
Richtig ist daran natürlich erstens, dass die Krise wirklich nicht vorhergesagt wurde, zumindest nicht in dieser Schärfe. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen gibt es keine eindeutige Wahrheit der Ökonomik. Dazu ist die Realität viel zu komplex; es gibt kaum klare Kausalitätsbeziehungen; vieles ist Einschätzungssache. Anders als Naturwissenschaftler können Sozialwissenschaftler - und dazu sind Ökonomen wohl zu zählen - keine kontrollierten Experimente durchführen. Sie konstruieren statt dessen theoretische Modelle über Kausalitätsbeziehungen, die dann mittels statistischer Methoden und vorliegender Daten getestet werden. Es werden dabei politische Rahmenbedingungen vorausgesetzt, die natürlich eine gewisse Konstanz aufweisen müssen.





Die Vorhersagekraft solcher Modelle hängt erst recht von der Konstanz der Rahmenbedingungen ab. Und da liegt das Problem hinsichtlich der Krisen. Denn sowohl die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise als auch die europäische Staatsschuldenkrise waren das Ergebnis eines grandiosen Politikversagens mit plötzlichem Politkwechsel. Im ersten Fall führte die als Eigenheimförderung ausgestaltete amerikanische Sozialpolitik im Verbund mit laxer Geldpolitik und innovativem (aber nicht unbedingt gemeinwohlorientiertem) Verhalten der Finanzmarktakteure (Stichwort strukturierte Anlageobjekte) zum Aufbau und zum Platzen einer Immobilienblase. Die Eurokrise ist vor dem Hintergrund der Notwendigkeit konstanter Rahmenbedingungen ebenfalls ein Problem für Prognostiker. Sie ist das Ergebnis unsolider Fiskalpolitik im Verbund mit zumindest ideenreicher – manche meinen sogar rechtswidriger - Interpretation der Regeln der EWU. Anders gewendet: Die Regeln der EWU galten nur solange, wie es den Eliten passte; das wurde in der Tat in vielen makroökonomischen Modellen nicht berücksichtigt.
Ökonomen dafür verantwortlich zu machen, dass sie unverantwortliches Handeln der politischen Eliten nicht korrekt antizipiert hätten, ist aber nicht schlüssig. Was würde es für einen Aufschrei in der Politik hervorrufen, wenn in den makroökonomischen Modellen der Bundesbank oder der Wirtschaftsforschungsinstitute systematisch eine Variable für kriminelle Energie europäischer Politiker eingebaut würde und diese auch noch zum Standardwissen in den Lehrbüchern erhoben würde?