Geldpolitik Notenbanken in der Falle

Die Fed steht unter Druck, nach dieser Zinserhöhung nichts mehr zu tun. Die EZB wird mit Sicherheit ebenfalls um 25 Basispunkte anheben. Quelle: imago images

Während die Fed das Ende der Zinserhöhungen eingeläutet hat, die EZB dreht weiter an der Zinsschraube drehen. Beiden Zentralbanken wird es jedoch kaum gelingen, die Inflation auf zwei Prozent zu drücken.

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Politiker, die sich danach sehnen, Einfluss auf die Entscheidungen von Notenbanken zu nehmen, gab und gibt es zur Genüge. Unvergessen sind die Twitter-Tiraden, mit denen Donald Trump gegen Jerome Powell, den Chef der US-Notenbank Fed, schoss, als Trump noch im Weißen Haus regierte. Weil Powell Trumps Wunsch nach einer Lockerung der Geldpolitik nicht erfüllte, ätzte Trump via Twitter, wer wohl der größere Feind Amerikas sei, Chinas Staatschef Xi Jinping oder die Fed. 

Sollte Powell gehofft haben, nach der Trump-Ära von Versuchen der politischen Einflussnahme verschont zu bleiben, so hat er sich geirrt. Anfang dieser Woche flatterte Amerikas obersten Notenbanker ein Brief aus dem US-Kongress auf den Schreibtisch, unterzeichnet unter anderem von den linken Senatoren Elizabeth Warren und Bernie Sanders. Darin fordern die Unterzeichner Powell auf, bei der Sitzung der Notenbank in dieser Woche auf eine Zinserhöhung zu verzichten. „Legen Sie eine Pause bei den Zinserhöhungen ein und vermeiden Sie eine Rezession, die Arbeitsplätze zerstört und Kleinunternehmen vernichtet“, heißt es in dem Schreiben. Die Fed müsse ihr duales Mandat, Preisstabilität und hohe Beschäftigung, respektieren. Weil sich die Inflation auf dem Rückzug befinde, seien weitere Zinserhöhungen „nicht nötig“, argumentieren die Unterzeichner, die sich Sorgen um die Beschäftigungschancen von Millionen Arbeitskräften machen. 

Banken verschärfen Kreditvergabe 

Das Schreiben aus dem Kongress scheint nicht ohne Wirkung auf Powell geblieben zu sein. So beschlossen die Notenbanker der Fed auf ihrer gestrigen Sitzung zwar, den Leitzins erneut um 25 Basispunkte auf nunmehr 5,0 bis 5,25 Prozent anzuheben. Doch von dem Hinweis, eine weitere geldpolitische Straffung sei nötig, wie er noch in der Presseerklärung vom März zu finden war, sahen die Notenbanker diesmal ab. Der weitere Zinskurs werde von der Datenlage bestimmt, sagte Powell, man werde daher von Sitzung zu Sitzung über die Leitzinsen entscheiden. Die Märkte interpretierten Powells Aussage als Ankündigung einer Zinspause, die zugleich wohl das Ende des Zinserhöhungszyklus markiert. 

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von Malte Fischer

Powell wies auf der Pressekonferenz mehrfach darauf hin, dass die Bankenkrise die Kreditvergabe bremse und dadurch Konjunktur und Inflation dämpfe. Angesichts der ausgeprägten Straffung der Zinszügel um 500 Basispunkte innerhalb eines Jahres könne die Fed nun erst einmal abwarten, wie diese auf die Realwirtschaft wirkt. Weil die Inflation vermutlich nur langsam zurück gehe, seien keine schnellen Zinssenkungen zu erwarten, sagte Powell. Fazit: Die Zinsen haben ihren Höhepunkt vermutlich erreicht und bleiben für längere Zeit da, wo sie sind.  

Können sich die US-Notenbanker also entspannt zurücklehnen und dabei zuschauen, wie sich alles zu ihrem Gefallen richtet? Zweifel sind angebracht. Der Druck auf Powell und seine Kollegen dürfte bald zunehmen. Denn die zurückliegenden Zinserhöhungen dürften demnächst sichtbare Bremsspuren im Konjunkturverlauf hinterlassen. Die höheren Finanzierungskosten verteuern das Investieren, Bauen und Konsumieren. Ein Abrutschen der Wirtschaft in die Rezession ist daher wahrscheinlich. Damit wird der politische Druck auf die Fed zunehmen, die Leitzinsen rasch zu senken. Die Erfahrung zeigt, dass die Notenbank dem kaum je standgehalten hat. Drohte die Konjunktur zu kippen, war die Fed mit Zinssenkungen immer wieder rasch zur Stelle. Das dürfte diesmal kaum anders sein. 

Tektonische Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt

Anders als in früheren Zyklen fällt diesmal jedoch die Reaktion des Arbeitsmarktes auf die geldpolitische Straffung weitaus moderater aus. Statt einzubrechen, boomt der Stellenmarkt in den USA weiter. Der Grund dafür ist die demografisch bedingte Verknappung von Arbeitskräften, die eine tektonische Verschiebung von Angebot und Nachfrage und damit eine Neuverteilung der Verhandlungsmacht zugunsten der Arbeitnehmer ausgelöst hat. So entfallen auf jeden Arbeitslosen in Amerika aktuell 1,7 offene Stellen. In den zwölf Monaten bis März sind im Monatsschnitt rund 345.000 neue Stellen entstanden, mehr als drei Mal so viele wie nötig, um die auf den Arbeitsmarkt drängenden Erwerbspersonen mit Jobs zu versorgen. 

Die hohe Nachfrage der Unternehmen nach Arbeitskräften lässt die Löhne kräftig steigen. Im März beschleunigte sich das Lohnwachstum laut Lohnindikator der regionalen Fed von Atlanta von 6,1 auf 6,4 Prozent. Nach Ansicht von Ökonomen dürfen die Löhne jedoch nur um drei bis vier Prozent zulegen, wenn die Fed ihr Inflationsziel von zwei Prozent erreichen will. 

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von Malte Fischer

Die Fed müsste die Zinsen also weiter anheben und den Arbeitsmarkt stark abkühlen, damit von den Lohnkosten keine Inflationsimpulse mehr ausgehen. Damit aber eskalierte sie die Probleme der Banken, deren Anleihebestände wegen der gestiegenen Zinsen schon jetzt unter Wasser sind. Die Fed könnte daher schon bald vor der unangenehmen Situation stehen, sich entweder für die Preis- oder die Finanzstabilität entscheiden zu müssen. Powell scheint das zu ahnen. So erklärte er in der Pressekonferenz, die Strategie, beide Ziel gleichzeitig zu erreichen, habe ihre Grenzen. 

Der Geldüberhang treibt die Preise 

Auch in Europa, wo die EZB am Donnerstag über die Leitzinsen entschied, nimmt der Druck auf die Notenbanker zu. Ebenso wie in den USA werden auf dem alten Kontinent Arbeitskräfte durch die demografische Zeitenwende knapper. Der jüngste Lohnabschluss im öffentlichen Dienst in Deutschland hat gezeigt, dass die Zeit der Lohnzurückhaltung vorbei ist. Nach den Energie- und Nahrungsmittelpreisen rollt mit den Löhnen die nächste Kostenwelle auf die Unternehmen zu. Vor allem im Dienstleistungssektor, wo der Wettbewerbsdruck durch international handelbare Güter nur schwach ausgeprägt ist, dürften die Preise kräftig anziehen. Mit einer Rate von 7,0 Prozent beziehungsweise 5,6 Prozent (Kernrate) lag die Teuerungsrate für die Lebenshaltung in der Eurozone im April meilenweit über dem EZB-Ziel von zwei Prozent.  



Selbst wenn die Inflation, wie von vielen Beobachtern erwartet, durch technische Basiseffekte bis zum Jahresende auf rund drei Prozent sinken sollte, stehen langfristig preistreibende Faktoren, zu denen neben der Demografie die Deglobalisierung, die Dekarbonisierung und die Defizite in den Staatshaushalten zählen, einer raschen Rückkehr zum Inflationsziel von zwei Prozent entgegen.  

Wollte die EZB ihr Ziel erreichen, müsste sie die Leitzinsen deutlich anheben und zudem die überschüssige Geldmenge, die sie in der Pandemie durch den Ankauf von Anleihen in die Wirtschaft gepumpt hat, absaugen. Zwar schrumpft die Geldmenge M1 (Bargeld und Sichteinlagen) aktuell mit einer Rate von 4,2 Prozent. Und das Wachstum der Geldmenge M3 (M1 plus Termin- und Spareinlagen, Geldmarktfonds und kurzlaufende Anleihen) hat sich auf 2,5 Prozent abgeschwächt. Allerdings spiegeln sich darin vor allem Portfolioumschichtungen (M1) sowie eine nachlassende Kreditdynamik (M3) wider. Der monetäre Überhang ist hingegen noch immer groß. 

Schneller schlau: Inflation

Das Ende der Illusion von der Stabilitätsunion

Um ihn abzubauen, müsste die EZB aufhören, die Tilgungszuflüsse aus ihrem Wertpapierbestand in den Kauf neuer Wertpapiere zu stecken. Das betrifft nicht nur das Kaufprogramm APP, sondern auch das Pandemie-Notkaufprogramm PEPP. Letzteres dient der EZB wegen der Möglichkeit der freihändigen Auswahl von Wertpapieren für die Wiederanlage von Tilgungszuflüssen als Instrument, um die Renditen der hoch verschuldeten Südländer der Eurozone niedrig zu halten.

Mit dieser Zinsmanipulation mindert die EZB den Druck auf die Regierungen, ihre Staatshaushalte zu konsolidieren. Daher kann es nicht verwundern, dass vor allem die hoch verschuldeten Staaten im kollusiven Zusammenspiel mit der EU-Kommission danach trachten, den Stabilitätspakt noch weicher zu spülen als er ohnehin schon ist. 

Wachsen die Schuldenberge der Staaten, ist es der EZB kaum mehr möglich, die Zinsen auf ein stabilitätsgerechtes Niveau anzuheben. Die fiskalische Dominanz, unter die sich die Frankfurter Währungsbehörde durch das unkonditionierte Rettungsversprechen ihres ehemaligen Chefs Mario Draghi („whatever it takes“) begeben hat, setzte sich fort – und mit ihr die voranschreitende Entwertung des Geldes. 

Das wirft die Frage nach der Zukunft der Währungsunion auf. Der Euro-Kläger Markus C. Kerber von der TU Berlin fragt in einem aktuellen Schriftsatz an das Bundesverfassungsgericht, ob die Währungsunion noch die Stabilitätsgemeinschaft ist, die Bedingung für die Zustimmung zum Maastrichter Vertrag und die Einführung des Euro war. Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993 spreche von einer Austrittspflicht, falls die Währungsunion keine Stabilitätsgemeinschaft mehr ist, schreibt Kerber. Das Bundesverfassungsgericht solle die Bundesregierung daher auffordern, „nach Wegen zum Austritt aus der Währungsunion zu suchen“.  

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