Freytags-Frage

Findet Davos Antworten auf die Krisen der Welt?

Chaos in Nahost, Flüchtlingskrise und Renationalisierung: Die Mächtigen beim Weltwirtschaftsforum wissen, dass die Welt Antworten verlangt. Es gibt Hoffnung – wenn wir zu kluger Wirtschaftspolitik zurückfinden. Eine Kolumne.

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Die illustre Gästeliste von Davos
Alexis Tsipras Quelle: dpa
Joachim Gauck Quelle: dpa
Manuel Valls Quelle: AFP
Joe Biden Quelle: AP
David Cameron Quelle: REUTERS
Benjamin Netanjahu Quelle: AP
Ahmet Davutoglu Quelle: REUTERS

Seit über 40 Jahren treffen sich Spitzenpolitiker, hochrangige Vertreter der Wirtschaft und Wissenschaftler in Davos, um nach Lösungen für die drängendsten Probleme der Weltwirtschaft zu suchen. Dieses Jahr werden 2500 Teilnehmer erwartet. Die Vorstellung, dass 2500 Personen, und seien sie noch so klug und hochrangig, in vier Tagen die Welt retten, ist natürlich abenteuerlich. In den vergangenen Jahren ist auch nicht viel bei den Foren herausgekommen. In erster Linie geht es den Teilnehmern wohl um die Pflege der eigenen Netzwerke. Insofern konnte man (zurecht) nur wenig Konstruktives vom Weltwirtschaftsforum erwarten.

Dennoch sieht es dieses Mal etwas anders aus. Vielleicht sollte das Forum einmal liefern. Denn wie aus einer gerade vom World Economic Forum (WEF) veröffentlichten Umfrage hervorgeht, werden die Risiken für die Welt und die Weltwirtschaft in diesem Jahr als besonders hoch eingeschätzt – Terror, das Flüchtlingsproblem, die Klimaveränderung und die Schwäche der Schwellenländer, namentlich der BRICS sind die wesentlichen Treiber dieser Risiken. Hinzu kommen bedenkliche Arbeitsmarktprognosen – besonders aus Sicht junger Menschen.

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Und in der Tat bedrohen diese Probleme nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung in vielen Entwicklungsländern, die von Gewalt betroffen sind, sondern drohen auch die politische Ordnung in den reichen Zielländern zu destabilisieren. Die liberale Ordnung wird immer mehr von Nationalismen und dem Ruf nach Schutz vor ausländischer Konkurrenz (durch Handel oder durch Wanderung) bedroht. Die Diskussion in Deutschland kann als Zeugnis dafür genauso wie die jüngsten Regionalwahlen in Frankreich oder die Entwicklungen in Polen seit der dortigen Parlamentswahl dienen. Europa droht sogar eine Spaltung.

Vor diesem Hintergrund und in Kenntnis der Folgen ähnlicher Situationen in der Historie sollte man doch erwarten, dass die Menschheit heute klüger ist als im 20. Jahrhundert und die aufkommenden Xenophobien und Gewaltorgien im Keim erstickt – und zwar auf dem Verhandlungswege. Es zeigt sich zunehmend, dass sich niemand mehr erfolgreich von allen Problemen der Welt abschotten kann. Ob Crash in China, Flüchtlingsdrama oder Terrorismus – alle Welt ist betroffen. Simple Strategien wie die von Frau le Pen und der AfD vorgeschlagene (Grenzen zu, Ausländer raus) verfangen nicht, dennoch fallen viele darauf herein.

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Dies mag damit zu tun haben, dass auch die politischen Entscheidungsträger mit legitimierter Gestaltungsmacht vor allem simple Argumentationsmuster vortragen und einfache Lösungen verfolgen. Noch hat kein deutscher Regierungspolitiker von Rang eine Strategie vorgestellt, mit der der Flüchtlingsstrom gemeistert und die offenkundigen Defizite in der Integration von Migranten beseitigt werden können. Es ist nicht leicht, aber wer sich mit einfachen und wohlklingenden Aussagen („Wir schaffen das“, „Fällt der Euro, fällt Europa“) begnügt, muss damit rechnen, dass andere mit noch einfacheren Sprüchen (siehe oben) ebenfalls punkten.

Hier könnte, nein muss das Treffen in Davos Maßstäbe setzten. Dazu ist es nötig, dass die Teilnehmer erkennen, dass alle verlieren, wenn es keine Änderung des Verhaltens gibt.

Globalisierung - Grundlage einer bürgerlichen Ordnung

Schottet sich Europa weiter ab (d.h. die Grenzen werden für Menschen und bleiben für Güter aus Entwicklungsländern geschlossen), kann es scheinbar gewinnen; nämlich dadurch, dass die Flüchtlingsströme unterbrochen und kurzfristig unrentable Arbeitsplätze gesichert werden. Es verliert aber langfristig, weil sich die Ströme nicht aufhalten lassen, wenn die Ursachen fortbestehen, und durch eine Unterbrechung der Arbeitsteilung.

Die Menschen in den Entwicklungsländern verlieren ebenfalls, wenn Wanderungen nicht mehr möglich sind und Kommunikation gestört wird. Das spielt den Kriegstreibern in Nahost und anderswo in die Hände. Die Not wird immer größer und damit auch der Wanderungsdruck. Es ist allerdings hoch wahrscheinlich, dass die meisten Menschen lieber in ihrer Heimat bleiben und dort nach Wohlstand streben wollen. Zahlreiche Studien zeigen, dass Terror und Wohlstand negativ miteinander in Beziehung stehen. Andere Studien belegen, dass die Integration von Menschen und Unternehmen in die Weltwirtschaft beziehungsweise die Teilnahme an der Globalisierung Wohlstand bringt und eine breiter werdende Mittelschicht entstehen lässt. Diese ist die Grundlage einer bürgerlichen Ordnung. Die Erfolge des Islamischen Staats werden erst abflauen, wenn es den Menschen besser geht und eine Mittelschicht auch in den Operationsgebieten der Terroristen ihre Anziehungskraft verringert.

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von Sven Prange

Diese ist die Grundlage einer bürgerlichen Ordnung. Die Erfolge des Islamischen Staats werden erst abflauen, wenn es den Menschen besser geht und eine Mittelschicht auch in den Operationsgebieten der Terroristen ihre Anziehungskraft verringert.

Das Signal muss deshalb ganz anders lauten. Es muss deutlich werden, dass die reichen Länder weder Terror akzeptieren noch die Freiheiten aufzugeben bereit sind, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa, den USA und anderen OECD-Ländern erstritten worden sind. Es muss auch deutlich werden, dass sie verstanden haben, dass der westliche Lebensstil und der Wohlstand nur aufrechterhalten werden können, wenn auch Menschen in anderen Ländern am Wohlstand partizipieren können.

In den vergangenen Jahren sind zudem multilaterale Initiativen, zum Beispiel im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) oder der Vereinten Nationen (UN) eher zurückgedrängt worden. Stattdessen gibt es bilaterale Integrationsbestrebungen im Bereich des Handels und zunehmend politische Alleingänge und Nationalismen. Für die Entwicklung der Weltwirtschaft und des Weltfriedens sind beide Tendenzen nicht von Vorteil (wobei vor allem Nationalismen negative zu Buche schlagen).

Deshalb ist ein Umdenken nötig, damit multilaterale Bemühungen wieder in den Vordergrund rücken. Wir brauchen einen Durchbruch in der Doha-Runde und einen weltweiten Flüchtlingsgipfel, der auch die finanzielle Hilfe für diejenigen Länder an den Grenzen der Krisengebiete in den Blick nimmt. Dieser könnte den interessanten Vorschlag des Bundesfinanzministers von gestern, einen Marshall-Plan für Nahost zu schaffen, diskutieren und umsetzen.

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