Gary Becker Der ökonomische Imperialist

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Erleuchtung durch Friedman

Milton Friedman Quelle: AP

Das ändert sich erst, als er 1951 an die Universität Chicago wechselt. Dort belegt er Mikroökonomie – bei einem gewissen Milton Friedman. Der Wechsel nach Chicago „zählt zu den klügsten Entscheidungen, die ich in meinem Leben getroffen habe“, sagt Becker rückblickend, und Friedmans Vorlesung zur Preistheorie war „die aufregendste Vorlesung, die ich je erlebt habe“. Becker ist fasziniert, wie Friedman die mikroökonomische Theorie und die Lenkungswirkung von Preisen nutzt, um ökonomische Verhaltensweisen zu erklären. Becker entwickelt diese radikal weiter. Seine Dissertation widmet er einem Thema, das Ökonomen damals nicht beachteten und bei der Soziologie besser aufgehoben glaubten – der Diskriminierung von Minderheiten. Die Arbeit wird zum Grundpfeiler seines wissenschaftlichen Lebenswerks.

Becker entwickelt einen „Diskriminierungskoeffizienten“, der die Auswirkungen von Hautfarbe, Geschlecht und anderer persönlicher Merkmale im Wirtschaftsleben abzubilden versucht. Die Diskriminierungsintensität misst er anhand der Frage, auf wieviel Gewinn oder Lohn die Angehörigen einer Gruppe maximal verzichten, um mit Mitgliedern einer anderen Gruppe nicht zusammenarbeiten zu müssen.

So kann Becker schließlich nachweisen, dass Rassendiskriminierung nicht nur den Opfern wirtschaftlich schadet, sondern meist auch den Tätern – und dass die Wahrscheinlichkeit diskriminierenden Verhaltens umso größer ist, je weniger Wettbewerb auf einem Markt herrscht. Wenn etwa ein weißer Unternehmer aus Prinzip keine schwarzen Fachkräfte oder ein männlicher Chef keine qualifizierten Frauen einstellt, geht dies auf lange Sicht zulasten des Betriebs – weil er Humankapital verliert und andere Unternehmen die Leute übernehmen. Becker fand zudem heraus, dass in Märkten mit funktionierendem Wettbewerb die Lohnunterschiede zwischen weißen und schwarzen oder männlichen und weiblichen Arbeitnehmern deutlich geringer sind als bei einer gestörten Konkurrenzsituation.

Zwar lobt ihn sein Mentor Milton Friedman für diese Arbeit, doch der Weg zum Ruhm wird steinig. Die Ökonomenzunft reagiert zunächst ablehnend auf Beckers Versuch, soziale und politische Fragen mit ökonomischen Analysemethoden zu beantworten. Becker registriert „erheblichen und böswilligen Widerstand“ und beklagt einen „ausgeprägten intellektuellen Konservatismus“, mit dem sich Ökonomen, Soziologen und Politikwissenschaftler gegenüber anderen Disziplinen abzuschotten versuchen. Als sich Becker um eine Professur außerhalb von Chicago bemüht, hagelt es Absagen.

Die Gedanken gehen nicht aus

Erst 1957 klappt es dann doch. Becker wechselt an die Columbia University in New York, sein Ansehen in der Ökonomenzunft steigt, seine Forschungsarbeiten, etwa zur Humankapitaltheorie, erregen großes Aufsehen. 1967 verleiht ihm die American Economic Association ihre „John Bates Clark Medal“, die wichtigste Auszeichnung für US-Wirtschaftswissenschaftler unter 40 Jahren. 1970 kehrt Becker nach Chicago zurück, wo er fortan Preis- und Humankapitaltheorie unterrichtet. Der klein gewachsene Ökonom mit der sonoren Stimme sei dort selbst im Kreise international renommierter Forscher „intellektuell dominierend“ gewesen, erinnert sich Ökonom Pies, der 1993 in Chicago einige Zeit bei Becker studierte. „Becker war ein zurückhaltender Typ, hatte aber eine besondere Aura und unglaubliche Präsenz.“

Von 1985 bis 2004 wendet sich Becker auch einem breiteren Publikum zu – in einer monatlichen Kolumne in der „Business Week“. Anschließend baut er einen interdisziplinären Internet-Blog mit dem Juristen und Richter Alan Posner auf, der auf große Resonanz stößt. 2007 verleiht ihm der damalige US-Präsident George W. Bush die „Presidential Medal of Freedom“, eine der höchsten zivilen Auszeichnungen der Vereinigten Staaten.

Becker ist heute einer der meistzitierten lebenden Ökonomen – und bekennender Konservativer. „Ich stamme aus einer ungebildeten Familie, in der es keine Bücher gab. Doch die Chancen und Möglichkeiten, die mir mein Land gab, waren enorm. Deshalb fühle ich mich als Patriot und bin stolz, Amerikaner zu sein.“ Der Wissenschaftler, der nach dem Tod seiner ersten Frau zwei Töchter alleine großzog, lebt mit seiner zweiten Frau Guity Nashat zusammen, einer im Iran geborenen Historikerin.

Zur Ruhe setzen will er sich trotz seines hohen Alters noch nicht, denn: „Ich habe noch nicht das Gefühl, dass mir die Gedanken ausgehen.“

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