Geistesblitze der Ökonomie (VI) Wie die Spieltheorie bei Entscheidungen hilft

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Das Gefangenen-Dilemma

Eine Gittertür in einem Gefängnis Quelle: dpa/dpaweb

Experimentelle Ökonomen wie Ockenfels führen diese Spiele nun unter Laborbedingungen durch. Sie lassen Probanden gegen- und miteinander Entscheidungen treffen und beobachten deren Verhalten. Daraus lassen sich Empfehlungen für die Realität ableiten. Zum Beispiel für das Online-Auktionshaus Ebay, dass dank ökonomischer Experimente sein Regelwerk angepasst hat. So schließt sich der Kreis von der Realität über die Spieltheorie ins Labor und zurück in die reale Welt.

Eines der einflussreichsten wissenschaftlichen Spielszenarien, die durch das Nash-Gleichgewicht entstanden sind, ist das sogenannte Gefangenendilemma. Eigentlich von Nashs Kollegen bei der US-Denkfabrik Rand Corporation erdacht, um die Grenzen seiner Idee aufzuzeigen, wird es noch heute in Spieltheorie-Vorlesungen verwendet, um das Nash-Gleichgewicht zu erklären. Die Ausgangssituation ist wie folgt: Zwei Tatverdächtige A und B werden von der Polizei verhaftet und getrennt verhört. Sie haben die Möglichkeit, den anderen zu verpfeifen oder die Aussage zu verweigern. Schweigen beide, reicht die Beweislast nur, um sie für je fünf Jahre hinter Gitter zu bringen. Redet A, während B schweigt, kommt A frei, B wird für 20 Jahre eingesperrt. Umgekehrt gilt das Gleiche, wenn B redet und A schweigt. Reden beide, gibt es für beide je zehn Jahre. Je nach individuellem Verhalten drohen also 5, 10 oder 20 Jahre Knast.

10 Fakten über Entscheidungen
Entscheidungen machen glücklichZu diesem Ergebnis kam der Psychologe Mauricio Delgado von der Rutgers Universität im Jahr 2011. Seine Probanden konnten in einer Übung Spielgeld gewinnen und später gegen echtes Geld tauschen. Auf einem Monitor sahen sie nun zwei kleine Rechtecke. Mal konnten sie selbst entscheiden, welches sie berührten, mal traf der Computer die Wahl. Unmittelbar danach teilte der Rechner ihnen mit, ob sie 0, 50 oder 100 Dollar erspielt hatten. Als Delgado die Probanden fragte, wie sie das Experiment fanden, stellte er fest: Die Teilnehmer hatten mehr Spaß, wenn sie den Knopf selbst gedrückt hatten - unabhängig davon, wie anschließend ihr Gewinn ausgefallen war. Mehr noch: Wenn sie selbst wählen konnten, waren jene Hirnregionen aktiv, die für Belohnungen zuständig sind. Entschied der Computer für sie, hielten diese Regionen still. Quelle: picture-alliance/ obs
Grübeln macht unglücklichEs gibt im Leben leider keine Rückgängig-Taste, obwohl wir die manchmal herbeisehnen. Dann nämlich, wenn wir darüber grübeln, ob wir uns nicht besser anders entschieden hätten – und das macht unglücklich, fand Erin Sparks von der Florida State Universität kürzlich heraus. Die Erklärung: Manche Menschen streben so sehr nach der optimalen Lösung, dass sie sich auch nach dem Entschluss noch fragen, ob sie die richtige Wahl getroffen haben - und dadurch bauen sie keine Beziehung zu der getroffenen Option aus. Wer mit sich hadert, freundet sich nie richtig mit der Entscheidung an - und steht sich und seinem Glück selbst im Weg. Quelle: Fotolia
Manchmal bevorzugen wir wenige OptionenOb wir uns vorher gerne mit vielen oder wenigen Möglichkeiten herumschlagen wollen, hängt davon ab, ob wir die Entscheidungen für uns selbst treffen oder für jemand anderen. Zu diesem Fazit gelangte in diesem Jahr Evan Polman von der Stern School of Business. Bei einem Experiment ließ er 125 Studenten die Wandfarbe eines Schlafzimmers auswählen. Mal ging es um ihr eigenes Zimmer, mal um ein fremdes. Der einen Hälfte gab Polman acht verschiedene Farben zur Auswahl, der anderen 35. Nach der Entscheidung sollten sie ihm sagen, wie zufrieden sie mit ihrer Wahl waren. Kurios: Ging es um das eigene Schlafzimmer, waren jene Probanden zufriedener, die nur acht Wahlmöglichkeiten hatten. Ging es jedoch um ein fremdes Schlafzimmer, waren die Teilnehmer mit 35 Optionen glücklicher. Der Grund: Betrifft die Entscheidung unser eigenes Leben, wollen wir Verluste vermeiden und bloß keine falsche Wahl treffen - und daher bevorzugen wir in diesem Fall weniger Optionen. Quelle: Fotolia
Wir vergessen unsere EntscheidungenLars Hall von der schwedischen Lund Universität zeigte im Jahr 2005 50 Männern und 70 Frauen zwei weibliche Porträtfotos. Sie sollten auswählen, welches Gesicht sie attraktiver fanden. Während die Teilnehmer ihre Entscheidung begründeten, vertauschten die Wissenschaftler heimlich die Fotos. Verblüffend: 70 Prozent der Versuchspersonen bemerkten den Tausch überhaupt nicht und verteidigten ihre "falsche" Wahl. Quelle: dpa-tmn
Teams neigen zu falschen EntscheidungenJulia Minson und Jennifer Mueller von der Wharton Business School stellten Hunderten von Studenten verschiedene Fragen. Vorab durften sie entscheiden, ob sie die Antworten lieber alleine abgeben oder sich mit einem Spielpartner beraten wollten. Nach Abgabe der Antworten wurden ihnen die Schätzungen anderer Teams vorgelegt. Nun hatten sie die Möglichkeit, ihre Antworten noch mal zu revidieren. Und zu guter Letzt sollten sie angeben, wie sicher sie sich waren, dass ihre Antwort nicht weiter als zehn Prozentpunkte von der korrekten Lösung entfernt war. Zwar waren die Antworten der Teams tatsächlicher näher an der Wahrheit, allerdings beugten sie sich seltener dem Rat einer externen Stimme als die Einzelkämpfer – und verschenkten dadurch die Möglichkeit, ihre Antwort noch mal zu verbessern. Quelle: Fotolia
Selbst leichte Entscheidungen fallen schwerEigentlich erscheint es logisch, dass uns nur leichte Entscheidungen nicht schwer fallen. Dennoch fallen uns im Alltag auch banale Entschlüsse schwer – zumindest empfinden wir es so. Nach Angaben von Aner Sela (Universität von Florida) und Jonah Berger (Wharton Business School) liegt das an einer Art gedanklicher Verzerrung: Wir erwarten, dass eine Entscheidung im Grunde unwichtig sein wird, doch plötzlich sehen wir uns mit verschiedenen Optionen konfrontiert. Doch anstatt schnell zu entscheiden, verwechseln wir die Wahlmöglichkeiten mit Wichtigkeit. Und dadurch entschließt sich unser Gehirn gewissermaßen dazu, einer Entscheidung viel Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen - obwohl das streng genommen gar nicht notwendig ist. Quelle: Fotolia
Tibetan spiritual leader the Dalai Lama Quelle: dapd

Nashs Gleichgewicht prognostiziert in diesem Fall, dass beide reden und für zehn Jahre ins Gefängnis gehen. Und das, obwohl sie durch Schweigen die Strafe jeweils halbieren könnten. "Das Gleichgewicht zeigt, wann das Verfolgen von Eigeninteresse zum sozialen Optimum führt und wann nicht", sagt Spieltheorie-Experte Rieck. Im Gefangenendilemma stünde die Kooperation auf wackligen Beinen. In diesem Fall hätten beide Spieler die Möglichkeit, sich durch ein Geständnis sofort freizukaufen. Da diese Gefahr von beiden antizipiert wird, gestehen sie von vorneherein.

Die Crux mit dem Gleichgewicht

Nashs Kollegen wollten ihm mit diesem Beispiel vorführen, dass sein Gleichgewicht nicht immer zu effizienten Ergebnissen führt. Doch der Schuss ging nach hinten los. "Vor Nash hat man nicht verstanden, dass Kooperation selbst dann nicht immer zustande kommt, wenn es sich für alle lohnen würde", sagt Ökonom Ockenfels. Als Berater des Weltklimarats (IPCC) beobachtet er dieses Verhalten oft in der Realität. "Große gesellschaftliche Herausforderungen wie der Klimaschutz haben genau diese Dilemmastruktur", so Ockenfels. Auch wenn die meisten Staaten die Vorteile einer weltweiten Reduzierung von Treibhausgasen erkennen, mag es für jedes Land individuell lohnender erscheinen, das eigene Verhalten nicht zu ändern. Doch was für ein einzelnes Land optimal scheint, könnte für die Weltgemeinschaft fatal sein.

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