Gastbeitrag Zentralbanken tragen mehr Schuld, als sie denken

Die Zentralbanken haben die Schuld für die Finanzkrise den Banken in die Schuhe geschoben, obwohl sie selbst keine Unschuldslämmer sind. Warum Kredite in der Geldpolitik das Notenbank-Casino bremsen könnten.

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Im Kasino der Zentralbanken leihen sich die weltgrößten Notenbanken untereinander unbefristet Geld und heizen damit die globale Geldvermehrung an. Quelle: dpa, Montage

Es war einmal ein Jäger, der richtete seinen Hund so ab, dass er ganz vom Jagdfieber besessen war. Eines Tages hetzte der Hund das Wild so lange, bis es in die Felder der Bauern lief und dort die gesamte Ernte zertrampelte. Da schob der Jäger die Schuld auf den Hund und prügelte ihn den ganzen Tag, um den Zorn der Bauern zu kühlen. In der Nacht aber schickte er ihn weiter auf die Jagd. Doch der geprügelte Hund hatte die Lust am Jagen verloren. Da hetzte der Jäger selbst das Wild, bis es wieder großen Schaden anrichtete. Nun erkannten die Bauern den Schuldigen und schickten ihn fort.

So oder so ähnlich hätten die Gebrüder Grimm die Finanzkrise erzählen können, hätten sie diese durchlebt. Die Rolle des Jägers spielen die Zentralbanken, die des Hundes die Banken, und die zornigen Bauern verkörpern die Wirtschaft. Offen bleiben in der grimmschen Variante der Geschichte, wie so oft in Märchen, die Motive der Handelnden und ihre Beziehungen zueinander. Davon soll im Rest dieses Essays die Rede sein.

Nachdem die Geldmenge als Zwischenziel für die Geldpolitik während der Achtzigerjahre aus der Mode gekommen war, schwenkten die Zentralbanken im Laufe der Neunzigerjahre mehr oder weniger explizit auf die direkte Verfolgung von Inflationszielen ein. Als technisches Gerüst diente ihnen das neu-keynesianisch, neoklassische Fusionsmodell, in dem die Inflation über die Phillipskurve durch die Kapazitätsauslastung in der realen Wirtschaft erklärt wird. Der Finanzsektor kommt in diesem Modell nur indirekt als Vermittler zwischen Sparern und Investoren vor. Da dort die Finanzmärkte effizient sind und die Wirtschaftssubjekte rationale Erwartungen haben, hat er gegenüber der Realwirtschaft eine dienende und keine beherrschende Rolle.

Thomas Mayer, ehemaliger Chefvolkswirt und Leiter der Analysetochter Deutsche Bank Research, kritisiert die Zentralbanken. Quelle: dpa

Als technischer Fortschritt und die Integration der Schwellenländer in den Neunziger- und frühen Zweitausenderjahren von der Angebotsseite ausgehenden deflationären Druck auf die Preise ausübten, hatten die Zentralbanken alle Hände voll zu tun, ihre positiven Inflationsziele zu erreichen. Wie es das Modell befahl, senkten sie die Leitzinsen auf immer tiefere Werte. Dabei entging ihnen, dass der Finanzsektor der Realwirtschaft keineswegs nur dienen, sondern sie auch beherrschen kann. In unserem System der teilweisen Deckung von Bankeinlagen durch Zentralbankgeld werden Geld und Kredit in einer öffentlich-privaten Partnerschaft von der Zentralbank und den Geschäftsbanken geschaffen. Die Zentralbank beeinflusst über ihre Leitzinsen die Kreditnachfrage. Die Geschäftsbanken schaffen bei der Befriedigung der Kreditnachfrage Geld, indem sie den Kunden die vergebenen Kredite auf den Girokonten gutschreiben. Das Gefährliche an diesem System ist, dass Investitionen über die Kreditvergabe angestoßen werden können, ohne dass entsprechende Ersparnisse zu ihrer Finanzierung vorhanden sind. Entgegen der in den Lehrbüchern immerwährenden Gleichheit von Ersparnis und Investition können die Letzteren die Ersteren geraume Zeit übersteigen, wenn der Zins unter seinen natürlichen Wert, der den Ausgleich herstellt, manipuliert wird. Dann wird so lange mehr investiert und weniger gespart, bis das Kapital und die Arbeit knapp werden. Steigen dann die Zinsen und Löhne müssen halb fertige Projekte abgebrochen und die zu ihrer Verwirklichung vergebenen Kredit abgeschrieben werden.

Wie die platzende Immobilienblase in den USA die Weltwirtschaft zum Wanken brachte.

Die Liquidierung der Fehlinvestitionen führt in die Rezession und Finanzkrise. Blind für diese Zusammenhänge fachten die Zentralbanken mit ihrer Politik der immer niedrigeren Zinsen einen kreditfinanzierten Investitionsboom an, der um die Jahrtausendwende zunächst den Technologiesektor und später in größerem Maß den Immobiliensektor erfasste. Mit dem Platzen der Immobilienpreisblase in 2007 begann die globale Finanzkrise, deren Ende heute noch nicht abzusehen ist.

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