
Deutschland schwimmt auf einer Welle der Euphorie. „Die Wirtschaft brummt, und wir stehen so gut da wie seit Langem nicht“, so die öffentliche Meinung. Aber spiegelt die Stimmung reale Fakten oder eine Illusion? Wie gut geht es Deutschland wirklich – nicht nur im Vergleich mit anderen europäischen Ländern, sondern im Vergleich mit unseren eigentlichen Möglichkeiten? Schöpfen wir unser Potenzial aus? Ist die deutsche Wirtschaft für die Herausforderungen der Zukunft gewappnet?
Es gibt viele gute Gründe für die Euphorie in Deutschland – kaum ein Land in Europa hat sich so gut von der globalen Finanzkrise der Jahre 2007 bis 2009 erholt und ist heute wirtschaftlich und politisch so stabil. Eine außergewöhnliche Leistung ist der Rückgang der Arbeitslosenquote von fast 12 Prozent 2005 auf heute 6,9 Prozent. Seit 2009 haben 1,2 Millionen Menschen mehr einen Arbeitsplatz erhalten. Zu Recht stolz ist Deutschland auch auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit seiner Unternehmen.





Eine weitere bemerkenswerte Leistung ist die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte – diese schrieben bereits 2012 wieder schwarze Zahlen, und die Überschüsse sollen in den nächsten Jahren weiter steigen. Aber wieso hat Deutschland ein so kurzlebiges Gedächtnis – wieso blenden wir das Jahrzehnt vor der Krise heute aus? Die Fakten seit 1999, dem Beginn der Währungsunion, zeigen ein völlig gegensätzliches Bild: Kaum ein Land in Europa ist so schwach gewachsen wie Deutschland. Selbst im Euro-Krisenland Spanien ist seit 1999 die Wirtschaft bis heute stärker gewachsen als in Deutschland.
Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wurde fast ausschließlich durch eine zurückhaltende Lohnentwicklung verbessert, das Produktivitätswachstum hat sich nur mäßig mit dem europäischen Durchschnitt entwickelt. Es gibt kaum ein Industrieland, in dem Reallöhne und reale Konsumausgaben so schwach gewachsen sind wie in Deutschland. Viele deutsche Arbeitnehmer stehen vom Reallohn her heute sogar schlechter da als vor 15 Jahren. Diese Fakten sollten uns Anlass geben, kritisch zu hinterfragen, ob Deutschland auf dem richtigen Weg ist.
Großer ökologischer Umbau





Der globale Wettbewerb wird immer härter. Riesige Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien drängen mit Macht auf den globalen Markt. Deutschland sieht einem großen ökologischen Umbau entgegen, von dem die Energiewende nur einer der wichtigen Aspekte ist. Und Deutschland steht erst am Anfang eines tief greifenden demografischen Wandels, der viele der von uns erwarteten sozialen Leistungen und Sicherheiten infrage stellt.
Wie gut ist Deutschland für die Zukunft gewappnet? Die Antwort ist ernüchternd. Alle diese Herausforderungen erfordern ein hohes Maß an Flexibilität und eine strukturelle Anpassung der deutschen Wirtschaft.
Dies erfordert vor allem Investitionen. Darin aber liegt Deutschlands größte Schwäche und Verwundbarkeit. Kaum ein Land investiert so wenig wie Deutschland. Die Investitionen relativ zur Wirtschaftsleistung sind von 20 Prozent 1999 auf 17 Prozent 2012 gefallen, eine der niedrigsten Quoten global. Deutschlands Investitionslücke beträgt seit 1999 jährlich knapp drei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung, so eine Studie des DIW Berlin.
Das sind etwa 80 Milliarden Euro an öffentlichen und privaten Geldern, die jährlich in Bildung, Infrastruktur, Forschung und Entwicklung, Vorbereitung auf den ökologischen und demografischen Wandel und anderen Bereichen fehlen. Deutsche Unternehmen und Individuen investieren immer häufiger im Ausland als zu Hause. Dabei haben Investitionen in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren mit die höchsten Renditen im internationalen Vergleich erzielt.
Konjunktur
Auch die staatliche Investitionsquote ist deutlich gesunken und zählt zu den niedrigsten unter den Industrienationen. Berechnungen des DIW zufolge ist der Wert der öffentlichen Infrastruktur seit 1991 um zehn Prozent relativ zur jährlichen Wirtschaftsleistung gesunken. Für jeden sichtbar zeigt sich dies unter anderem im schlechter werdenden Zustand von Straßen, Brücken und öffentlichen Gebäuden. Die deutsche Investitionslücke schwächt das Wachstum und gefährdet den Wohlstand. Der Zeitpunkt, diese Lücke zu füllen, könnte besser nicht sein: Der Staat, aber auch Unternehmen und Haushalte, konnten sich
noch nie so günstig finanzieren wie heute.
Deutschland läuft nicht so sehr Gefahr, öffentliche Schulden aufzubauen, die künftige Generationen begleichen müssen. Die Gefahr liegt eher darin, dass wir künftigen Generationen die Grundlage entziehen, im globalen Wettbewerb wirtschaftlich zu bestehen. Das sollte eine der zentralen Prioritäten für Bund, Länder und Kommunen in den kommenden Jahren sein.