Geldpolitik „In einer solchen Lage hätte die EZB sich nicht festlegen sollen“

Der Euro verliert an Wert, die Inflation ist zurück. Quelle: imago images

Der ehemalige Chefvolkswirt der EZB, Otmar Issing, ermahnt die EZB, die Inflationsgefahren ernst zu nehmen. Es sei ein Fehler, Zinserhöhungen für dieses Jahr kategorisch auszuschließen.

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Otmar Issing ist Präsident des Center for Financial Studies in Frankfurt. Von 1998 bis 2006 war er Chefvolkswirt der EZB.

WirtschaftsWoche: Professor Issing, der Anstieg der Verbraucherpreise in Deutschland dürfte sich zu Jahresbeginn abschwächen. Hat die EZB Recht mit ihrer Prognose, dass die hohen Inflationsraten nur vorübergehender Natur sind? 
Otmar Issing: Es gibt eine Reihe von Gründen dafür, warum die Inflationsraten jetzt etwas zurückgehen. Dazu gehört, dass sich die Mehrwertsteuererhöhung in Deutschland im Januar jährt und den Vorjahresvergleich nicht mehr beeinflusst. Eine Entwarnung an der Inflationsfront lässt sich daraus allerdings nicht ableiten. Auf mittlere und längere Sicht gibt es wichtige Faktoren, die die Preise weiter nach oben treiben dürften

Welche sind das? 
Ein Faktor sind die Energiepreise. Aus Gründen des Klimaschutzes ist es politisch gewollt, dass die Preise für fossile Energieträger weiter steigen, dazu trägt allein schon die C02-Steuer bei, die im Laufe der nächsten Jahre schrittweise weiter angehoben wird. Dazu kommt, dass der preisdämpfende Effekt vor allem durch die Einbindung Chinas in die Weltwirtschaft ausläuft. In den vergangenen Jahrzehnten hatte das riesige Arbeitsangebot Chinas die Löhne im Westen in Schach gehalten. Die mit niedrigen Kosten hergestellten Waren aus China verringerten den Preiserhöhungsspielraum westlicher Anbieter. Diese Ära geht nun zu Ende. Die jahrzehntelang betriebene Ein-Kind-Politik Chinas lässt die Arbeitskräfte dort knapper und teurer werden. 

Otmar Issing ist Präsident des Center for Financial Studies in Frankfurt. Von 1998 bis 2006 war er Chefvolkswirt der EZB. Quelle: imago images

Das heißt China ist keine globale Inflationsbremse mehr?
So ist es. Darüber hinaus treibt der weltweit um sich greifende Protektionismus die Güterpreise nach oben. Viele Unternehmen holen ihre Produktion in die Heimat zurück, das lässt die Kosten steigen. Demografie, Protektionismus und Klimapolitik sprechen für einen Regimewechsel hin zu höherer Inflation.

Bei der EZB scheint man diesen Regimewechsel nicht wahrzunehmen. 
Die EZB hat ohne Not erklärt, sie sähe kein Problem in der aktuellen Teuerung. Diese werde wieder zurückgehen, die Lage an der Preisfront werde sich entspannen. Eine Festlegung mit derartiger Eindeutigkeit, wie sie die EZB getroffen hat, war unnötig. Mehr noch, ich halte sie für einen kommunikationspolitischen Fehler. Was wenn sich die Inflation als hartnäckiger erweisen sollte als die EZB annimmt? Dann steht die Notenbank in der Öffentlichkeit nicht gut da. Eine Notenbank sollte zumindest die Gefahren für die Preisstabilität benennen statt fragwürdige Sorglosigkeit zu demonstrieren. Wir leben in einer Welt mit großer Unsicherheit. In einer solchen Lage hätte die EZB sich auch nicht festlegen sollen, Zinserhöhungen für dieses Jahr kategorisch auszuschließen. Bleibt die Inflation hoch, droht der EZB ein enormer Reputationsverlust, gerade in Deutschland, wo die Bevölkerung gegenüber Inflation besonders empfindlich ist. 

Im Direktorium der EZB scheinen unterschiedliche Positionen zur Inflation zu herrschen, wie man jüngsten Äußerungen von EZB-Direktorin Isabel Schnabel und EZB-Chefvolkswirt Philip Lane entnehmen konnte. 
Die Inflationsprognosen der EZB beruhen auf komplexen Modellen. Modelle liefern wichtige Informationen, aber sie sind nicht die Wirklichkeit. Sie sind so gestrickt, dass, was immer die Notenbank tut, die Inflation am Ende des Prognosezeitraums bei zwei Prozent landet. Wenn man an diese Modelle glaubt, sieht man kein Inflationsproblem. In Zeiten wie diesen sind die Modelle überfordert. Der Wirtschaftseinbruch infolge der Pandemie ist kein normaler Konjunktureinbruch, für den die Modelle entwickelt wurden.

Sondern?
Die Pandemie ist ein exogener Schock, der Angebot und Nachfrage getroffen hat. Die Modelle, die auf Parametern vergangener Konjunkturzyklen beruhen, können die aktuelle Entwicklung nicht adäquat erfassen. Die widerstreitenden Positionen einzelner Direktoriumsmitglieder der EZB zur Einschätzung der aktuellen Inflationsgefahr dürften ihren Grund nicht zuletzt in der unterschiedlichen Bedeutung haben, die man persönlich solchen Modellanalysen einräumt. 

Die EZB begründet ihre Gelassenheit gegenüber der Inflation damit, dass die Inflationserwartungen an den Finanzmärkten nach wie vor niedrig sind. 
Wenn die Teuerungsraten anders als von der EZB prognostiziert auf absehbare Zeit nicht wieder zur Zielmarke von zwei Prozent zurückkehren, besteht die Gefahr, dass sich die Inflationserwartungen aus ihrer Verankerung lösen. In den USA scheint das schon der Fall zu sein. Einer Studie der Fed von New York zufolge liegen die Inflationserwartungen in Amerika bereits bei vier bis fünf Prozent. Stellt sich heraus, dass die Inflationsprognose der EZB falsch ist, kann es zu einer abrupten Anpassung der Inflationserwartungen kommen...



... und eine Lohn-Preis-Spirale entsteht? 
Von einer Lohn-Preis-Spirale würde ich nicht sprechen. Aber von den Löhnen wird Druck auf die Preise ausgehen. In den USA steigen die Löhne bereits kräftig. Arbeitskräfte sind dort in vielen Branchen knapp. In Europa ist der Arbeitsmarkt noch nicht so heiß gelaufen wie in Amerika. Dennoch besteht auch hierzulande kein Grund zur Sorglosigkeit. In Deutschland wird der Mindestlohn in diesem Jahr auf 12 Euro steigen. Das verteuert nicht nur die direkt betroffenen Arbeitskräfte. Die Gewerkschaften werden versuchen, den Abstand der Tariflöhne zum Mindestlohn zu wahren. 

Lesen Sie hier, warum die US-Notenbank Fed zu schwach ist, um die Inflation zu besiegen.

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Sie meinen, das gesamte Tarifgefüge könnte sich nach oben verschieben? 
Durchaus. Dazu kommt, dass einzelne Branchen Löhne deutlich über Tarif zahlen müssen, weil Arbeitskräfte dort besonders knapp sind. Mit der Zeit wird das auf weitere Branchen ausstrahlen. Ein bloßer Blick auf die Tarifverträge reicht daher nicht, um das Risiko eines Lohndrucks abzuschätzen. Ich fürchte, dass wir zum Beispiel im Restaurant im Laufe der Zeit weit höhere Preise zahlen müssen.

Mehr zum Thema: Die Inflation setzt die Gewerkschaften unter Zugzwang. Sie wollen in der Tarifrunde 2022 spürbare Reallohnzuwächse für die Beschäftigten durchsetzen. Kommt jetzt die Lohn-Preis-Spirale in Deutschland? 

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