Frühjahrsgutachten Die Dekarbonisierung kostet Wohlstand

Quelle: imago images

In ihrem Frühjahrsgutachten kritisieren die Wirtschaftsforschungsinstitute die Reaktionen der Bundesregierung auf die Energiekrise. Die angestrebte Dekarbonisierung der Wirtschaft zwingt die Bürger, den Gürtel enger zu schnallen. Eine Analyse.

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Zweimal im Jahr legen die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute der Bundesregierung ihr Gemeinschaftsgutachten zur Konjunktur vor. Häufig landen die Elaborate ungelesen in den Aktenschränken des Wirtschaftsministers. Zumindest gilt dies für den Teil der Gutachten, in dem die Institute Stellung zur Wirtschaftspolitik der Regierung beziehen. Denn dort hagelt es nicht selten Kritik. So auch im aktuellen Frühjahrsgutachten. 

Im Zentrum des wirtschaftspolitischen Teils des Gemeinschaftsgutachtens steht – wie nicht anders zu erwarten – die Energiekrise und die Reaktionen der Bundesregierung darauf. Der raketenhafte Anstieg der Energiepreise im Zuge der Coronapandemie und des Ukraine-Kriegs ist für die Wirtschaft ein exogener Schock. Daher halten die Institute es für angebracht, Unternehmen mit einem funktionierenden Geschäftsmodell, die durch die Preishausse kurzfristig in Liquiditätsschwierigkeiten geraten, durch temporäre staatliche Finanzhilfen zu unterstützen.

Allerdings warnen die Ökonomen davor, die Zahlungen zu Dauerhilfen werden zu lassen.  Es sei absehbar, dass die Verteuerung von Energie langfristiger Natur sei. Dauerhafte Hilfen verzögerten die notwendige Anpassung und damit den Strukturwandel. 

Kritisch sehen die Institute die Hilfen der Regierung für die privaten Haushalte. Zwar sei es angebracht, einkommensschwache Haushalte, die durch die Energiepreishausse besonders getroffen werden, finanziell gezielt zu entlasten, wie dies etwa durch den Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger geschehe. Auch die Anhebung des Grundfreibetrags, des Arbeitnehmerpauschbetrags und der Fernpendlerpauschale seien berechtigt. Denn aus „steuersystematischer Sicht“ sei es nötig, die gestiegenen Kosten der Existenzsicherung bei der Besteuerung zu berücksichtigen.

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Eingriffe in die Preisbildung kontraproduktiv

Wenig halten die Forscher jedoch davon, allen Haushalten zum Ausgleich der höheren Energiepreise Transfers zu gewähren. Das heize die Inflation weiter an. Die Regierung solle daher bei ihren Hilfen nachsteuern, um deren „Zielgenauigkeit zu erhöhen“, fordern die Institutsökonomen. 

Eingriffe in die Preisbildung, etwa in Form von Obergrenzen für die Kraftstoffpreise, lehnen die Forscher als „kontraproduktiv“ ab. Sie behinderten die nötigen Anpassungen an die veränderten Knappheitsverhältnisse. Das gelte auch für die Absenkung der Kraftstoffsteuer, die daher nur kurzfristig gewährt werden sollte. Was die Institute hier jedoch übersehen: Die Kraftstoffsteuer selbst ist ein Eingriff des Staates in die Preisbildung. Sie verteuert Benzin, Diesel und Co schon seit Jahren und suggeriert dadurch eine Knappheit, die es so nicht gibt.

Auch auf das Problem eines möglichen Lieferstopps für russisches Erdgas gehen die Institute in ihrem Gutachten ein. Komme es dazu, werde es nötig sein, Gas zu rationieren. Deutschland drohe dann in diesem und dem nächsten Jahr ein kumulierter Verlust an Wirtschaftsleistung von 220 Milliarden Euro, was mehr als 6,5 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung entspricht. Auch wenn die Institute es vermeiden, in dem Streit über die Sinnhaftigkeit eines sofortigen Importstopps Partei zu ergreifen, sind ihre Berechnungen zu den Kollateralschäden doch als Mahnung an all jene Kräfte zu verstehen, die glauben, ein Importstopp von Russen-Gas gleiche einem Spaziergang für die deutsche Wirtschaft. 

Auktionen statt Rationierung

Zweifel äußern die Institute daran, dass es der Politik gelingt, Gas so zu rationieren, dass dabei die volkswirtschaftlichen Kosten minimiert werden. Daher schlagen sie vor, die Gasmengen unter den Unternehmen zu versteigern. Das Kalkül dahinter: Je höher die befürchteten betriebswirtschaftlichen Verluste durch den Verzicht auf Gas sind, desto höher ist der Preis, den ein Unternehmen für den Brennstoff bietet. Das knappe Gut wandert auf diese Weise dorthin, wo es am dringendsten benötigt wird und den höchsten Beitrag zur volkswirtschaftlichen Wertschöpfung leistet.

In einem Sonderkapitel des Gutachtens setzen sich die Institutsökonomen mit den Folgen der von der Bundesregierung avisierten Dekarbonisierung der Wirtschaft auseinander, die im Zuge des Ukraine-Kriegs noch an Fahrt aufgenommen hat. Die von der Politik angestrebte Reduktion der CO2-Emissionen um 65 Prozent bis 2030 lasse sich nur durch eine „drastische Reduktion des Primärenergieverbrauchs fossiler Energieträger“ erreichen, schreiben die Forscher. Dieser könne jedoch nur „zu einem relativ geringen Teil“ durch den Ausbau erneuerbarer Energien ausgeglichen werden. Eine Energiewende ohne Produktionseinbußen sei daher nur mit „deutlichen Technologiesteigerungen“ und einem „effizienteren Einsatz von Energie“ möglich.

Klimaschutz bringt kein zusätzliches Wachstum

Die Hoffnung, der Umbau der Wirtschaft zugunsten einer klimaneutralen Produktion werde das Wachstum ankurbeln, wie sie vor allem Politiker der Grünen hegen, halten die Institute für eine Illusion. Denn der bestehende Kapitalstock (Benzin-Autos, Kohlekraftwerke), der durchaus noch funktioniert, wird lediglich durch einen neuen Kapitalstock (E-Autos, Windräder) ersetzt. Ein Kapazitätsaufbau, der das Produktionspotenzial erhöht, ist damit nicht verbunden. Der Ausbau erneuerbarer Energien binde vielmehr Ressourcen, die nicht für anderweitige Zwecke genutzt werden können, schreiben die Institute: „Einschränkungen beim Konsum sind somit nicht zu vermeiden“. 

Im Klartext heißt das: Die Dekarbonisierung der Wirtschaft, die Politiker aller Couleur allenthalben als allein-seligmachende Heilslehre preisen, wird den Bürgern viel Verzicht abverlangen und ihren Wohlstand schmälern. Der Urlaub auf Mallorca könnte so schon bald zum Luxusgut werden, das sich nur noch wenige leisten können. Den Instituten gebührt Lob, dass sie dies offen benennen und die weit verbreitete Vorstellung, Klimaschutzpolitik sei zugleich Wachstumspolitik, als Mär entlarven.

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Was die Institutsforscher in ihrem Gutachten jedoch versäumt haben, ist eine Alternative zur vorherrschenden Dekarbonisierungs-Strategie aufzuzeigen. Diese Alternative besteht in der Anpassung an den Klimawandel. Auch die Anpassung ist nicht kostenlos und erfordert technologische Innovationen. Doch sie verhindert die Destruktion des noch funktionierenden Kapitalstocks, sichert die energetische Grundlage für eine störungsfreie industrielle Produktion und bietet im Hinblick auf die mangelnde Aussicht auf globale Gefolgschaft bei der Dekarbonisierung die Chance, die Herausforderungen des Klimawandels zu bewältigen, ohne dabei die Grundlagen unseres Wohlstands durch eine energiepolitische Geisterfahrt zu zerstören.

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