Die Sprachlosigkeit der Volkswirte wurzelt in der Statik ihrer Lehrsätze, Normen und Begriffe – eine Statik übrigens, die die sozialphilosophischen Grundlagen der Ökonomie systematisch unterläuft: Zukünfte, die von keinem Einzelnen beabsichtigt sind und doch aus den Absichten und Aktionen vieler Einzelner hervorgehen, lassen sich nun einmal nicht in überzeitlichen Harmoniegesetzen („unsichtbare Hand“) abbilden, erfahrungsgemäß hochrechnen und charttechnisch extrapolieren. Evolutorische Ordnungen, die sich ständig in Bewegung befinden und aus blinden Wettbewerbsprozessen hervorgehen, gehorchen eben keiner empirisch aufweisbaren Logik (zyklische Wirtschaftsentwicklung) und lassen sich schon gar nicht planvoll optimieren (Niedrigzins- und Nachfragepolitik). Spontan auftauchende Denkweisen, die unsere Wirklichkeitswahrnehmung verändern, sind nicht Genieprodukte rational denkender Monster, sondern das Ergebnis multi-individueller Vernunft- und Gefühlsregungen im Rahmen eines sich ständig wandelnden kollektiven Bewusstseins. Entsprechend wird heute keine Krise der Welt durch Lösungen beendet, die Ökonomen wortgewaltig zum Patent anmelden („Schuldenschnitt!“, „Zurück zur D-Mark!“, „Banken zerschlagen!“), sondern laufend bemeistert – und zwar dadurch, dass wir uns diese Krisen eingestehen und sie bearbeiten.
Die größten Risiken für die deutsche Wirtschaft
Aus dem Schneider ist Europas größte Volkswirtschaft noch nicht, auch wenn sie mit einem kräftigen Wachstum im ersten Quartal eine Rezession verhindern konnte. Im Gegenteil: Die Risiken ballen sich wie selten zuvor - vor allem von außen droht jede Menge Ungemach.
„Das größte Abwärtsrisiko für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland geht nach wie vor von der Schulden- und Vertrauenskrise im Euroraum aus, die im Kern noch nicht gelöst ist“, warnen führende Institute in ihrem Gutachten für die Bundesregierung. Schon jetzt lastet die Krise auf der exportabhängigen Wirtschaft: Die Ausfuhren in die Euro-Zone schrumpften im März um 3,6 Prozent, weil Krisenländer wie Spanien und Griechenland wegen der Rezession ihre Importe einschränken. Da 40 Prozent der Ausfuhren in die Währungsunion gehen, spürt Deutschland die Schwäche der Nachbarn deutlich.
Jede Zuspitzung der Schuldenkrise sorgt für Wirbel an den Finanzmärkten. Kann sich ein großes Euro-Land wie Spanien nicht mehr am Kapitalmarkt finanzieren und flüchtet unter die Rettungsschirme EFSF und ESM, würde das einen erneuten Vertrauensverlust auslösen. Unternehmen würden weniger investieren, Verbraucher größere Anschaffungen scheuen. Der Bund ist mit der Beteiligung an den Rettungspaketen enorme Risiken eingegangen. „Im Zuge der Rettungspakete summieren sich die Zusagen auf rund 80 Milliarden Euro“, so die Institute.
Kann etwa Griechenland das Geld nicht zurückzahlen, belastet das den deutschen Staatshaushalt. Eine Herabstufung durch die Ratingagenturen droht dann, was höhere Zinsen zur Folge hätte. Der Spardruck würde steigen, Hauhaltslöcher müssten mit höheren Steuern und Ausgabenkürzungen gestopft werden. Beides würde die Konjunktur belasten.
Seit mehr als einem Jahr hält sich die Teuerungsrate in Deutschland über der Marke von zwei Prozent, bis zu der die Europäische Zentralbank (EZB) von stabilen Preisen spricht. Manche Experten befürchten, dass die Preise künftig deutlich schneller steigen könnten - um vier bis fünf Prozent. Das würde die Kaufkraft der Verbraucher erheblich einschränken.
Grund für die Inflationsgefahr: Wegen der guten Konjunktur haben die Arbeitnehmer kräftige Lohnerhöhungen durchgesetzt. Den Unternehmen fällt es angesichts der guten Beschäftigungslage leichter, steigende Lohnkosten an die Verbraucher weiterzureichen - sprich: die Preise für Waren und Dienstleistungen anzuheben. Es droht eine Spirale, bei der sich Löhne und Preise gegenseitig nach oben schaukeln. Bei ersten Anzeichen dafür müsste die EZB ihre Zinsen anheben, um Konsum und Investitionen zu drosseln, was die Nachfrage dämpfen und den Preisauftrieb dämpfen könnte. Aus Rücksicht auf die Wirtschaftskrise in Ländern wie Spanien wird sie ihren Leitzins aber vorerst wohl auf dem Rekordtief von einem Prozent belassen.
Zusätzliche Gefahren gehen von der Politik der EZB aus, den Finanzhäusern billiges Geld in Hülle und Fülle zur Verfügung zu stellen. „Noch bleibt die zusätzliche Liquidität erst einmal im Finanzsektor“, sagt Postbank-Chefvolkswirt Marco Bargel. „Doch wenn die Kreditvergabe an die Unternehmen erst einmal steigt, kann das sehr schnell in Inflation münden.“
Die Preise für deutsche Wohnimmobilien steigen immer schneller. 2011 legten sie mit 5,5 Prozent mehr als doppelt so stark zu wie 2010 mit 2,5 Prozent. „Erstmals seit dem Wiedervereinigungsboom Anfang der neunziger Jahre ist hierzulande somit ein konjunktureller Aufschwung wieder mit einer markanten Preisreaktion auf den Häusermärkten verbunden“, stellt die Bundesbank fest. Niedrige Bauzinsen und die Angst vor Inflation verlocken immer mehr Deutsche dazu, in Immobilien zu investieren. „Wenn das jahrelang so weitergeht mit den extrem niedrigen Zinsen, besteht das Risiko einer Immobilienpreisblase in Deutschland“, warnt der Konjunkturchef des Instituts für Weltwirtschaft, Joachim Scheide. Die hat es in Spanien gegeben, ihr Platzen hat eine schwere Rezession ausgelöst. „So etwas ist für Deutschland auch nicht ausgeschlossen“, sagt Scheide.
China wird nach Prognose des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) in diesem Jahr zum zweitwichtigsten Kunden der deutschen Exportwirtschaft aufsteigen - nach Frankreich, aber noch vor den USA. Für viele Unternehmen ist die Volksrepublik schon jetzt der wichtigste Absatzmarkt, beispielsweise für die Autobauer Volkswagen, Audi und Porsche. Bekommt China einen Husten, wird auch die deutsche Wirtschaft krank. Erste Warnsignale gibt es bereits: Die chinesischen Importe stagnierten im April. „Das ist Besorgnis erregend“, sagte Ökonom Alistair Thornton von IHS Global Insight in Peking. „Das deutet auf eine echte Schwäche der Binnenwirtschaft hin.“ Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt wird einer Reuters-Umfrage unter Ökonomen zufolge in diesem Jahr um 8,2 Prozent wachsen. Das wäre das kleinste Plus seit einem Jahrzehnt. Die hohen Schulden der Kommunen, eine Immobilienblase und eine anziehende Inflation könnten das Wachstum aber noch kleiner ausfallen lassen.
Die Ökonomen blicken angesichts einer Vergangenheit, deren Geschehen unser Verstehen beeinflusst, angesichts einer Gegenwart, die sich laufend selbst überholt und angesichts einer Zukunft, von der man nur wissen kann, dass sie wahrscheinlich ist, rührend ratlos auf ihre Formeln und Tabellen. Sie suchen eine Wirklichkeit zu bannen, die sich ihnen immerzu entwindet – ganz so wie die Eleaten den Flug des Pfeiles zu bannen suchten, als befände er sich in unendlich vielen, aneinandergereihten Ruhezuständen. In einer heraklitischen Welt jedoch („Panta rhei“), in der Wahrheit nur im Wege einer verstehenden Auslegung ergriffen werden kann, stellt sich eine Ökonomie, die auf einem naturrechtlich hergeleiteten Individualismus und auf der Grundannahme paratheologischer Gesetzmäßigkeiten besteht, methodologisch ins Abseits.
Der Gründungsmythos freier Kaufleute
Ihren Urgrund hat die Borniertheit der Branche im Begriff, den sie sich vom Geld als Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel macht. Ein solcher Geld-Begriff ist statisch, geschichtslos und normativ; er enthält, konserviert und formiert die liberale Utopie einer friedlich handelnden Gesellschaft, für die Geld nichts weiter ist als das pazifizierende Instrument einer arbeitsteiligen Wirtschaft. Der Gründungsmythos einer Marktwirtschaft freier Kaufleute verstellt den Blick auf die historische Prozesshaftigkeit einer Geld-Welt, die keine Gesetze, Stabilitäten und Gleichgewichte kennt, die niemals von Homines oeconomici bevölkert war und in der es zu keiner Zeit eine Trennung von Staat und Markt gegeben hat.
Ohne eine theoretische Aufwertung des Geldes wird die Ökonomie daher in der anhaltenden Debatte über die Zukunft des Kapitalismus auf die Rolle eines Zaungastes verwiesen bleiben. Die Einsicht in die real- und ideengeschichtlichen Prozesse, die die konstitutive Ambivalenz des Geldes als Lebens-Mittel und Lebens-Zweck zum Vorschein bringen (Georg Simmel), der beispiellose Aufstieg des Geldes zur Zentralkategorie wirtschaftlichen Handelns, die Würdigung seiner ungeheuren Bedeutungsvielfalt als Kapital, Schuld, Zins, Preis, Ertrag, Mehrwert, Eigentum und Vermögen – das alles ist in der Volkswirtschaft des 21. Jahrhunderts weitgehend brachliegendes Terrain.Noch immer taucht das Geld in VWL-Lehrbüchern an verlässlich später Stelle auf.
Damit ist selbstverständlich nicht gesagt, dass Volkswirtschaftler nicht ihr mathematisches Handwerk beherrschen sollten. Das müssen sie zweifellos. Die „Reform einer Wissenschaft“ aber vermag heute nicht mehr, wie noch Carl Menger meinte, „nur aus ihr selbst, nur aus den Tiefen ihrer eigenen Ideenkreise hervorzugehen“, im Gegenteil: Sie kann und darf nicht „nur das Werk der in die eigenen Probleme ihrer Disziplin sich vertiefenden Forscher sein“.