An diesem Mittwoch und Donnerstag treffen sich die Notenbanker Amerikas und Europas, um über den weiteren Kurs in der Geldpolitik zu beraten. Beide Zentralbanken stehen wegen der rasant steigenden Teuerungsraten (6,8 Prozent in den USA, 4,9 Prozent in der Eurozone) unter Druck. Während sich die US-Notenbank Fed anschickt, die Geldpolitik zügig zu straffen, sind vergleichbare Signale von der Europäischen Zentralbank (EZB) bisher nicht zu vernehmen. Die Frankfurter Währungshüter verschanzen sich seit Wochen hinter dem Argument, der Inflationsschub sei nur vorübergehend und erfordere daher keine geldpolitische Reaktion.
Doch mit dieser Position stehen sie zunehmend allein auf weiter Flur, drohen an den Finanzmärkten hinter die Kurve zu fallen. So zeigen Umfragen unter Unternehmen, dass diese einen großen Teil der gestiegenen Kosten für Fracht und Material noch gar nicht an die Verbraucher weitergegeben haben, dies aber für die nächsten Monate planen. Die Verbraucher scheinen das zu ahnen. Einer exklusiven Umfrage im Auftrag der WirtschaftsWoche zufolge rechnen 87 Prozent der Deutschen damit, dass die Verbraucherpreise im nächsten Jahr kräftig steigen, 65 Prozent der Angestellten wollen daher höhere Gehälter fordern. Damit bahnt sich an, wovor Skeptiker der EZB-Geldpolitik schon lange warnen: Die Inflationserwartungen verlieren ihre Verankerung und eröffnen den Weg in eine Lohn-Preis-Spirale.
Eine vorausschauende Zentralbank muss darauf reagieren. Daher ist es allerhöchste Zeit, die Geldpolitik zu straffen. Das schließt auch höhere Leitzinsen mit ein. Inflation mit beruhigenden Worten achselzuckend hinzunehmen wie es die EZB tut, ist kein Kavaliersdelikt. Inflation lässt das Vertrauen in die Währung und die sie emittierende Notenbank erodieren. Sie zerstört die Signal- und Lenkungsfunktion der Preise, legt die Axt an die Marktwirtschaft, verteilt Einkommen und Vermögen um, von den Gläubigern zu den Schuldnern, von den Käufern zu den Verkäufern, von den Armen zu den Reichen. Und all das, ohne dass die Zentralbank dafür eine demokratische Legitimation besäße. Wer Ungleichheit, Ineffizienzen und gesellschaftliche Polarisierung beklagt, wie es die EZB tut, muss die Inflation bekämpfen, bevor sie sich verfestigt.
Aktuell liegen die Euro-Zinsen abzüglich der Inflationsrate bei minus fünf Prozent und damit fast so tief wie in der Türkei, wo ein die basalen ökonomischen Zusammenhänge leugnender Staatspräsident einen geldpolitischen Amoklauf veranstaltet, indem er die Zentralbank zwingt, trotz zweistelliger Inflationsraten die Leitzinsen weiter zu senken. So weit sind wir in der Eurozone zum Glück noch nicht. Doch wenn die EZB nicht als Inflationsleugner in die Geschichte der Geldpolitik eingehen will, muss sie handeln und die Zügel straffen, und zwar subito!
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