Auf den Markt unserer Befindlichkeiten schiebt sich eine neue Währung. Nun, da der Euro schwach und der Dollar stark ist, aber instabil; da die Aktienkurse bedenklich steigen und die materielle Verlässlichkeit sinkt; da Stabilität einem Zustand permanenten Wandels weicht, ist es vermutlich nur selbstverständlich, dass sich ein neues Maß in die Bewertung unseres Wohlstands schleicht. Eine Währung, die nicht in Ziffern messbar und dennoch ein ökonomisches Maß ist; die nicht von Zentralbanken herbeigezaubert wird, sondern sich vermehrt, indem wir sie mit anderen teilen; die individuell und doch universell gültig ist: Glück.
Eine Währung also, die wie aus einer esoterischen Parallelwirtschaft wirken würde, wenn sie nicht durch jene aufgewertet würde, die in jüngster Zeit mit ihr handeln.
Da ist etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel, die schon im vergangenen Jahr vor Ökonomie-Nobelpreisträgern sagte: „Wir wollen intensiver als bisher die konkreten Vorstellungen der Bürger von einem guten Leben in Erfahrung bringen.“ Bisher waren Kanzler für Wirtschaftswunder (Adenauer und Erhard), Europas Einigung (Kohl) oder den Umbau des Sozialstaats (Schröder) zuständig. Merkel versucht ihr Glück nun mit dem Glück. Der Regierungschef als Chief Happiness Officer.
Die Deutschen suchen nach dem Glück
Da will auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel nicht nachstehen. Der Sozialdemokrat, so hört man von seinen Strategen, bastelt an einer Neu-Interpretation von Ludwig Erhards „Wohlstand für alle“. Statt schnöde auf Bruttoinlandsprodukt, Handelsbilanzen und Arbeitslosenquote zu starren, würden die Deutschen künftig gerne auch über den Wert besserer Arbeit oder besserer Bildung – für den Standort und den Einzelnen – reden.
Und die Deutschen selbst sind eh kaum zu bremsen bei ihrer Suche nach dem Glück im Leben: Man sieht das an Studien wie dieser Woche jener von der FH Köln, die unter 5000 Arbeitnehmern aus dem Mittelstand herausfand, dass ihnen sinnvolle Arbeit wichtiger sei als eine herausragende Bezahlung. An Umfragen wie jener des GfK-Vereins vor wenigen Wochen, bei denen Glücksmerkmale vor einem hohen Einkommen landeten. Beim Blick auf die Neuerscheinungen in diesem Frühjahr, da sich Titel wie „Die Macht des Mitgefühls“, „Ändere die Welt“, „Endlich frei“ oder „Anleitung zum Glücklichsein“ in den Buchläden stapeln. An den Zeitschriftenregalen, in denen die Verlage mit Titeln wie „Flow“ oder „My Harmony“ das Glücksinteresse der Leser bedienen wollen.
Das Schöne und Heile, das Harmonische und Übersichtliche reüssiert. Was auch an der Generation Y, der nach 1980 Geborenen, zu sehen ist, denen Soziologen mit Blick auf Berufswahl und Weltsicht eine Abkehr vom Materiellen hin zu einem mitunter diffusen Konzept von „Glück“ unterstellen. Und selbst der Kongress der Familienunternehmer, sonst eher nicht in der Abteilung für Esoterik angeordnet, stand vor wenigen Wochen unter dem Motto „Glück“.
Wirtschaft ist nicht nur eine Abfolge von Zahlen
Was zunächst wie ein Widerspruch zu einer Zeit scheint, in der das Traurige und Verstörende in unseren Alltag dringt wie schmutziges Wasser in ein undichtes Boot, soll harte Wirtschaftspolitik werden. Deswegen wird ab Mitte April die Bundesregierung, zunächst in Gestalt von Meinungsforschern, dann aber auch qua lebendiger Minister und Kanzlerin, zum „Zukunftsdialog“ ausschwärmen, um die deutsche Vorstellung von Lebensqualität zu erkunden.
Es geht dabei weniger um Konzepte wie das des Bruttonationalglücks, mit dem der sonderbare Himalaja-Zwergstaat Bhutan in den vergangenen Jahren auf sich aufmerksam machte. Auch nicht um ein Glücksministerium, wie es Venezuela vorhält. Glück politisch verordnen zu wollen, darauf wird noch zurückzukommen sein, führt eher zu obskuren Ergebnissen.
Weswegen auch viele Ökonomen, die den Zusammenhang von Zufriedenheit und Wirtschaftssystem erforschen, diese Parallelmetriken zum bisherigen System der Wohlstandsmessung skeptisch sehen.
Jene Ökonomen bereiten aber durchaus den Boden dafür, dass Lebensqualität und Zufriedenheit nicht nur über das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts zu messen sind: Indem sie an die gemeinsame Wurzel von Glück und Wohlstand erinnern – Freiheit und Selbstbestimmung. Und indem sie Wirtschaft nicht mehr nur als Abfolge von Zahlen begreifen, sondern begründen: Eine pumperlgesunde Volkswirtschaft reicht nicht, um Zufriedenheit zu schaffen. Monetäres, klassisches Wirtschaftswachstum als Maß des Kapitalismus bekommt Konkurrenz: Glück wird Teil der Wohlstandsindikatoren.
Glück ist ein ernstes Thema
Bruno Frey hat sehr viel Zeit der vergangenen Jahrzehnte damit verbracht, sich gegen den Eindruck zu wehren, dass diese Erkenntnis unseriöse Wohlfühl-Wissenschaft sei. Frey, ein Verhaltensökonom aus der Schweiz, steht auf Europas Ranglisten der Wirtschaftswissenschaften weit vorn. Was hilft, das Thema Glück in ernstere Diskussionskreise zu führen. Frey, emeritierter Professor der Universität Zürich, ist überzeugter Liberaler.
Er sagt: „Ich glaube nicht, dass Regierungen ihre Bürger direkt zum Glück führen sollten. Sie sollten eher die Möglichkeiten schaffen, dass die Bürger glücklich werden könnten.“ Und dann nennt er zwei Prämissen, die tief eintauchen in die Ökonomie des Glücks: eine dezentrale Steuerung des Landes; und staatliche Leitplanken, die immaterielle Freuden den materiellen vorziehen.
Erstere zielt darauf ab, dass der Mensch glücklicher ist, wenn er das Gefühl hat, Dinge in seinem unmittelbaren Einzugsbereich selbstbestimmt regeln zu können. Dafür braucht der Mensch Übersicht, die Fähigkeit, die Dinge einordnen zu können. Nur wer versteht, was passiert, versteht auch, was er ändern könnte. Da kommt der Staat als Leitplankengeber ins Spiel. „Je gebildeter die Menschen sind“, sagt Frey, „desto glücklicher sind sie.“
Materieller Zugewinn ist nur bedingt glücksfördernd
Zweitens: Glück ist relativ, weswegen materieller Zugewinn nur bedingt glücksfördernd ist. Das wiederum hängt mit dem nach dem US-Ökonomen Richard Easterlin benannten Paradox zusammen: Nationen, die reicher werden, werden nicht automatisch glücklicher. Frey hat das am Beispiel der Pendler erforscht: Menschen träumen vom eigenen Haus im Grünen. Die Glücksökonomie aber zeigt: Arbeitnehmer werden mit steigender Pendel-Zeit unglücklicher, ihnen fehlt Zeit für Freunde, Freizeit.
Diese immateriellen Werte wären sinnvoller als das Haus im Vorort, dessen weite Verbreitung gemeinhin als Zeichen für eine Wohlstandsgesellschaft dient. Dabei wird das Pendeln auch noch steuerlich gefördert. „Das abzuschaffen“, sagt Frey, „wäre eine dieser Leitplanken, wie Politik indirekt für Glück sorgen kann.“ Womit wir im Land der Pendlerpauschale schon vor einem großen Hindernis auf dem Weg zum Glück stehen.
Ökonomische Glücksforschung
Dabei ist die ökonomische Glücksforschung so alt wie die Nationalökonomie. Für die Utilitaristen um Jeremy Bentham (1748–1832) und John Stuart Mill (1806–1873) gab es eine Identität von Glück und individueller Nutzenmaximierung. Für Bentham war die menschliche Existenz vom „Streben nach Lust“ geprägt. Er entwarf ein „Maximum happiness principle“, wonach die Menschen (und Wirtschaftsakteure) so handeln sollten, dass ein größtmögliches Maß an Glück entsteht. „Mit dem Prinzip des Nutzens ist jenes Prinzip gemeint, das jede beliebige Handlung gutheißt oder missbilligt entsprechend ihrer Tendenz, das Glück derjenigen Gruppe zu vermehren oder zu vermindern, um deren Interessen es geht“, schrieb Bentham 1789 in „Introduction to the Principles of Morals and Legislation“.
Trotzdem galt die Glücksforschung über viele Jahrzehnte als Tummelplatz für Exoten. Das änderte sich um die Jahrtausendwende. Zum einen, weil eine Erkenntnis Ökonomen irritierte: Zwar stiegen im Westen seit den Sechzigerjahren Wirtschaftsdaten und Einkommen – aber immer weniger Menschen bezeichneten sich als glücklich.
Gleichzeitig standen mit Verhaltensökonomie und experimenteller Wirtschaftsforschung nun Instrumente zur Analyse zur Verfügung. Seither steigt die Zahl der Aufsätze und Studien. Vom World Happiness Report der Vereinten Nationen bis zum Happy Planet Index.
Sie wollen folgende Frage beantworten: Wie stark drücken materielle Werte wie das Bruttoinlandsprodukt den Erfolg von Mensch und Gesellschaft aus, und wie sehr tun dies immaterielle Dinge?
Wirtschaftliche Freiheit darf nicht eingegrenzt werden
Bruttoinlandsprodukt, Handelsbilanzen, das waren auch die Indikatoren, an denen sich das Leben von Stefan Bergheim ausrichtete. Ein Frankfurter Banker, der als Volkswirt Karriere in der Hochfinanz machte. Merrill Lynch, JP Morgan, Deutsche Bank, in dieser Liga spielte er. Heute steht auf seiner Visitenkarte: Zentrum für gesellschaftlichen Fortschritt. Bergheim hat sich der Erforschung einer glücklicheren Wirtschaft verschrieben. In seinem Lebenslauf hat das Glück das Geld schon geschlagen.
Der Ex-Banker, der auch die Kanzlerin berät, hat in Frankfurt einen Feldversuch gestartet: Was passiert, wenn die Erkenntnisse der Verhaltensökonomie auf die Realität treffen? Bergheim hat ein gesellschaftliches Bündnis gegründet und fragen lassen: Wie definieren die Frankfurter Lebensqualität – und wie lässt sie sich umsetzen.
Erste Antwort: Die Leute wollen mehr Eigenverantwortung als gedacht. Zweite Antwort: Die bisherigen, meist materiellen Indikatoren für Fortschritt und Qualität einer Kommune reichen nicht. Für Bergheim ist die Leitfrage der Zukunft: „Welche Geschichte erzählen wir uns als Gesellschaft von einem besseren Leben.“ Das Ziel ist: ein glücklicher Kapitalismus.
Weder markt- noch wachstumsfeindlich
Da kommt Richard Layard ins Spiel, ein emeritierter Ökonom der London School of Economics. Er hat das „Action for Happiness“-Bündnis gegründet. Die britische Organisation macht sich weltweit für mehr Glück in Leben und Wirtschaft stark. Layard benennt den Knackpunkt der Debatte: Einer der wichtigsten Lehrsätze der klassischen Ökonomie lautet, dass freie und vom Wettbewerb bestimmte Märkte der Bevölkerung größtmögliches Glück bescheren.
Schließlich werde der Mensch glücklicher, je mehr er auf den Märkten tauschen könne. „Das Problem ist aber“, sagt Layard, „dass so viele für das Glück überaus bedeutsame Dinge aus Beziehungen hervorgehen, die nicht mit dem Markt zusammenhängen und eher innerhalb eines Gemeinwesens stattfinden.“ Um das nicht falsch zu verstehen: Layard ist weder Markt- noch Wachstumsfeind. Auch seine Forschung belegt: Bis zu einer gewissen Grenze spielt Geld natürlich eine Rolle. Und auch er sagt: „Wer die wirtschaftliche Freiheit eingrenzt, legt auch auf andere Freiheiten keinen Wert.“
Wir sind keine Duracell-Hasen
Den Wert immer neuen Wachstums von Einkommen und Vermögen aber begrenzt ein zutiefst menschliches Phänomen: Wenn der Einzelne reicher wird, ist es für ihn von Bedeutung, dass er in Relation zu allen anderen Menschen reicher wird. 1998 konfrontierten die Wissenschaftler Sara Solnick und David Hemenway ihre Probanden mit zwei Szenarien. Erstens: Ihr Jahreseinkommen liegt bei 50.000 Dollar, alle anderen verdienen 25.000. Zweitens: Ihr Einkommen liegt bei 100.000 Dollar, das der anderen aber bei 200.000. Die meisten Befragten bevorzugten Situation A. Wann immer jemand ein relativ höheres Einkommensniveau erreicht, bedeutet das für jemand anderen einen relativen Abstieg.
Der Kampf um höhere Einkommen ist in Sachen Glück ein Nullsummenspiel für die Gesellschaft und beschert dem Einzelnen ein Leben nach Vorbild des Duracell-Hasen: Man trommelt und trommelt und trommelt, lärmt dabei – kommt aber nicht von der Stelle. Und dennoch ist am Ende selbst die stärkste Batterie irgendwann leer.
Für Layard ist der Weg vom Menschen zum Duracell-Hasen nicht vorgezeichnet: „Wollen wir nicht, dass unsere Gesellschaften auf einem flach verlaufenden Glücksniveau bleiben, müssen wir unser Augenmerk auf solche Glücksquellen richten, die eine tatsächliche Zunahme unseres Glücks zulassen.“ Er nennt: zwischenmenschliche Beziehungen, ein hohes Maß an Einkommensgleichheit und eine gute Bildungspolitik. Politik könnte all das fördern.
In seinem Bündnis „Action for Happiness“ sammelt Layard nun weltweit Gleichgesinnte und fordert: Macht aus der sozialen Marktwirtschaft eine glückliche Marktwirtschaft.
Ein Teil der Zufriedenheit ist unabhängig von Rahmenbedingungen
Wobei wir beim Einzelnen und seiner Rolle wären. Denn Glück ist nicht nur das, was uns Politik oder Wirtschaft zugestehen. Ein Teil der Lebenszufriedenheit ist unabhängig von Rahmenbedingungen. Das Leben ist eine Achterbahn: Erst geht es langsam hoch, dann steil bergab, bevor es gegen Ende wieder hochgeht. Das Phänomen hat wegen seiner gezeichneten Form als U-Curve Einzug in die Forschung gehalten.
Die Arbeitsmarktforscher David Blanchfower und Andrew Oswald haben das herausgearbeitet. Das subjektive Glück steigt demnach bis etwa Anfang 40, sinkt zwischen 40 und 50 und steigt dann auf ein höheres Level. Die Midlife-Crisis. Dass die eher im Einzelnen als in der Ausgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft liegt, hat Carol Graham festgestellt. Die Ökonomin untersuchte die U-Curve in Peru – wirtschaftlich eine ganz andere als unsere westliche Gesellschaft. Die U-Curve fand sie dort dennoch.
Wenn also nicht nur das System unser Glücksempfinden vorgibt, ist es – das freut überzeugte Liberale – durch jeden von uns beeinflussbar. Dafür müssen wir den kleinen Teufel auf unserer Schulter in den Griff kriegen. Er flüstert uns ein: „Mach Karriere. Verdiene mehr Geld. Kauf dir das größere Auto.“
Ihm zu widerstehen ist der erste Schritt zum Glück. Zumindest ab einem Jahreseinkommen von 50.000 Euro. Diese Grenze, ab der rein materieller Zugewinn nicht mehr in gleichem Maße glücklicher macht, zieht der Psychologe und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman.
Auf einer Konferenz von Glücksökonomen vor wenigen Wochen bestätigte der Harvard-Ökonom Michael Norton: Selbst reiche Menschen glauben, dass sie bis zum perfekten Glück ein drei- bis vierfaches Einkommen anhäufen müssten. „Es ist dabei völlig egal, ob sie eine oder zehn Millionen Dollar besitzen“, sagte Norton. Deswegen sagt er: „Erlebnisse wie Reisen, Restaurantbesuche oder Familienausflüge bescheren ein länger anhaltendes Glücksgefühl als materielle Versüßungen.“
Generation Y
Der Berliner Glücksökonom Martin Binder betont ebenfalls, wie wichtig nicht monetäre Einflüsse für das Wohlergehen sind. „Wichtige Determinanten“, schreibt er, „sind der soziale Bereich, also Freunde und Familie, aber auch gesundheitliche Aspekte.“ Diese Glücksfaktoren zu fördern lohnt sich wiederum für alle. Binder hat einen sehr robusten Zusammenhang festgestellt: Menschen erleben nach einer Steigerung des eigenen Wohlbefindens auch positive Veränderungen der anderen Faktoren. Wer glücklicher wurde, konnte in der Folge auch über bessere Gesundheit und höheres Einkommen berichten. Glück macht also erfolgreich.
So gesehen lesen sich die Erkenntnisse wie ein Gründungsmanifest zur Generation Y. Jener Generation der nach 1980 Geborenen, die derzeit Personaler und ältere Semester gleichermaßen ratlos macht. Jener Generation, die die Hamburger Journalistin Kerstin Bund so beschrieben hat: „Manche halten uns für Freizeitoptimierer, die, anstatt an ihrer Karriere zu arbeiten, lieber pünktlich Feierabend machten oder sich gleich ins Sabbatical verabschiedeten.“ Bund argumentiert dann zwar weiter, dass diese Eigenschaften positiv zu verstehen seien – prägend sind sie jedenfalls für die Generation in jedem Fall.
Erst Sinnstiftung, dann Gehalt
Dass diese Einstellung ansteckend ist, zeigte jüngst eine umfassende Arbeitnehmerstudie der Fachhochschule Köln. Ökonomen des dortigen Schmalenbach-Instituts haben über sieben Jahre immer wieder insgesamt 5000 Arbeitnehmer aus dem deutschen Mittelstand nach der Zufriedenheit mit ihrer Arbeit gefragt. Ergebnis: Rund 70 Prozent nannten als oberstes Kriterium, dass ihre Arbeit Sinn stiften müsse. Erst dann folgte mit 60 Prozent Zustimmung das Kriterium „hohes Gehalt“.
Wie diese Skepsis vor materiellen Statussymbolen einer gesellschaftlichen Grundhaltung entspricht, zeigt übrigens auch der Blick auf den Glücksatlas, den vor einigen Monaten der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen und das Meinungsforschungsinstitut Forsa vorgelegt haben: Demnach leben die glücklichsten Deutschen in Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen, nicht im florierenden Süden.
Insgesamt seien die Deutschen aber „in allen Bereichen tendenziell glücklicher“ als vor zehn Jahren. Dies gelte aber nur in geringerem Ausmaß für Wohnung, Freizeit und Gesundheit.
Lebensqualität? Finden Sozialdemokraten gut
Es gibt also nach wie vor Luft nach oben bei der nationalen Suche nach dem Glück. Luft, die Oliver Schmolke auszufüllen gedenkt. Er leitet den Planungsstab von Bundeswirtschaftsminister Gabriel und würde den Begriff „Glücksforschung“ nie freiwillig verwenden. Dennoch ist er ein großer Fan jener Ökonomen, die an der Einarbeitung qualitativer Ziele in unser Verständnis von volkswirtschaftlicher Entwicklung arbeiten. Mit Kollegen aus dem Kanzleramt hat er den Zukunftsdialog zur Lebensqualität ausgetüftelt.
Schmolke glaubt, sein Minister könnte ein starkes Thema noch gut gebrauchen. Und Lebensqualität? Das finden Sozialdemokraten immer gut. „Wir wollen“, sagt Schmolke, „eine Gesellschaft, deren Wohlstand sich nicht nur über die Bruttoregistertonnenlogik definiert. Umweltkosten, soziale Teilhabe, Nachhaltigkeit, das sollte doch auch eine Rolle spielen bei der Bewertung der Lebensqualität.“
Glücksfaktor:
Die Labour-Partei hat in Großbritannien einst die „Whitehall Wellbeing Working Group“ initiiert, der konservative Premier David Cameron verfolgt das Thema weiter. Die Regierung erhebt neben anderen Nachhaltigkeitsindikatoren auch das subjektive Wohlempfinden der Einwohner und leitet daraus Handlungsempfehlungen ab. Dazu zählt nicht nur Wohlfühl-Programmatik. Forscher werten auch die aktivierende Arbeitsmarktpolitik der Regierung als dem Glück dienlich. Zudem ist Cameron international einer der überzeugtesten Verfechter des Nudging: Demnach werden Bürger – in der Theorie zumindest – nicht mit Gesetzen kujoniert, sondern durch Anreize gelenkt.
"Politik ist nicht für individuelles Glück zuständig"
Zwar sagen alle in Berlin: „Politik ist nicht für individuelles Glück zuständig.“ Aber: Für das große Ganze möchte die große Koalition dann doch zuständig sein. Für Schmolke sieht der Plan so aus: Es gibt eine mögliche kleine und eine mögliche große Lösung. Die kleine: Die Regierung würde künftig einen Bericht zur Lebensqualität vorlegen. Es gäbe einen Pressetermin, Worte des Ministers. Ob die Deutschen zufriedener wären? Man hat so seine Zweifel.
Die große Lösung: Der Sachverständigenrat beim Wirtschaftsminister würde mit neuem Schwerpunkt über die Entwicklung der Lebensqualität berichtet. „Damit würden wir klarmachen, unser Begriff von Wohlstand ist breiter aufgestellt und berücksichtigt die Wünsche der Menschen“, sagt Schmolke. Am Ende dieser Entwicklung stünde, dass das Bruttoinlandsprodukt als Ausweis von wirtschaftlicher Stärke an Bedeutung verlöre. Ihm würde eine Art Glücksindikator gegenübergestellt.
Glücksfaktor:
In vielen internationalen Vergleichsstudien liegen derzeit die skandinavischen Länder weit oben. Glücksforscher führen das auf zwei Punkte zurück: Die Bildungssysteme der Länder gelten im internationalen Vergleich als weit
überdurchschnittlich gut. Und die Einkommensungleichheit ist – bei international gesehen relativ hohem Gesamtniveau an Einkommen – eher gering.
Beschäftigung, Bildung, Gesundheit...
Gesellschaftliche Unterstützung dafür wäre da. Die Gewerkschaften erkannten schon vor Jahren, dass sich mit dem Streben nach Glück auch ihr eigenes Glück steigern lässt. Der DGB hat in den vergangenen Wochen mehr als 4000 Arbeitnehmer nach ihrer Befindlichkeit befragen lassen. Das Ergebnis: ein „Index Gute Arbeit“, der im Herbst erscheinen und die Arbeitsmarktpolitik beeinflussen soll.
Wie aber sieht dieses amtlich verordnete gute Leben aus? Die Industrieländer-Organisation OECD hat einen Better-Life-Index mit elf Indikatoren erstellt: Beschäftigung, Bildung, Gesundheit, Einkommen, Gemeinsinn, Lebenszufriedenheit, Sicherheit, Umwelt, Wohnverhältnisse, Work-Life-Balance und Zivilengagement stehen darauf. Länder, die künftig Wohlstand schaffen wollen, sollen bei allen Gesetzen diese Punkte beachten, findet die OECD. Als Beleg für ihre These, dass Politik in diesen Bereichen Glück fördern kann, führt die Organisation viele Politikbeispiele aus ihren Mitgliedsländern an: In Großbritannien loben die Forscher die aktivierende Arbeitsmarktpolitik, die die Langzeitarbeitslosigkeit gesenkt habe. Die Schweiz schneidet wegen ihrer direktdemokratischen Elemente gut ab.
Glücksfaktor:
Die Schweiz gilt unter Glücksforschern als relativ ideal, weil sie zwei Erkenntnisse der Glücksökonomie sehr gut umsetzt: Durch den hohen Anteil direkter Demokratie können Schweizer Bürger ihr unmittelbares Umfeld selbstbestimmt gestalten. Und das Gesundheitssystem mit einer der höchsten Lebenserwartungen der Welt fördert ebenfalls das Wohlergehen der Schweizer.
Glück schlägt Geld
Am besten werten die OECD-Glückssucher aber Dänemark. In kaum einem Land ist die Mischung aus strukturell und individuell veranlagtem Glück besser. So sind in Dänemark deutlich mehr Menschen beschäftigt als im OECD-Schnitt, gleichzeitig grenzen gesetzliche Vorgaben die Arbeitszeit für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer erträglich ein. Nur zwei Prozent der Dänen machen massiv Überstunden gegenüber neun Prozent in anderen Industrieländern. Dennoch wächst die Volkswirtschaft. Auch die fast acht Prozent des BIPs, die das Königreich für Bildung ausgibt (Deutschland etwa fünf), gelten als glücksfördernd: Sie führen in Dänemark nicht nur dazu, dass mehr Schüler erfolgreich die Schule abschließen, sondern dass Mädchen und Jungen dies auch noch ähnlich gut tun. Ein hoher Bildungsgrad wiederum fördert ja das Glück. Gleichzeitig ist der Anteil zivilgesellschaftlichen Engagements nur in wenigen Mitgliedstaaten höher als in Dänemark.
Klar ist also: Politik allein wird uns das vollkommene Glück nicht bescheren.
Also sind wir doch selbst gefragt. Das ahnte schon Ludwig Erhard, der neben Wohlstand für alle Wellness für alle im Sinn hatte. Jedenfalls sagte er: „Mit steigender Produktivität und mit der höheren Effizienz der menschlichen Arbeit werden wir einmal in eine Phase der Entwicklungen kommen, in der wir uns fragen müssen, was denn eigentlich kostbarer und wertvoller ist – noch mehr zu arbeiten oder ein bequemeres, schöneres und freieres Leben zu führen.“
Spätestens wenn in den nächsten Jahren Roboter größere Teile unserer Arbeit und damit auch unserer Einkommen nehmen, werden wir den Duracell-Hasen in uns abschalten müssen. In einer Gesellschaft, in der alle Grundbedürfnisse erfüllt sind und die Möglichkeit, sein Einkommen zu steigern, überschaubar ist, gilt dann, was Ökonomen und Psychologen jetzt schon wissen: Glück schlägt Geld.