Menschen“. Und ihr Wirtschaftsliberalismus meinte leistungsfördernden Wettbewerb innerhalb eines staatlichen Ordnungsrahmens – und keinen Business-Class-Liberalismus, der die Marktmacht von globalen Konzernen protegiert, die liberale Demokratie als Fessel des Marktes schmäht und sich vor autoritativen Staaten wie Singapur ihrer „wirtschaftlichen Freiheit“ wegen verneigt.
Das Verhältnis von Staat und Markt
Was dem Business-Class-Liberalismus vor allem fehlt, ist ein historisches Verständnis des Verhältnisses von Staat und Markt. Denn „Markt“ – das war ja bis weit ins 17. Jahrhundert hinein ganz buchstäblich ein Ort der Verteilungsgerechtigkeit: Der reibungslose Tausch, die Vermeidung des Diebstahls, die Abwesenheit von Betrug mussten damals noch sichergestellt und durchgesetzt werden. Erst im 18. Jahrhundert machte man die wundervolle Entdeckung, dass der Markt der gesetzlichen Beaufsichtigung nur in sehr geringem Maße bedarf, weil er Betrüger auf lange Sicht aussortiert – und weil sich an ihm natürliche, wahre Preise bilden, die um den „echten“ Wert eines Produktes herum schwanken. Kurzum, die wirtschaftliche Freiheit fällt der Welt nicht als Geschenk der ökonomischen Theorie in den Schoss. Sie wird gefordert, gefördert, ermöglicht und eingeräumt; sie wird kontrolliert, regiert und endlich protegiert von einem liberalen Staat, der Gefallen an seiner möglichst unauffälligen Rolle als Spielleiter des Marktgeschehens findet. Das moderne Ergebnis dieser Regierungspraxis heißt Ordnungspolitik. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass Regierende und Regierte gleichermaßen davon überzeugt sind, dass das Geschehenlassen die Leistung marktwirtschaftlicher Prozesse steigert, solange ein gesundes Kräftemessen stattfindet und quicklebendiges Geld das Spielgeschehen beschleunigt.
In den vergangenen drei, vier Jahrzehnten ist diese Ordnungspolitik vor die Hunde gegangen – und zwar nicht, weil ihre erklärten Feinde sich an ihr versündigt hätten, sondern ihre falschen Freunde, die Business-Class-Liberalen. Sie haben die funktionale Trennung zwischen Staat und Markt paradoxerweise aufgehoben und beide Sphären unheilvoll miteinander verklammert. Die Ur-Ursache dafür ist die Wachstumsdelle der Industrienationen in den Sechzigerjahren und die Kreditexplosion nach Aufgabe des Bretton-Woods-Systems 1971/1973: Seither verpflichten sich Finanzmärkte, Notenbanken und Staaten wechselseitig, ein Wachstum aufrechtzuerhalten, das mit realwirtschaftlichen Mitteln nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Die Notenbanken erfüllen ihre Aufgabe, indem sie unendlich viel Geld schöpfen. Die Finanzmärkte, indem sie das Kapital nicht mehr um Güter kreisen lassen, sondern nur noch um sich selbst. Und die Staaten, indem sie Notenbanken und Finanzmärkten die Lizenz zur fortwährenden Geldproduktion erteilen, um ihren sozialpolitisch verwöhnten Bevölkerungen die Folgen der Wachstumskrise zu ersparen. Seither ist the business of business nicht mehr nur in autoritativen Staaten, sondern auch in liberalen Demokratien vor allem Politik. Seither ist der Preis des Geldes aus den Fugen, der Wettbewerb verzerrt, der Marktmechanismus gestört. Seither steigt der Wert von börsennotierten Unternehmen nur noch deswegen, weil Politik und Notenbanken die Zinsen manipulieren, längst überfällige Markt-Korrekturen verhindern und die Krise durch fortgesetzte Eingriffe zugleich vertagen und verschärfen.
Wie also lässt sich wirtschaftliche Freiheit wieder gewinnen? Zunächst einmal: durch die radikale Entklammerung von Markt und Staat – und durch die funktionale Stärkung beider Sphären. Es geht einerseits darum, den Staat als recht- und rahmensetzende Gewalt zu rehabilitieren: durch die Revision seines Selbstverständnisses als Deregulierungsagentur zur Förderung einer Finanzoligarchie. Und es geht andererseits darum, den Markt zu rehabilitieren: durch die Revision seines Daseinszwecks als Kreditbroker für klamme Staaten. Nur geschützte freie Märkte, die Risiken bearbeiten statt sie zerstückelt und verbrieft hinter einem Vorhang der Verantwortungslosigkeit zum Verschwinden zu bringen, sind verlässliche Lieferanten von Preisinformationen. Und nur Staaten, die dafür sorgen, dass Märkte unabhängig von geldpolitischen Einflüssen ihre Aufgabe erfüllen können, schlecht wirtschaftende Unternehmen ihrer überfälligen Insolvenz auszuliefern, erhalten sich die Freiheit, die Finanzmärkte vor sich selbst zu schützen.
Der Kapitalismus kennt keine Sozialpflichtigkeit
Der Kapitalismus benötigt keine moralische Anreicherung, sondern rechtliche und institutionelle Absicherung. Wall Street und Bankfurt sind keine Orte der „Tyrannei“, in denen das Gesetz der Gier gilt; sie benötigen nur Vorschriften, die Geldinstituten ein Fünftel Eigenkapital für ihre Kreditgeschäfte abverlangt. Das Geld, das sich ein Bauunternehmer bei der Volksbank leiht, bedarf keiner ethischen Fundierung; es reicht, dass er Maurern eine Beschäftigung bietet und neue Schulen entstehen. Unser Wirtschaftssystem ist nicht „an der Wurzel ungerecht“, sondern eine glänzend geölte Zivilisationsmaschine, die Milliarden Menschen verheißt, ihrer Armut zu entkommen. Religiöser Fanatismus (Afghanistan, Iran), Korruption (in vielen Ländern Afrikas) politische Zentralsteuerung (Peking, Moskau, Singapur...) und Eigentumskonzentration (westliche Staats-Finanzmarkt-Komplexe) sind ungerecht – nicht „die Wirtschaft“, von der schon Max Weber meinte, sie sei die „friedliche Ausübung von Verfügungsgewalt“. Tatsächlich benötigt der Kapitalismus nur wenige ordnungspolitische Prinzipien – Risiko und Haftung gehören zusammen, Kredite haben ihren Preis, Schulden müssen zurückgezahlt werden, Kartelle gehören zerschlagen –, um weitestgehend funktionstüchtig zu sein.
Sicher, der Kapitalismus hat keine Seele und kennt keine Sozialpflichtigkeit. Geld will in ihm angelegt sein und investiert werden, weil es nie das ist, was es ist, sondern immer sein mögliches Mehr: Produkt, Potenz und Projekt seiner selbst. Die so populäre Formel vom Geld, das der Wirtschaft (dem Menschen) zu dienen habe und nicht die Wirtschaft (der Mensch) dem Geld, ist daher eine zwar hübsche, aber höchst irreführende Floskel sozial bewegter Rhetoren. The business of business is business – wer das als Unternehmer nicht begreift, kann sein Geschäft bald schließen.
Eben deshalb sollten wir gar nicht erst den Versuch unternehmen, das Vermehrungsinteresse des Kapitals zu stören. Stattdessen kommt es darauf an, dem Kapital einerseits seine Grenzen aufzuzeigen und ihm andererseits neue Zugriffsmöglichkeiten zu eröffnen: jenseits der rettungslos bankrotten Staatsfinanzmärkte. Um es mit Marx zu sagen: Nachdem wir geglaubt haben, wir könnten die Ware aus seiner ursprünglichen Kapitalismusgleichung (G-W-G’) streichen, indem wir aus Geld einfach mehr Geld machen (G-G’), wird unternehmerische Freiheit in Zukunft bedeuten, den Bereich der „Waren“ um Allmendegüter zu vergrößern, um die das Geld kreisen kann: G-W’-G’. Denn wenn Wirtschaften heißt, sich mit der Herstellung und Distribution von Gütern unter den Bedingungen der Knappheit zu beschäftigten, dann konvergieren Ökonomie und Ökologie, sobald die Grundbedingungen des Wirtschaftens selbst knapp werden: die Bodenschätze das Öl, das saubere Wasser, die frische Luft. Dann reift rund um den Globus die Einsicht, die Erde selbst sei der „Menschheit“ Eigentum – und nicht nur der Menschheit hier und heute, sondern auch der Menschheit, die die Erde von der Gegenwartsgeneration erben wird. Dadurch gewinnen nicht zuletzt die besitzindividualistisch trivialisierten Eigentums- und Freiheitsbegriffe der Business-Class-Liberalen eine neue Qualität: Das dem Eigentum innewohnende Prinzip der Eingrenzung und Aneignung wird durch das Prinzip der Sorge und Verantwortung erweitert. Und Freiheit nicht mehr als Lizenz zum Sich-gehen-Lassen verstanden, sondern mit dem kanadischen Philosophen Charles Taylor als „Praxis steuernder Kontrolle“, als „Fähigkeit, die wir zu verwirklichen haben“.
The business of business is business?
Freiheit als Fähigkeit, verantwortungsvoll mit ihr umzugehen? Warum nicht? Seit der Kapitalismus Arbeiter zu Konsumenten emanzipiert hat, kann sich kein Unternehmen mehr darauf beschränken, Profite zu erzielen. The business of business is business? Von wegen. Firmen stellen ganze Garnisonen von Geisteswissenschaftlern ein, um ihren Produkten einen grünen, sozialen und nachhaltigen Anstrich zu geben. Entsprechend heißt unternehmerische Freiheit heute: sein Wirtschaften den Knappheitsverhältnissen anpassen, das Prinzip des Eigentums global und generationenübergreifend denken und das Prinzip der Sorge auf die Spitze treiben – im eigenen Interesse. Und tatsächlich, es beginnt zu funktionieren: Das, was dem Zugriff des Geldes bisher entzogen war und in keiner Rechnung der Ökonomen aufgetaucht ist, das „Umsonst“ der Sonne, der Luft und des Wassers, das „Billige“ der afrikanischen Ressourcen und der asiatischen Lohnarbeiter – das alles gewinnt seit einigen Jahren an Wert und steigert seinen Preis.
Plötzlich interessiert sich das Kapital für alle globalen Knappheiten und für die Nebenkosten des wirtschaftlichen Wachstums. Plötzlich entschädigt es für die Benutzung der Natur. Plötzlich bearbeitet es den Klimawandel. Plötzlich prämiert es einen schonenden Umgang mit Mensch, Tier und Umwelt. Dabei erweist sich ausgerechnet das altkatholische Prinzip des Ablasshandels als hocheffizientes Instrument des modernen Wirtschaftens: Es nimmt die Internalisierung externer Kosten beim Wort. Das Gewissen lenkt unseren Blick auf afrikanische Lehrer, die in Berliner Biergärten Teller spülen, und auf Hühner, die in enge Käfige gepfercht werden – und es drängt Unternehmen, für einen Ausgleich von Eigentümer-, Mitarbeiter- und Kundeninteresse zu sorgen.
Kalter Zugriff auf zunehmend knappe Güter
Eben dafür aber: für den kalten Zugriff von Kapital auf knappe Güter unter dem Dach einer Ordnungspolitik, die Recht konsequent (durch)setzt; für die selbstinteressierte Ächtung wirtschaftlicher Praktiken und politischer Regime, die Macht missbrauchen; für einen Kapitalismus, der es mit emanzipierten Konsumenten zu tun hat – eben dafür braucht es auch in Zukunft „unternehmerische Freiheit“.
Damit the business of business auch künftig ein ganz anderes business ist und bleiben kann.