Man möchte nicht mit Eugene Fama tauschen, zumindest nicht in den vergangenen fünf Jahren. Seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 hat der Chicagoer Starökonom einen schweren Stand: Kein Interview, kein Panel, kein Auftritt, bei dem der heute 74-Jährige nicht unter Beschuss gerät. Schadenfroh wollen viele von ihm wissen: Hält er an seinem Credo effizienter Märkte fest, oder gibt er zu, jahrzehntelang auf das falsche Pferd gesetzt zu haben. Fama aber bleibt dabei: "Märkte sind effizient und wenn nicht, wäre es unmöglich, das herauszufinden."
Eugene Francis Fama, geboren 1934 in Boston als Enkel sizilianischer Einwanderer, gilt als der Begründer der Effizienzmarkthypothese (EMH). Diese geht im Kern davon aus, dass die Preise an den Finanzmärkten die vorhandenen Informationen zu den gehandelten Vermögenswerten vollständig widerspiegeln. Neue Informationen sind transparent und werden von rational handelnden Marktteilnehmern fortwährend eingepreist. Kurz gesagt: Der Investor entscheidet stets rational, der Markt aggregiert die Informationen. Folglich können weder Käufer noch Verkäufer den Markt auf Dauer schlagen.
Das klingt banal, hat jedoch weitreichende Folgen. Jahrzehntelang war die EMH das Mantra der Finanzmarkttheorie und trug zur Deregulierung der Finanzmärkte bei. In den Neunzigerjahren wuchs die Zahl der Kritiker, doch erst mit dem Beinahe-Kollaps des weltweiten Finanzsystems nach der Pleite der US-Bank Lehman Brothers 2008 war es vorbei mit dem ökonomischen Konsens. "Die (Effizienzmarkt-)Theorie wurde auf dem Weltwirtschaftsgipfel 2009 offiziell zu Grabe getragen. Es gab keine Trauergäste", spottete die britische "Times".
Doch ist die Effizienzmarkttheorie tatsächlich tot? Famas Theorie habe in der Finanzkrise versagt, sagen ihre Kritiker, die Zeit sei reif für ein neues Paradigma. Fama hält dagegen: Bislang habe niemand einen belastbaren Gegenentwurf präsentiert. Er sei Empiriker und brauche Beweise.
Die Debatte um die Effizienz von Märkten ist so alt wie die Nationalökonomie. Ökonomen-Urvater Adam Smith nahm an, dass die Märkte wie von unsichtbarer Hand gesteuert in ein natürliches Gleichgewicht streben. Der britische Ökonom John Maynard Keynes hingegen sah die Märkte von "animal spirits" beeinflusst und daher oft nicht rational und reibungslos agierend. In den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts untersuchte die Moderne Portfoliotheorie das Investitionsverhalten an den Märkten. Sie kam unter der Annahme rationaler, nutzenmaximierender Investoren zu dem Schluss, dass Anleger ihr Vermögen breit streuen sollten, um die Risiken zu minimieren und ihre Renditen zu verbessern - eine Idee, auf der Effizienzmarkttheoretiker aufbauten.
"Random walk"
Fama war es, der die EMH in entscheidenden Punkten formalisierte und empirisch unterfütterte. In den Sechzigerjahren zählte er zu den ersten Ökonomen, die Computer einsetzten, um die Finanzmärkte zu erforschen. Zahlreiche ökonometrische Tests über Preisentwicklungen insbesondere auf Aktienmärkten belegten die These effizienter Märkte, einen Terminus, den er 1965 als Erster verwandte. Fama analysierte zahllose Zeitreihen von Aktien der New York Stock Exchange. Er entdeckte, dass die Renditeentwicklung der Wertpapiere im Zeitverlauf oft nicht oder nur schwach korrelierte, was ihn in seiner Annahme bestätigte, dass Informationen sofort eingepreist werden. Fama untersuchte Kurs-Gewinn-Verhältnisse von Aktien in der kurzen und langen Frist, analysierte Durchschnittsrenditen, Buchwerte, die Entwicklung der Preise nach Aktiensplittings und sah - bis zuletzt - seine Hypothese im Grundsatz bestätigt.
Die Implikationen sind weitreichend: Zum einen können Kursschwankungen in diesem Modell nur temporär auftreten. Sie entstehen durch neue Informationen, kurzzeitige Wissensvorsprünge oder -defizite, werden aber vom Markt schnell erkannt, verarbeitet und eingepreist. Die Preise schwanken daher kurzfristig in einem sogenannten "random walk", einem Zufallspfad, um ihr Gleichgewicht, entfernen sich jedoch nicht nachhaltig von ihm. Einzelne Investoren können den effizienten Markt nicht dauerhaft überlisten, was in dem oft zitierten Satz "You can't beat the market" zum Ausdruck kommt.
Markteffizienz bedeutet daher auch, dass es eigentlich an den Börsen nie zu Preisblasen kommen kann. Rationale Investoren erkennen ja Abweichungen vom Gleichgewichtspreis, nutzen die Arbitrage und nehmen Gewinne mit. Effiziente Märkte tendieren somit laut Fama dazu, sich selbst zu stabilisieren. "Es macht mich wahnsinnig, wenn ich das Wort Blase höre", sagt er. "Solche Ausdrücke sind populär geworden, aber ich glaube nicht, dass sie irgendeine Bedeutung haben." Er habe sogar das Abonnement des "Economist" gekündigt, weil das Magazin den Ausdruck ohne Sinn und Verstand verwende. Preisübertreibungen, sagt Fama, seien zwar möglich, da der Markt Informationen realiter nicht perfekt verarbeite. Man könne jedoch nicht jede Preisbewegung nach oben als Blase bezeichnen - und wo wolle man die Grenze ziehen?
Verhaltensökonomen wie Robert Shiller halten es dagegen für "einen der größten Fehler in der Geschichte des ökonomischen Denkens", dass die Mainstream-Ökonomie die Annahme der Markteffizienz lange kritiklos akzeptiert habe. Märkte agieren laut Shiller oft nicht rational und effizient, sondern werden häufig von irrationalen Motiven wie überhöhtem Selbstvertrauen, Herdenverhalten, Euphorie oder Panik geleitet. Sie können daher auch längerfristig von ihrem Gleichgewicht abweichen und eben doch spekulative Blasen bilden. Der Wirtschaftshistoriker Charles Kindleberger zeigte bereits 1989 in einer viel beachteten Studie zu Börsencrashs der vergangenen Jahrhunderte, dass irrationale Marktkräfte Effizienz- und Arbitrageanreize für Monate und Jahre überlagern können - die aktuelle Finanzkrise belegt dies in neuer Dimension.
Die Verfechter der Effizienzmarkttheorie halten dagegen, dass die Verhaltensökonomen zwar einzelne Anomalien entdeckt, aber bis heute keinen konsistenten Gegenentwurf vorgelegt hätten. Das stimmt: Wie sich Preise im Aggregat, also auf der Makroebene, verändern, können Verhaltensökonomen nach wie vor nicht schlüssig beantworten. Fama selbst tat die Verhaltensökonomie denn auch lange als "Geschichtenerzählerei" ab. Heute gesteht er zumindest zu, dass sie - wenn auch makroökonomisch unausgereift - mikroökonomisch interessant sei.
Totgesagte leben länger
Den Vorwurf, seine Effizienzmarkttheorie könne keine Krisen modellieren und habe daher versagt, nimmt Fama gelassen: Modelle könnten die Realität nie genau abbilden, sondern sie nur vereinfachen. "Die entscheidende Frage ist: Wie gut dient diese Vereinfachung unseren Zwecke. Für fast alle Zwecke ist Markteffizienz eine sehr gute Annäherung. Es gibt immer noch sehr wenig Belege dafür, dass Vermögensverwalter den Markt schlagen können."
Neuerdings aber gibt es Zeichen der wissenschaftlichen Annäherung. Der US-Ökonom Richard Thaler, einer der führenden Verhaltensökonomen, glaubt, dass die Finanzkrise Teile der EMH sogar bestärkt habe: "Es zeigt sich, dass einige Investmentstrategien riskanter sind als gedacht und dass es wirklich schwierig ist, den Markt zu schlagen." Viele, die in der Finanzkrise darauf gesetzt hätten, mit riskanten Produkten riesige Renditen zu erzielen, seien baden gegangen.
Auch der Harvard-Professor Andrew Lo versucht, Brücken zu bauen. Der Ökonom, der die Finanztheorie in den vergangenen Jahren maßgeblich vorantrieb, hat die Hypothese adaptiver Märkte (AMH) entwickelt, die er selbst als "neue Version der EMH" beschreibt. Diese beruht auf den Grundprinzipien der Evolutionstheorie: Wettbewerb, Anpassung, natürliche Selektion. Danach sind Finanzmärkte weder vollkommen effizient noch irrational, sondern anpassungs- und lernfähig. "Sie variieren im Grad ihrer Effizienz, abhängig von ihrer Umwelt und den Investorengruppen an den Märkten", sagt Lo.
Die Marktakteure stehen im Wettbewerb und passen ihre Strategien nach dem Prinzip "Versuch und Irrtum" an. Funktioniert eine Investmentstrategie, bleiben sie dabei, schlägt sie fehl, probieren sie eine neue aus. Unter stabilen, stationären Marktbedingungen ist die EMH laut Lo immer noch eine gute Annäherung an die Realität. In einem dynamischeren Umfeld seien hingegen verhaltensökonomische Ansätze aussagekräftiger. Lo ist überzeugt: "Die Zeit ist reif für eine evolutionäre Alternative zur Markteffizienz." Eine Evolution aber ist keine Revolution, der die Effizienzmarkttheorie geopfert werden müsste.
Totgesagte leben eben länger.