
Die Grateful Dead haben in Chicago ihre Abschiedsvorstellungen gegeben. Zwanzig Jahre nach dem Tod von Jerry Garcia und fünfzig Jahre nach ihrer Gründung haben die überlebenden Bandmitglieder beschlossen, sich als Band zu verabschieden. Bleibt dennoch zu hoffen, dass die überlebenden Gründungsmitglieder, allesamt Herren im Rentenalter, aber ohne Pensionärshaltung, nämlich Bob Weir, Phil Lesh, Bill Kreutzman, Mickey Hart und Robert Hunter, auch in den kommenden Jahren noch weiter spielen werden.
Was macht die Dead aus, damit sie in einer wirtschaftspolitischen Kolumne auftauchen? Neben ihrer vielseitigen, dynamischen und großartigen Musik, die die Geschichte nordamerikanischer Musik in einem unverwechselbaren Stil auffängt und umfasst, zeichnet sich die Band durch ein interessantes Geschäftsmodell aus. Nebenbei bemerkt: Nebenbei bemerkt: Die akademische Welt befasst sich regelmäßig mit dem Phänomen.





Die Band bzw. Ihre Mitglieder leben die Form des Kapitalismus, die jedem Ordnungspolitiker das Herz höher schlagen lassen würde – würden die Ordnungspolitiker die Grateful Dead nur kennen. Die Dead als Geschäftsleute sind innovativ, kreativ, verantwortungsvolle Arbeitgeber mit Blick auf die Stakeholders (Stichwort Corporate Social Responsibility) sowie gleichzeitig wohltätig und staatsfern.
Zeitlebens war ihr Geschäftsmodell darauf ausgerichtet, eine Gemeinschaft von Fans und Freunden zu schaffen, die die Live-Auftritte in großer Zahl besuchen würde, denn die Dead sind eine, wenn nicht die typische Live-Band. Enmtsprechend innovativ war die Band in technischer Hinsicht, wenn es um den Sound ging. Auf den Konzerten war es jedem Besucher immer gestattet, diese Konzerte mitzuschneiden und sog. Bootlegs zu produzieren. Andere Künstler verbieten dies, ohne zu verhindern, dass diese Aufnahmen gemacht werden und zirkulieren. Die Dead haben das Potential erkannt.

Denn unter den Anhängern der Band – Deadheads genannt – hat sich schnell ein Markt für die Konzertaufnahmen gebildet. Dieser wurde natürlich dadurch gefördert, dass kein Konzert dem andern glich. In fünfzig Jahren wurden immer wieder neue Stücke gespielt, und es gab keine Touren mit streng vorgegebener Setlist. Das führte dazu, dass jedes Konzert anders war. Am Freitag den 3. Juli, war das Programm komplett anders als am Sonntag, den 5. Juli. Die Aufnahmen der Tapeheads sind legendär und zu einem Großteil heute offiziell veröffentlicht. Jeder Deadhead hat ein eigenes Lieblingskonzert.
Vorbildlicher Kapitalismus
Auf diese Weise bildete sich um die Grateful Dead Konzerte eine eigene Kultur heraus. Viele Fans reisten mit – bei der letzten Reise nach Europa im Herbst 1990 waren rund 2000 Amerikaner mit dabei, die z.B. der Stadt Essen ein eigentümliches Flair von “Flower Power“ gaben.
Diese Fans schufen einen Markt für Devotionalien aller Art, z.B. T-Shirts, Poster und eben für Schallplatten, Cassetten oder CDs. Auf diese Weise konnten alle im Umfeld der Dead ihren Lebensunterhalt verdienen.





Darüber hinaus wurden diese und viele Millionen Deadheads über die Jahre treue Besucher der Konzerte und kauften nebenbei auch die offiziell verlegten Schallplatten und CDs. Zur Vermarktung letzterer gründeten die Dead ihr eignes Schallplatten-Label. Auch waren sie unter den ersten, die das Internet umfassend nutzten. Ihre Geschäfte wickelte die Band immer in einer Art Familienunternehmen ab, zu dem Dutzende von Freunden, Familienmitgliedern und Fans gehörten. Dem Vernehmen nach herrschte eine besondere Form der Mitbestimmung in diesem „Unternehmen“.
Zur Unterstützung von sozial Schwächeren, zur Förderung des Umweltschutzes und zur Hilfe von Künstlern gründete die Band bereits 1983 die Rex Foundation. Heute gründet nahezu jeder Künstler oder Sportstar eine Stiftung, damals war es neu und ungewöhnlich.
Schließlich zur Staatsferne: Es ist nicht vorstellbar, dass Jerry Garcia sich beim Landesmusikpreis des Kultusministers für Nachwuchsbands beworben hätte. Die Bandmitglieder waren bzw. sind zu sehr Individualisten, die sich ungern in eine Struktur einbinden lassen hätten. Die Band hat aber auch für ihre Verluste – z.B. durch das verwehte Konzert bei den Pyramiden von Gizeh 1978 – selber eingestanden.
Konjunktur
Wie gesagt, diese Art des mittelständischen – und individualistischen – Kapitalismus ist vorbildlich. Innovative Unternehmer mit großartigen weltweit nachgefragten Produkten: als Tipp für den Feierabend hier der Link zu Althea aus der WDR-Rocknacht im März 1981, ab Minute 55:45, mit einer fairen Unternehmensstrategie, die allen Beteiligten nützt, also neudeutsch eine win-win-Situation schafft, mit hoher Verantwortung den Mitarbeitern gegenüber und einem bürgerschaftlichem Engagement: Die Väter der Sozialen Marktwirtschaft wären mit Sicherheit begeisterte Deadheads gewesen!