Seit dem Wechsel im Weißen Haus von Donald Trump zu Joe Biden sind die transatlantischen Dissonanzen zwischen Amerika und Europa geringer geworden. Jedenfalls bemühen sich die Politiker hüben wie drüben, die gemeinsamen Interessen in wichtigen Politikbereichen zu betonen. Das allerdings ändert nichts daran, dass sich jenseits aller Wir-Rhetorik in einem wichtigen Bereich, nämlich der Geldpolitik, die Wege Europas und Amerikas bald trennen dürften.
Während die Europäische Zentralbank (EZB) ostentativ darauf beharrt, die boomende Konjunktur benötige weitere Unterstützung von Seiten der Geldpolitik und deshalb keinerlei Gedanken an eine Rückführung ihrer Anleihekäufe zu verschwenden gedenkt, bereitet die US-Notenbank Fed die Märkte auf eine weniger lockere Geldpolitik vor.
So fordert Robert Kaplan, Chef der regionalen Notenbank in Dallas, das Anleihekaufprogramm der Fed allmählich abzuschmelzen. Setze sich die Erholung am Arbeitsmarkt fort, täte die Fed gut daran, die Anleihekäufe zu reduzieren, sagt Kaplan. Derzeit kauft die Notenbank monatlich für 80 Milliarden Dollar US-Staatsanleihen und für 40 Milliarden Dollar hypothekenbesicherte Wertpapiere (MBS). Kaplan plädiert dafür, die Käufe von Staatsanleihen bald um monatlich zehn Milliarden, diejenigen von MBS um fünf Milliarden zu verringern. Auf diese Weise könnten die gesamten Käufe binnen acht Monaten beendet werden.
Zuvor hatte bereits Mary Daly, die Präsidentin der regionalen Fed in San Francisco, ins gleiche Horn gestoßen. Es sei richtig, jetzt über eine Rückführung der Anleihekäufe nachzudenken, sagte Daly. Denn eine Normalisierung der Geldpolitik erfordere zunächst ein Ende der Anleihekäufe, bevor in einem zweiten Schritt der Leitzins angehoben werden könne. Die Mehrheit der US-Notenbanker geht derzeit davon aus, dass es 2023 zu zwei Zinserhöhungen kommen wird.
Unterschiedliche Denkwelten
Bis dahin kann zwar noch viel Wasser den Mississippi hinunterfließen. Doch die Tatsache, dass die Fed-Offiziellen die Märkte auf ein Ende der super-expansiven Geldpolitik einstimmen, während man bei der EZB nach wie vor eine Politik der Geldflutung für nötig hält, zeigt die unterschiedlichen Denkwelten, in denen sich die Notenbanker auf beiden Seiten des Atlantiks bewegen. Der Grund dafür ist nicht etwa in einer asynchron verlaufenden Konjunktur zu suchen.
Vielmehr beherrscht in der Eurozone die Angst vor einem Auseinanderbrechen der Währungsunion das Kalkül der Notenbanker. Hochverschuldete Südländer wie Italien, Frankreich, Spanien, Griechenland und Portugal dürften bei steigenden Zinsen schnell an den Punkt gelange, an dem Kapitalanleger an der Solvabilität dieser Länder zweifeln. Das triebe die Zinskosten für die Regierungen weiter nach oben. Die EZB stände dann vor der Entscheidung, entweder einen Staatsbankrott und möglichen Austritt dieser Länder aus der Währungsunion hinzunehmen – oder sie komplett mit der Notenpresse zu finanzieren.
Die Fed hingegen kann befreit von solcherlei politischen Erwägungen ihre Entscheidungen stärker an den ökonomischen Notwendigkeiten ausrichten. Die historische Fehlentscheidung, wirtschaftlich extrem heterogene Länder wie Griechenland und Deutschland in einer Währungsunion zusammenzupferchen und mit einem Einheitszins zu steuern, hat Europa in eine Politisierung der Geldpolitik getrieben, unter der der Kontinent noch lange leiden wird. Eine strukturell schwache Währung, zinspolitisch induzierte Fehlinvestitionen und verzerrte Produktionsstrukturen schmälern das Wachstumspotenzial Europas – und erhöhen das Wohlstandsgefälle zu Amerika.
Mehr zum Thema: Die Inflation zieht an. Der Druck auf die Zentralbanken, die Geldpolitik zu straffen, steigt. Wie werden die Notenbanken reagieren? Oder besser: Können EZB und Fed eigentlich noch angemessen reagieren?