Crowding Out ist ein Begriff aus der Makroökonomie und beschreibt die Effekte wenn der Staat Aufgaben in der Wirtschaft übernimmt und dabei - gewollt oder ungewollt - privatwirtschaftliche Unternehmen vom Markt verdrängt. Dabei gilt in den meisten Fällen, dass die staatlichen Unternehmen weniger effizient arbeiten als privatwirtschaftliche Unternehmen. Am Ende dieses Prozesses sinkt also die gesamtwirtschaftliche Effizienz mit negativen Auswirkungen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Dieses Phänomen des Crowding Out lässt sich zur Zeit aber an Orten feststellen, wo man es wohl nie erwartet hätte: an den Märkten für Staatsanleihen.
Einen großen Anteil an der niedrigen Liquidität am Rentenmarkt haben zweifelsohne die immensen Ankaufprogramme der Notenbanken rund um den Globus. Das Vereinigte Königreich, die Vereinigten Staaten, Japan – nicht nur hier waren „Quantitative Easing“ und „Credit Easing“ über die Krisenjahre seit 2007 probate Mittel, um geldpolitisch Flagge zu zeigen. In Zeiten, in denen die Leitzinsen nahezu weltumspannend gegen Null tendierten, griffen viele Notenbanken auf einen großangelegten Ankauf gerade von Staatsanleihen zurück, um die Geldpolitik noch stärker als zuvor auf Expansion auszurichten.
Seit 2009 und damit innerhalb von weniger als fünf Jahren hat beispielsweise die Bank von Japan ihren Anteil an den insgesamt ausstehenden Staatsanleihen Nippons (JGBs) von 7,4 Prozent auf rund 19 Prozent per erstes Quartal 2014 gesteigert – Tendenz weiter ansteigend. Dabei ist in diesem Zeitraum das Gesamtvolumen der Staatsanleihen keinesfalls gleich geblieben, sondern um knapp ein Viertel angewachsen. Dies zeigt, wie überproportional stark sich die Bank of Japan momentan am Staatsanleihemarkt ihres Landes engagiert.
Die Folgen der EZB-Niedrigzinspolitik
Werden die Zinsen künstlich abgesenkt, so verringert sich der Reformdruck auf Regierungen und Banken, ihre Haushalte beziehungsweise Bilanzen zu verbessern.
Ein künstlich tief gehaltener Zins verhindert, dass unprofitable Investitionsprojekte also Fehlinvestitionen aufrecht und befördert werden.
Künstlich tiefe Zinsen lösen (inflationäre) Spekulationswellen aus, führen zu „Boom-and-Bust“-Zyklen: überhitzte Situationen, in denen, wenn niemand mehr bereit ist, Kredite zu finanzieren, alles in sich zusammenbricht.
Künstlich niedrig gehaltene Zinsen befördern die Schuldenwirtschaft, insbesondere die der Staaten und der Bankenindustrie.
Vor dem Hintergrund einer empfindlichen Dominanz der japanischen Notenbank am Markt für japanische Staatsanleihen verwundert eine Meldung aus der zurückliegenden Woche nicht. Demnach ist der Börsenhandel in japanische Staatsanleihen an gleich mehreren Handelstagen jeweils für Stunden eingestellt worden. Die kaum vorhandene Liquidität im Markt hat offensichtlich keine andere Entscheidung möglich gemacht. Ein Sprecher des japanischen Finanzministeriums hat in diesem Zusammenhang aus einer Umfrage unter Investoren zitiert. Demnach sind viele JGB-Investoren der Meinung, dass primär die anhaltenden Staatsanleihekäufe der japanischen Notenbank für das gegenwärtig stark gedrückte Handelsgeschehen am JGB-Markt verantwortlich seien.
Offensichtlich treten die japanischen Währungshüter bei den halbwegs liquiden Emissionen unter den JGBs praktisch als einziger Käufer auf, während die Halter von JGBs nur wenig Antrieb verspüren, ihre Bestände zu aktivieren und diese anzubieten, da es an Anlagealternativen fehlt.
Zentralbanken dominieren das Handelsgeschehen
Ein ähnliches Phänomen lässt sich aktuell auch im Euroraum feststellen, wenn auch nicht ganz so dramatisch. Ein Indiz hierfür sind die Kursschwankungen im Bund-Future, dem zentralen Barometer des Rentenmarktes im Euro-Raum. Zu den Hochzeiten der Euro-Krise waren bei diesem Bund-Future Tagesschwankungen zwischen Hoch und Tief von 80 Ticks eher die Regel als die Ausnahme.
Nach der Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers, nach der Griechenlandkrise 2010 und zu Zeiten der Euro-Fiskalkrise ein gutes Jahr später waren selbst 100 Ticks Tagesschwankung im Monatsdurchschnitt über viele Wochen hinweg keine Seltenheit. Verglichen hiermit hat sich das Handelsgeschehen im laufenden Jahr nahezu vollständig „normalisiert“. Für die Zeit seit Jahresbeginn pendelt die durchschnittliche Handelsspanne eines Tages unterhalb von 60 Ticks – nicht mehr allzu weit entfernt von den gut 40 Ticks vom Beginn des Jahres 2007. In Renditestellen ausgedrückt: Von acht bis zehn Basispunkten Handelsspanne am Tag zurück zu den angestammten Größenordnungen von rund drei Basispunkten.
Einher geht die aktuell verminderte Handelsspanne mit einem im Trend nachlassenden Handelsvolumen. In zehn der zurückliegenden zwölf Monate hat sich die Anzahl der über die Börse gehandelten Bund-Future gegenüber dem jeweiligen Vorjahresvergleichsmonat nennenswert vermindert. So hat im vergangenen Mai das Handelsvolumen im Bund-Future den Vergleichswert zwölf Monate zuvor um nahezu ein Drittel unterschritten. Seit Ausbruch der Weltfinanz-, Weltwirtschafts- und Eurokrise scheint sich die Anzahl getauschter Stücke grundsätzlich verringert zu haben. Seit dem Heraufziehen der Lehman-Turbulenzen sind, anders als zuvor, nie wieder mehr als 25 Millionen Kontrakte im Bund-Future pro Monat gehandelt worden. Für die Zeit seit Anfang 2012 liegt der Durchschnittswert bei gerade einmal knapp 15 Millionen Stück.
Passend dazu, dass die Kapitalmarktteilnehmer weniger aktiv sind beim liquidesten Rentenmarktinstrument des Euro-Finanzmarktes, meldet die Deutsche Finanzagentur nicht zufällig eine bemerkenswerte Verschiebung im Anlegerkreis deutscher Bundesanleihen. Auf Basis der aktuellsten bislang vorliegenden Zahlen zum Jahr 2012 zeigt sich, wie sehr gerade Zentralbanken das Handelsgeschehen bei den Bunds dominieren. Weit mehr als die Hälfte aller Netto-Käufe von Bunds entfielen 2012 auf diese Investorenklasse. Bei Verkäufen an Zentralbanken außerhalb des Euro-Raums hieß dies in vielen Fällen: Stärkung der jeweiligen Devisenreserven.
Der Einstieg in eine neue Wirtschaftskrise?
Vergleichbare Effekte sind auch in den Vereinigten Staaten sichtbar. Hier hat die Notenbank über die Krisenjahre zwischen 2007 und 2013 ihren Anteil an den ausstehenden US-Staatsanleihen von Werten unterhalb von zehn Prozent auf gut 15 Prozent ausgeweitet. Dies gibt bereits längere Zeit Anlass zu der Vermutung, dass die offiziellen Stellen in den Vereinigten Staaten versucht sein könnten, den global operierenden Investoren einen zukünftig gegebenenfalls anstehenden Ausstieg aus US-Anleihen zu versauen.
Dies könnte umso virulenter auf die Tagesordnung kommen, wenn die US-Notenbank einen neuen Leitzinserhöhungszyklus beginnen sollte und damit einen breit angelegten Renditeaufwärtstrend initiiert, zumindest für den US-Dollar-Raum.
Tatsächlich meldet die Presse aktuell, dass offizielle Vertreter der Fed den Gedanken hegen, alsbald schon Gebühren in nennenswerter Größenordnung zu erheben, sollten Investoren darangehen, ihre Bestände an US-Dollar-Anleihen zu reduzieren. Den bislang vorliegenden Bekundungen nach sollen sich diese Gebühren schwerpunktmäßig gegen Privatanleger richten, nicht so sehr gegen institutionelle Investoren; auch werde, wie es heißt, nicht der US-Staatsanleihemarkt als gefährdet und daher als schützenswert erachtet, sondern der Markt für US-Unternehmensanleihen. Nichtsdestotrotz: Austrittsbarrieren sind auch immer Eintrittsbarrieren für potentielle Investoren. Ein bereits jetzt auch am US-Staatsanleihemarkt zu spürendes Liquiditätsdefizit wird durch eine Initiative für Austrittsgebühren nur verstärkt.
Ein dysfunktionaler Rentenmarkt, ob nun durch fehlende Liquidität oder durch institutionelle Hürden wie Verkaufsgebühren, ist in der aktuellen Phase sicherlich das letzte was die Notenbanken beabsichtigen. In den USA wird nun schon seit einiger Zeit über den Zeitpunkt der anstehenden Zinswende spekuliert. Gleichzeitig zieht sich die Fed mit immer geringeren Anleihekäufen langsam aus dem Markt zurück. In Großbritannien wird offen diskutiert, ob die Bank of England noch in 2014 oder erst Anfang 2015 anfängt die Zinsen anzuheben.
Wenn die Notenbanken beginnen das aktuell extrem lockere geldpolitische Umfeld zu straffen und die Funktionsfähigkeit der Rentenmärkte nicht gegeben ist, kann es zu starken Kursrückgängen bei Staatsanleihen kommen. Die damit dann merklich ansteigenden Renditen für Staatsanleihen, dürften die zunächst nur leicht restriktiven Effekte der langsam steigenden Notenbankzinsen, deutlich übertreffen und sich entsprechend deutlich negativ auf die realwirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Länder, aber auch der Weltwirtschaft auswirken.
Bei solchen Effekten an den Rentenmärkten lässt sich eine Normalisierung der Geldpolitik nicht sinnvoll managen. Es ist den Notenbanken also dringend anzuraten, wieder für eine Normalisierung der Liquidität an den Rentenmärkten zu sorgen und von institutionellen Handelsbarrieren abzusehen. Wenn man dies versäumt, kann der Ausstieg aus der lockern Geldpolitik, der Einstieg in eine neue Wirtschaftskrise werden.