EZB-Sitzung nach dem Brexit Draghis Dilemma

Das Brexit-Votum hat die Zinsen für Staatsanleihen gedrückt. Für die EZB wird es dadurch immer schwerer, geeignete Bundesanleihen zu finden. Eine mögliche Lösung des Dilemmas: Länder mit hohen Schulden zu belohnen.

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Auf ihn kommen durch den Brexit neue Probleme zu. Quelle: AP

Frankfurt Mario Draghi stellt sich an diesem Donnerstag zum ersten Mal nach dem Brexit-Referendum den Fragen der Öffentlichkeit. Für den Chef der Europäischen Zentralbank ist die Lage durch den Austritt der Briten aus der EU noch schwieriger geworden. Fast alle Ökonomen gehen davon aus, dass der Brexit das Wachstum in der Euro-Zone schwächen wird.

Draghis Ziel einer Preissteigerung von knapp zwei Prozent rückt damit in noch weitere Ferne. Zudem gibt es wegen der Unsicherheit eine Flucht in sichere Anlagen. Das hat noch einen weiteren unangenehmen Nebeneffekt: Die Zinsen von deutschen Bundesanleihen sind so stark gefallen, dass die EZB bald nicht mehr genug Papiere finden könnte, die die Kriterien für ihr Kaufprogramm erfüllen.

Um sich nicht dem Vorwurf der Staatsfinanzierung auszusetzen, hat sich die EZB für ihr Kaufprogramm gewisse Grenzen gesetzt. So darf sie zum Beispiel keine Papiere kaufen, deren Zinsen unter dem Einlagensatz von aktuell minus 0,4 Prozent liegen. Damit wird ausgeschlossen, dass sie Zinsverluste macht.

Nach Berechnungen der Commerzbank rentieren inzwischen rund 70 Prozent der Bundesanleihen unter dem Einlagensatz. Wenn das derzeitige Zinsniveau anhalten würde, gäbe es demnach in knapp einem Jahr keine Bundesanleihen mehr, die die Kriterien der EZB erfüllen. Wenn die Zinsen weiter fallen, kann dieser Punkt auch schneller erreicht sein. Daher dürfte das Thema ebenfalls im EZB-Rat zur Sprache kommen.

Mit einer Änderung der Regeln wird die Notenbank aber womöglich noch warten. Viele Ökonomen gehen davon aus, dass Draghi im September ohnehin die Geldpolitik noch einmal lockert. Die EZB legt dann ihre Prognosen für Inflation und Wachstum in der Euro-Zone vor. „Dann wird wahrscheinlich die Laufzeit des Anleihekaufprogramms bis Ende 2017 verlängert,“ erwartet etwa der Chefvolkswirt der ING-Diba, Carsten Brzeski. Bisher ist vorgesehen, dass die Anleihekäufe bis März 2017 laufen sollen.


Hohe Hürden für grundlegende Änderung der Anleihekäufe

Brzeski geht davon aus, dass der Rat über beide Punkte zusammen entscheiden wird. „Da der Rat ohnehin im September über eine weitere Lockerung der Geldpolitik beraten wird, wäre es sinnvoll, dies zusammen zu entscheiden,“ sagt er.

Im März hat die EZB eine weitere massive Lockerung der Geldpolitik beschlossen. Die einzelnen Maßnahmen setzt sie nun schrittweise um. Es dauert jedoch, bis genug Daten da sind, um die Effekte zu schätzen. Bis September habe man einen besseren Überblick, wie sich die neuen Lockerungen auswirken, heißt es in Notenbankkreisen.

An den Märkten wird auch spekuliert, dass die EZB die Bindung ihrer Anleihekäufe an den eigenen Kapitalschlüssel aufweichen könnte. Da Deutschland den größten Anteil an der EZB hat, kauft sie bisher besonders viele Bundesanleihen. Das verstärkt die Knappheit der Papiere. Alternativ könnten sich die Käufe der Zentralbank nach der Menge der ausstehenden Anleihen richten. In diesem Fall müsste sie etwa mehr italienische Staatsanleihen kaufen, weil der italienische Staat besonders stark verschuldet ist.

Die Hürden hierfür gelten jedoch als sehr hoch. Von einer solchen Regelung würden die Staaten besonders profitieren, die am meisten Schulden angehäuft haben. Ein solch drastischer Markteingriff könnte einer umfassenden rechtlichen Prüfung bedürfen.

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