Geistesblitze der Ökonomie (XI) Kenneth Arrow - Mitbegründer der Sozialwahltheorie

Der Ökonom und Mathematiker Kenneth Arrow untersuchte, wie Gruppen rationale Entscheidungen treffen können – und stellte dabei aus Versehen die Demokratie infrage.

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Nobelpreisträger Kenneth Arrow im Oktober 2013 Quelle: dpa

Als Kenneth Arrow 1951 seine Doktorarbeit vorlegt, weigern sich die zuständigen Professoren, das Werk zu begutachten. Der junge Wissenschaftler hatte ein kompaktes 120-Seiten-Stück mit dem Titel „Social Choice and Individual Values“ vorgelegt, doch die Ökonomen verstehen es schlichtweg nicht. Viel zu mathematisch sei der Text, Arrow habe sich wohl in der Fakultät geirrt. Sie reichen das Manuskript weiter an ihren Kollegen Ted Anderson, Professor der Mathematik. Der studiert es, stuft es zwar im Kern als ökonomisches Werk ein, gibt aber dennoch seine Meinung ab: bahnbrechend. Nur sechs Jahre später bekommt Arrow die John-Bates-Clark-Medal, 1972 dann den Nobelpreis – als jüngster Forscher aller Zeiten. Eine Wissenschaftler-Generation danach geht das landläufige Urteil noch weiter: Arrow hat mit seiner Doktorarbeit einen ganz neuen Zweig der Wissenschaft begründet.

Die größten Ökonomen
Adam Smith, Karl Marx, John Maynard Keynes und Milton Friedman: Die größten Wirtschafts-Denker der Neuzeit im Überblick.
Gustav Stolper war Gründer und Herausgeber der Zeitschrift "Der deutsche Volkswirt", dem publizistischen Vorläufer der WirtschaftsWoche. Er schrieb gege die große Depression, kurzsichtige Wirtschaftspolitik, den Versailler Vertrag, gegen die Unheil bringende Sparpolitik des Reichskanzlers Brüning und die Inflationspolitik des John Maynard Keynes, vor allem aber gegen die Nationalsozialisten. Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-2006-0113 / CC-BY-SA
Der österreichische Ökonom Ludwig von Mises hat in seinen Arbeiten zur Geld- und Konjunkturtheorie bereits in den Zwanzigerjahren gezeigt, wie eine übermäßige Geld- und Kreditexpansion eine mit Fehlinvestitionen verbundene Blase auslöst, deren Platzen in einen Teufelskreislauf führt. Mises wies nach, dass Änderungen des Geldumlaufs nicht nur – wie die Klassiker behaupteten – die Preise, sondern auch die Umlaufgeschwindigkeit sowie das reale Produktionsvolumen beeinflussen. Zudem reagieren die Preise nicht synchron, sondern in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß auf Änderungen der Geldmenge. Das verschiebt die Preisrelationen, beeinträchtigt die Signalfunktion der Preise und führt zu Fehlallokationen. Quelle: Mises Institute, Auburn, Alabama, USA
Gary Becker hat die mikroökonomische Theorie revolutioniert, indem er ihre Grenzen niederriss. In seinen Arbeiten schafft er einen unkonventionellen Brückenschlag zwischen Ökonomie, Psychologie und Soziologie und gilt als einer der wichtigsten Vertreter der „Rational-Choice-Theorie“. Entgegen dem aktuellen volkswirtschaftlichen Mainstream, der den Homo oeconomicus für tot erklärt, glaubt Becker unverdrossen an die Rationalität des Menschen. Seine Grundthese gleicht der von Adam Smith, dem Urvater der Nationalökonomie: Jeder Mensch strebt danach, seinen individuellen Nutzen zu maximieren. Dazu wägt er – oft unbewusst – in jeder Lebens- und Entscheidungssituation ab, welche Alternativen es gibt und welche Nutzen und Kosten diese verursachen. Für Becker gilt dies nicht nur bei wirtschaftlichen Fragen wie einem Jobwechsel oder Hauskauf, sondern gerade auch im zwischenmenschlichen Bereich – Heirat, Scheidung, Ausbildung, Kinderzahl – sowie bei sozialen und gesellschaftlichen Phänomenen wie Diskriminierung, Drogensucht oder Kriminalität. Quelle: dpa
Jeder Student der Volkswirtschaft kommt an Robert Mundell nicht vorbei: Der 79-jährige gehört zu den bedeutendsten Makroökonomen des vergangenen Jahrhunderts. Der Kanadier entwickelte zahlreiche Standardmodelle – unter anderem die Theorie der optimalen Währungsräume -, entwarf für die USA das Wirtschaftsmodell der Reaganomics und gilt als Vordenker der europäischen Währungsunion. 1999 bekam für seine Grundlagenforschung zu Wechselkurssystemen den Nobelpreis. Der exzentrische Ökonom lebt heute in einem abgelegenen Schloss in Italien. Quelle: dpa
Der Ökonom, Historiker und Soziologe Werner Sombart (1863-1941) stand in der Tradition der Historischen Schule (Gustav Schmoller, Karl Bücher) und stellte geschichtliche Erfahrungen, kollektive Bewusstheiten und institutionelle Konstellationen, die den Handlungsspielraum des Menschen bedingen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. In seinen Schriften versuchte er zu erklären, wie das kapitalistische System  entstanden ist. Mit seinen Gedanken eckte er durchaus an: Seine Verehrung und gleichzeitige Verachtung für Marx, seine widersprüchliche Haltung zum Judentum. Eine seiner großen Stärken war seine erzählerische Kraft. Quelle: dpa
Amartya Sen Quelle: dpa

Kenneth Arrow war der erste Ökonom, der gesellschaftliche Entscheidungen von einem ökonomisch-mathematischen Blickwinkel aus betrachtet hat. Bis dahin hatten Ökonomen stets den rational handelnden Einzelakteur zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Analysen gemacht. Untersucht wurde, wie eine Summe von Individuen für sich genommen rational entscheidet. Arrow schränkte das ein: Um in der Gruppe ein effizientes Ergebnis zu erzielen, darf gerade nicht jeder für sich rational handeln. Stattdessen muss es darum gehen, ein für die Gruppe rationales Ergebnis zu erzielen.

Eine Art Baukasten

Arrow entwickelte in seiner bahnbrechenden Arbeit neben der grundlegenden Erkenntnis, dass soziale Entscheidungen für die Ökonomie relevant sind, eine Art Baukasten, um solche Entscheidungen zu analysieren. Seitdem haben immer mehr Ökonomen demokratische Entscheidungsprozesse als empirisches Forschungsfeld entdeckt, in offensichtlichem Bezug zu Arrow wird diese Denkschule als Social Choice bezeichnet.

In seinem Hauptwerk geht Arrow der Frage nach, wie die Präferenzen einer Gruppe von Menschen so zusammengeführt werden können, dass das Ergebnis der Summe ihrer Präferenzen entspricht. Auf den ersten Blick scheint diese Frage reichlich überflüssig, schließlich sollte eine einfache Abstimmung genügen: Das Ergebnis, das den meisten Gruppenteilnehmern am besten gefällt, wird ausgewählt. In den meisten Fällen stimmt das auch. Doch es gibt Ausnahmen, in denen diese Regel offensichtlich kein zufriedenstellendes Ergebnis bringt. Ausgangspunkt ist die Situation, in der drei Personen versuchen, aus drei Möglichkeiten eine Wahl zu treffen, zum Beispiel ein dreiköpfiger Unternehmensvorstand, der über Expansionsstrategien diskutiert. Die Gruppenmitglieder wählen aus den Aktivitäten A (den Konkurrenten kaufen), B (ein Joint Venture mit dem Konkurrenten eröffnen) und C (alleine weiter machen) folgende Präferenzreihenfolgen:

Vorstand 1: A, B, C

Vorstand 2: B, C, A

Vorstand 3: C, A, B

Star der Zunft

Was Sie bei der Teamführung beachten müssen
Keine virtuellen TeamsEine Harvard-Studie hat herausgefunden, dass Teams, die physisch zusammenarbeiten, besser harmonieren und funktionieren, als virtuelle Gruppen. Nur per E-Mail und Telefon zu kommunizieren, verschlechtert das Arbeitsergebnis also. Wer virtuelle Teams trotzdem nicht umgehen kann, findet hier einige Tipps, wie sich deren Führung verbessern lässt. Quelle: Fotolia
Narzissten sind ideale ChefsNarzissmus ja, aber bitte nicht zu viel. So lautet die Beschreibung für den idealen Chef. Wissenschaftler um Emily Grijalva von der Universität von Illinois fanden heraus, dass der Zusammenhang zwischen Narzissmus und dem Erfolg als Führungskraft die Form eines umgekehrten U annimmt. Soll heißen: Extremer Narzissmus hilft ebenso wenig weiter wie überhaupt kein Narzissmus. „Der ideale Chef ist in Maßen narzisstisch“, sagt Grijalva. Quelle: Fotolia
Männer mögen keine TeamarbeitDer Mann als einsamer Jäger - eine Studie des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) zeigt, dass es sich dabei nicht nur um ein Klischee handelt. Männer arbeiten tatsächlich nicht gerne im Team. Es sei denn, sie können daraus einen konkreten Vorteil erzielen: Ein Mammut lässt sich schließlich auch nicht von einem allein erlegen. Quelle: Fotolia
Ausbeuterischer Arbeitgeber Quelle: Fotolia
10. In der Wir-Form denkenEin guter Manager vergisst das „Ich“ und denkt in der „Wir“ Form. Er weiß zwar, dass er die Hauptverantwortung trägt, die sich weder teilen noch delegieren lässt. Seine Autorität entsteht aber erst dadurch, dass er Vertrauen durch die anderen Mitarbeiter bekommt.Druckers Tipp: Kümmern Sie sich erst um die Bedürfnisse und Chancen der Organisation und Ihrer Mitarbeiter, bevor Sie sich um Ihre eigenen Bedürfnisse Gedanken machen. Dieser Grundsatz mag einfach klingen, wird aber von vielen Führungskräften missachtet. Quelle: Fotolia
Querulanten steigern KreativitätDementsprechend kann es sich lohnen, auch ein paar Kollegen mit ins Boot zu holen, die so gar nicht zum Rest zu passen scheinen. Das mag zwar die Harmonie stören, ist aber enorm kreativitätsfördernd. Quelle: dpa/dpaweb
Soziale Vereinsamung Quelle: Fotolia

Hier hilft die Mehrheitsregel nicht weiter, denn jede Alternative wird von jeweils einer Person als erste Präferenz genannt. Auch wenn man die Positionen der einzelnen Alternativen miteinbezieht, kommt man zu keiner Lösung: Ordnet man diesen Werte zu (1, 2, 3) so erreichen alle Alternativen den Gesamtwert von 1+2+3 = 6.

Und das Gedankenspiel ist mehr als ein interessanter Spezialfall. Denn analog ist eine solche Situation mit jeder Anzahl von Alternativen und Gruppenmitgliedern denkbar, solange alle möglichen Präferenzordnungen in der Gruppe vorkommen. Damit wird aus der Knobelübung ein Paradoxon mit praktischer Relevanz: Wie soll eine Demokratie funktionieren, wenn sie regelmäßig Entscheidungen hervorbringt, die für viele Menschen unbefriedigend sind? Und wie soll die Ökonomie überhaupt funktionieren, wenn kooperatives Handeln ineffiziente Ergebnisse ergibt?

Materielle Sorgen

Dass Arrow überhaupt dazu kam, sich mit dieser wissenschaftlichen Frage auseinanderzusetzen, war durchaus überraschend. Denn nur fünf Jahre vor seiner bahnbrechenden Veröffentlichung hatte er der Wissenschaft den Rücken gekehrt. Arrow, 1921 in New York geboren, war das Kind rumänischer Auswanderer. Er studierte zunächst Mathematik. Mit 22 Jahren, als er während des Zweiten Weltkriegs bei der Luftwaffe arbeitet, veröffentlichte er seine erste wissenschaftliche Publikation. Es ging um die Auswertung von Wetterprognosen. Arrow fand durchaus Spaß daran, doch als der Krieg vorbei war, plagten ihn materielle Sorgen. So begab er sich auf die Suche nach einem sicheren Job und bewarb sich um eine Stelle als Mathematiklehrer. Doch er wurde abgelehnt, halb New York strebte zu dieser Zeit nach einer soliden Beamtenlaufbahn. Also nahm Arrow die Karriere an der ökonomischen Fakultät der Universität von Columbia wieder auf – und wurde innerhalb weniger Jahre zum Star der Zunft.

Denn nachdem er das Paradoxon entdeckt hatte, suchte er nach demokratischen Auswegen, also nach Entscheidungsregeln, die keine einzelne Meinung diskriminieren und zu eindeutigen Ergebnissen führen. Dafür entwarf er Mindeststandards in Form von vier Regeln.

Unmittelbar einleuchtend ist dabei das Prinzip der Nichtdiktatur: Die Wahl darf nicht durch ein einzelnes Individuum bestimmt werden, sonst erübrigt sich der Begriff Wahl. In eine ähnliche Stoßrichtung geht das Prinzip der individuellen Souveränität, wonach es keinem Abstimmungsteilnehmer untersagt sein darf, eine bestimmte Alternative auszuwählen.

Daneben stellt Arrow drei logische Anforderungen an die Entscheidung: Wenn alle Individuen eine Alternative einer anderen vorziehen, muss diese auch in der kollektiven Entscheidung bevorzugt werden; die Präferenzen in Bezug auf zwei Variablen dürfen nicht von der Ausprägung einer dritten, irrelevanten, Alternative beeinflusst sein; in den Präferenzordnungen dürfen keine Zirkelschlüsse auftreten, wenn also eine Person A besser findet als B und B besser als C, kann sie nicht C gegenüber A vorziehen.

„Beschränkter Diktator“

Zehn Entscheidungsfallen, in die wir regelmäßig tappen
Spontan macht großzügigWer spontane Entscheidungen trifft, ist spendabel – wer dagegen lange zögert, neigt eher zur Knausrigkeit. Das fanden Forscher der Universität Harvard in einer Studie mit 2000 Teilnehmern heraus. In einem Experiment wurden die Probanden in Vierergruppen eingeteilt und sollten jeweils Geld in einen Topf werfen. Das wurde später verdoppelt und auf alle Gruppenmitglieder aufgeteilt. Die Personen, die ihr Geld schneller in die Gemeinschaftskasse warfen, gaben in der Regel auch mehr Geld  ab als diejenigen, die sich mit ihrer Entscheidung länger Zeit ließen. Quelle: Fotolia
Weniger ist manchmal mehr Wer bei seinen Kaufentscheidungen zwischen einer großen Auswahl an Produkten wählen kann, wird mit seiner Entscheidung am Ende nicht unbedingt glücklicher sein. Das Phänomen beschreibt Verhaltenspsychologe Barry Schwartz oft am Beispiel des Jeans-Kaufs. Wer vor einer riesigen Auswahl an Jeans mit verschiedenen Farben und Schnitten steht, hat es schwer die richtige zu finden. Zum einen dauert die Entscheidung deutlich länger als bei einer kleinen Auswahl, zum anderen kommen zu Hause die Selbstzweifel: Habe ich das richtige Model gewählt, gibt es vielleicht bessere? Ähnliches passiert in Restaurants mit umfangreichen Speisekarten. Studien zeigen, dass Kunden im Supermarkt mehr kaufen, wenn die Auswahl kleiner ist. Quelle: REUTERS
Actionspiele beeinflussen Entscheidungen positivVerhaltensforscher der Universität Rochester haben herausgefunden, dass Actionspiele dabei helfen, Entscheidungen schnell und korrekt zu treffen. Die Spieler können der Studie zufolge besser einschätzen, was um sie herum vorgeht. Das hilft im Alltag beim Autofahren oder anderen Multitasking-Situationen. Probanden der Studie waren 18 bis 25-Jährige, die nicht regelmäßig spielten. Quelle: dpa
Sport macht effektivÄhnlich positiv wirkt sich Sport auf Entscheidungen aus. Wer sich im sportlichen Wettkampf gegen den Gegner durchsetzen will, muss schnelle Entscheidungen treffen. Eine Studie an 85 Handballern zeigte, dass deren Aktionen umso effektiver waren, je weniger Zeit sie vorher zum Nachdenken hatten. Quelle: dpa
Wahl nach ÄußerlichkeitenVersuchen zufolge hängen Wahlentscheidungen stark von der äußeren Erscheinung des jeweiligen Politikers ab. In einer Studie beurteilten die Testpersonen Wahlplakate aus der Schweiz. Obwohl sie nichts über die Politiker wussten, sondern nur ihr Aussehen kannten, trafen sie insgesamt fast die gleiche Wahlentscheidung wie die echten Wähler.   Quelle: dpa
Bequemlichkeit für mehr Gesundheit Wer sich vornimmt, im neuen Jahr, ab morgen oder nächster Woche endlich gesünder zu essen, wird voraussichtlich scheitern: Denn nur wenn gesünder auch gleichzeitig bequemer heißt, ist das Vorhaben erfolgversprechend. Ist die Salatbar näher als das Nachspeisenbuffet, greifen mehr Menschen zur Tomate. Schließt die Tür des Aufzugs sehr langsam, benutzen mehr Leute die Treppe. Dies zeigten Versuche an der Universität Cambridge.  Quelle: Creative Commons-Lizenz
Sohn zur Mutter, Tochter zum VaterBei der Partnerwahl lassen sich Menschen offenbar stark von ihrer Familie beeinflussen. Einer Studie der ungarischen Universität Pécs zeigt, dass Männer sich gerne für Lebenspartnerinnen entscheiden, deren Gesichtszüge denen der Mutter ähneln. Andersherum wählen Frauen gerne Männer, in denen sich der Vater wiedererkennen lässt. Quelle: dpa

In der Folge aber stellt Arrow fest: Wenn man diesen Bedingungen folgt, gibt es keine Entscheidungsregel, die in der Lage ist, aus paradoxen Individualpräferenzen eine rationale Gruppenentscheidung abzuleiten. Als „Unmöglichkeitstheorem“ hat diese Feststellung die Wissenschaft revolutioniert. Zwar ist es nicht so, dass entsprechende Situationen in der Realität haufenweise zu beobachten wären. Doch allein die Erkenntnis, dass sie entstehen können, zeigt die Grenzen jedes vermeintlich fairen Verfahrens der gemeinschaftlichen Entscheidungsfindung auf. Wer Arrows Werk kennt, vermeidet den Trugschluss, die Mehrheitsregel zum gesellschaftlichen Dogma zu verklären.

Dass Arrow in den folgenden Jahrzehnten zum Bezugspunkt einer ganzen Wissenschaftlergeneration wurde, lag jedoch nicht allein an der Bedeutung seiner Arbeit. Arrow erwies sich zudem als großer akademischer Lehrer. Rund um seinen Lehrstuhl an der Universität von Stanford entstand ein akademischer Zirkel, der zu den produktivsten der gesamten USA gehörte. Bis heute haben fünf von Arrows Schülern selbst den Nobelpreis erhalten. Sie loben vor allem Arrows breites akademisches Wissen, das ihn bei fast jeder Fragestellung zum kompetenten Kritiker macht.

Einer seiner Schüler, Eric Maskin, berichtete, wie er sich als Doktorand einmal gemeinsam mit ein paar Lehrstuhlkollegen über Wochen in ein völlig fremdes biologisches Fachthema einarbeitete, um Arrow durch ein wie zufällig inszeniertes Gespräch beim Mittagessen zu testen. Der Großmeister parierte locker: Das sei ja alles recht interessant, aber gebe es da nicht noch eine andere wissenschaftliche Strömung, die hier völlig außer Acht gelassen werde? Die Teilzeitbiologen mussten passen, so weit waren sie mit der Recherche nicht gekommen.

Wissenschaftlich wurde versucht, Arrows Grundprinzipien in Zweifel zu ziehen oder doch noch einen Entscheidungsmechanismus zu finden, der auf Basis der Regeln einwandfreie Entscheidungen erbringt. Beides ist gescheitert. Stattdessen haben viele Wissenschaftler Arrows Grundprinzipien als Ausgangspunkt genutzt, um existierende Entscheidungsmuster empirisch zu überprüfen.

Welche Prinzipien werden dabei häufig verletzt, und wie verändert das den Charakter von Entscheidungen? Nimmt man das Beispiel des Unternehmensvorstands, wird deutlich, dass in der Realität oft eine Art „beschränkter Diktator“ vorzufinden ist. Dabei wird zwar keinem einzelnen Gruppenmitglied die alleinige Entscheidungsgewalt zuerkannt, im Zweifelsfalle aber hat seine Stimme mehr Gewicht.

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