Die volle Wirkung der Zinserhöhungsserie der Europäischen Zentralbank beginnt sich laut EZB-Präsidentin Christine Lagarde zu entfalten. Die jüngste Analyse des EZB-Stabs deute darauf hin, dass sich die Auswirkungen der geldpolitischen Straffung auf die Wirtschaft und die Inflation in den kommenden Jahren verstärken dürften, sagte die Französin am Montag vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europaparlaments.
Trotz des nachlassenden Preisdrucks im Euro-Raum müssten die Zinsen laut Lagarde aber weiter steigen: „Unsere künftigen Entscheidungen werden sicherstellen, dass die Leitzinsen auf ein ausreichend restriktives Niveau angehoben werden, um eine rechtzeitige Rückkehr der Inflation zu unserem mittelfristigen Ziel von zwei Prozent zu erreichen.“
Die Inflation im Euroraum hat im Mai zwar spürbar nachgelassen, liegt mit 6,1 Prozent aber noch weit über der von der EZB angestrebten Stabilitätsmarke von zwei Prozent. „Der Preisdruck bleibt hoch“, so das Fazit von Lagarde.
Auch EZB-Ratsmitglied Joachim Nagel rechnet mit weiteren Zinserhöhungen. „Für mich ist nicht ausgemacht, dass wir den Zinsgipfel bereits im Sommer erreichen“, sagte der Bundesbankpräsident am Montag laut Redemanuskript in Bochum. Nagel verwies auf die hohe Inflationsrate in Deutschland von zuletzt 6,3 Prozent und im Euroraum von 6,1 Prozent im Mai: „Auch wenn das deutlich weniger ist als noch im vergangenen Herbst – von stabilen Preisen kann nicht die Rede sein.“
Der zugrundeliegende Preisdruck sei ebenfalls viel zu hoch und gehe bislang kaum zurück, konstatierte Nagel. Im Mai hat die Kerninflation – also ohne Nahrungsmittel und Energie – hierzulande bei 5,1 Prozent gelegen, im Euroraum bei 5,3 Prozent. „Die Geldpolitik darf und wird deshalb im Einsatz gegen die Inflation nicht nachlassen. Wir müssen noch hartnäckiger sein als die gegenwärtige Inflation“, sagte Nagel.
Die Kernrate gilt als guter Indikator für die zugrundeliegenden Inflationstrends und wird deshalb von den Währungshütern genau verfolgt. Der nächste Zinsentscheid der EZB steht am 15. Juni an. Auch Irlands Notenbankchef Gabriel Makhlouf rechnet angesichts des anhaltenden Preisdrucks im Euro-Raum mit einer weiteren Straffung: „Ich denke, dass wir wahrscheinlich im Juni und Juli Zinserhöhungen sehen werden, aber darüber hinaus, denke ich, ist das Bild viel weniger klar“, sagte er jüngst.
Die EZB-Währungshüter hatten Anfang Mai die Zinsen um 0,25 Prozentpunkte angehoben. Der an den Finanzmärkten maßgebliche Einlagensatz, den Geldhäuser für das Parken überschüssiger Gelder erhalten, liegt seither bei 3,25 Prozent. Es war bereits die siebte Zinsanhebung der Währungshüter in Folge, die ihr mittelfristiges Inflationsziel von zwei Prozent seit geraumer Zeit verfehlen.
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