Export-Wachstum ohne Limit? Wenn die Bundesregierung auf stur schaltet

Deutschland steht wegen seines hohen Exportüberschusses in der Kritik – doch die Wirtschaftsweisen können darin kein Problem erkennen. Hört die Bundesregierung auf den Rat der Ökonomen, wäre das gefährlich. Eine Analyse.

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Der Überschuss beim Außenhandel kann für Deutschland über Umwege doch zur Falle werden. Quelle: dpa

Frankfurt Die Mehrheit im Sachverständigenrat verteidigt Deutschland gegen den Vorwurf, der hohe Außenhandelsüberschuss belaste andere Länder. Die Argumente wirken extrem, der Politikvorschlag der Weisen noch mehr. Die außergewöhnlich hohe deutsche Konkurrenzfähigkeit im internationalen Geschäft soll durch eine Förderung der Angebotsbedingungen in Deutschland noch erhöht werden. Würde die Regierung auf die vier Weisen hören, wäre das gefährlich für Deutschland.

Seit rund 2007, also seit fast 10 Jahren, exportiert Deutschland erheblich mehr als das es importiert – das zeigt der oft diskutierte Leistungsbilanzüberschuss. Im Jahr 2016 betrug der satte 8,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Mit 261 Milliarden Euro war der Überschuss größer, als der jedes anderen Landes, einschließlich China. „Der Leistungsbilanzüberschuss signalisiert aus Sicht des Sachverständigenrats kein makroökonomisches Ungleichgewicht“, stellen dennoch vier der fünf Weisen fest.

Nur der nicht allein angebotsorientiert argumentierende Peter Bofinger ist anderer Meinung. Die jahrelange schwache Lohnentwicklung, da ist er sich sicher, könne die Regierung wirtschaftspolitisch beeinflussen. Die Mehrheit der Experten führt den Überschuss jedoch auf „zeitlich begrenzt wirkende Faktoren“ zurück und sieht keine sinnvollen Handlungsmöglichkeiten für die Regierung. Der deutschen Wirtschaft gehe es gut, und bei jedem Staatseingriff zur Senkung des Überschusses müsse man mit einer Verschlechterung rechnen.

Die US-Regierung dürfte sich für die Argumente des Sachverständigenrats weder interessieren, noch sich von diesen überzeugen lassen. Die Trump-Berater denken derzeit lieber über protektionistische Maßnahmen gegen die deutschen Exporterfolge nach. Die Ratschläge der Wirtschaftsweisen sind für den Binnenkonsum bestimmt. Man muss also fragen, ob die Experten Deutschland einen Gefallen tun, wenn sie die Regierung dazu bringen, auf stur zu schalten – und mit Maßnahmen zur weiteren Verbilligung der Produktion in Deutschland, wie sie der Sachverständigenrat vorschlägt, sogar noch eins draufzusetzen.

Protektionistische Ideen der USA und anderer Länder werden so immer wahrscheinlicher. Das würde Deutschland mit seinem exportorientierten Wirtschaftsmodell extrem treffen. Und selbst wenn es dazu nicht kommt, steigt mit jedem Jahr hoher deutscher Überschüsse die Verschuldung des Auslands bei Deutschland immer mehr an. Immer mehr Staaten, Unternehmen oder Finanzinstituten aus dem Ausland droht die Zahlungsunfähigkeit. Für Deutschland bedeutet das Forderungsausfälle – die Schulden werden nicht bedient.

Oder die Forderungen werden durch Abwertung im Auslands entwertet. In der Vergangenheit war das regelmäßig der Fall – in beträchtlichem Umfang. Im Zusammenhang mit der Euro-Krise könnte diese Entwertung deutscher Forderungen sogar besonders schnell, krisenhaft und radikal geschehen – wenn die Währungsunion zerfällt. Dieses Risiko sollte nicht unnötig gesteigert werden, indem man darauf beharrt, die anderen sollten noch stärker an der Wettbewerbsfähigkeitsschraube drehen als Deutschland. Das kann leicht das eine oder andere Land überfordern.

Wenn die Regierung tatsächlich nichts Sinnvolles tun könnte, wäre die Abwehrhaltung vielleicht gerechtfertigt. Aber ganz so ist es nicht. Dass der Sachverständigenrat eine „außergewöhnlich hohe preisliche Wettbewerbsfähigkeit“ bei gleichzeitiger Überauslastung der Produktionskapazitäten diagnostiziert, deutet darauf hin, dass die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer nachhaltig reduziert wurde. Denn die Sachverständigen bezweifeln auch nicht, dass die Agenda 2010 und das Bündnis für Arbeit aus Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands kräftig verbessert hat. Ganz so machtlos ist die Regierung also nicht, wenn es darum geht das Ergebnis von Tarifverhandlungen zu beeinflussen.

Die bisher betriebene merkantilistische Politik sucht die zum Wachstum nötige Nachfrage vor allem im Ausland. Wenn sie an ihre Grenzen stößt – sei es, weil das Ausland rebelliert oder zu kollabieren droht – wäre es weise, diese Politik zu modifizieren. Dass es sich um Merkantilismus handelt, machte der Sachverständige Lars Feld auf der Pressekonferenz des Rates unfreiwillig deutlich, als er sich über das Ansinnen seines Kollegen Bofinger lustig machte, man solle über höhere Löhne für mehr Nachfrage sorgen. Das sei, „wie Münchhausen sich selbst am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen“, warf Feld ein – als könne eine Wirtschaft immer nur von außen, aus dem Ausland Wachstumsimpulse bekommen.

Wenn nach Jahren unterdurchschnittlichen Verdienstzuwachses in Deutschland die Arbeitnehmer für einige Zeit höhere Lohnsteigerungen bekämen als der Durchschnitt des Euroraums, dann würde es der EZB entschieden leichter fallen, ihre expansive Geldpolitik etwas zu straffen – und damit auch dem Rat der Weisen folgen. Und das wäre für das wirtschaftliche Gleichgewicht in Deutschland und im Euroraum sehr hilfreich.

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