Frankreich Mindestlohn: Schlechte Erfahrungen im Nachbarland

Einen Mindestlohn, wie ihn Gewerkschaften und SPD in Deutschland einführen wollen, hat Frankreich schon lange. Mit schlechten Erfahrungen.

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Ein Arbeiter in Berlin, AP

Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen. Was die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns für Deutschland bedeuten würde? „Eine Katastrophe“, sagt Wirtschaftsprofessor René Lasserre. Der Chef des französischen Forschungszentrums über Deutschland (Cirac) weiß, wovon er spricht. In Frankreich gibt es seit vielen Jahren einen gesetzlichen Mindestlohn. Der Smic („Salaire minimum interprofessionnel de croissance“) legt einen Stundensatz von inzwischen 8,27 Euro fest, der höchste des OECD-Raums. „Der Hauptgrund für die hohe Arbeitslosigkeit in Frankreich, vor allem bei wenig qualifizierten Tätigkeiten“, urteilt Lasserre. Eingeführt wurde der Smic nach dem Zweiten Weltkrieg, um den Beschäftigten ein Existenzminimum zu sichern. Seit 1970 soll er den Mindestlohnbeziehern auch die „Teilhabe an der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes“ gewährleisten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, darf niemand schlechter bezahlt werden. Der Smic wird per Gesetz jährlich am 1. Juli angepasst, wobei nicht nur die Teuerungsrate aufgeschlagen wird, sondern auch die Hälfte des Kaufkraftzuwachses des vom Arbeitsministerium festgestellten Durchschnittslohnes – ohne Berücksichtigung von Betriebsgrößen oder der Produktivitätsentwicklung in den einzelnen Branchen. Darüber hinaus haben alle Regierungen in den vergangenen Jahren einen kräftigen Zuschlag gewährt. Seit 2002 fiel dieser besonders üppig aus. Innerhalb von vier Jahren stieg der Smic um rund 20 Prozent. Grund waren die im Zuge der Einführung der 35-Stunden-Woche entstandenen unterschiedlichen Mindestlohnniveaus, die zusammengeführt werden mussten – natürlich nach oben. In keinem anderen Land ist die Zahl der Mindestlohnbezieher so hoch wie in Frankreich: Inzwischen beziehen fast 2,5 Millionen Arbeitnehmer, rund 17 Prozent der Beschäftigten, den Smic. Dies hat viele Arbeitsplätze vernichtet, vor allem im Niedriglohnsektor. Das Statistikamt Insee schätzt, dass eine Anhebung des Smic um zehn Prozent knapp 300.000 Jobs kostet. „Die Unternehmen haben investiert, um die Produktivität zu erhöhen, haben Fertigungen ins Ausland verlagert und neue Projekte gleich anderswo aufgezogen“, erklärt der Arbeitgeberverband Medef. Frankreichs Industrie baut seit fünf Jahren Arbeitsplätze ab, die Wirtschaft hat Weltmarktanteile eingebüßt und laut Medef an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Zwar wurden die den Unternehmen entstandenen Mehrkosten infolge der Einführung der 35-Stunden-Woche und der damit verbundenen Erhöhungen des Smic teilweise kompensiert. Der Arbeitgeberanteil bei den Sozialabgaben für Geringverdiener wurde bis zum 1,6-fachen Betrag des Smic reduziert. Dennoch gehören vor allem Berufseinsteiger und gering Qualifizierte zu den Verlierern der Anhebungen. OECD-Arbeitsmarktexpertin Anne Saint-Martin: „Die Eintrittsschwelle in den Arbeitsmarkt ist zu hoch.“ Insbesondere mittelständische Unternehmen stellen weniger ein, weil die Lohnkosten der Problemgruppen oft höher sind als die Produktivität. Der staatliche Eingriff in die Tarifautonomie hat noch einen weiteren fatalen Nebeneffekt. Da Unternehmen in den unteren Lohngruppen von Abgabenerleichterungen profitieren, erhalten höher qualifizierte und nicht unter die Abgabensenkungen fallende Beschäftigte netto relativ weniger Lohn ausbezahlt. Der Abstand zwischen dem Mindest- und dem Durchschnittslohn hat sich so verringert. Zudem hat die Linksregierung von Premierminister Lionel Jospin 2001 eine „Beschäftigungsprämie“ für Niedriglohnbezieher, eine Art Kombilohn, eingeführt. Diese erreicht inzwischen nach mehreren Erhöhungen der seit 2002 regierenden Mitte-rechts-Regierung fast die Höhe eines 13. Monatsgehaltes. Der Smic kostet den Staat viel Geld. Eine Anhebung um ein Prozent schlägt beim Staatsetat mit Mehrbelastungen von etwa 750 Millionen Euro zu Buche, weil im Gegenzug Abgaben gesenkt und Sozialausgaben, die an die Höhe des Smic geknüpft sind, ausgeweitet werden, hat der Arbeitgeberverband Medef errechnet. Hinzu kommen Subventionen für die vom Staat geschaffenen Jobs, um den durch die Erhöhungen des Mindestlohns arbeitslos gewordenen niedrig Qualifizierten und Jugendlichen eine Beschäftigung zu bieten. Insgesamt kostet den Staat jeder neu geschaffene Arbeitsplatz auf dem Niveau des Mindestlohnes etwa 70.000 Euro, schätzt Wirtschaftsprofessor Lasserre. Doch von solcher Kritik lassen sich die Pariser Politiker nicht beirren. Weil die Konjunktur derzeit gut läuft, wollen sie nun die „Früchte des Wachstums“ verteilen. Sowohl die Kandidaten der Linken als auch Premierminister Dominique de Villepin wollen den Mindestlohn von derzeit 1254,28 Euro monatlich bis zum Ende der kommenden Legislaturperiode im Jahr 2012 auf monatlich 1500 Euro anheben. Lasserre: „Ein Wahnsinn.“

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