Frank Appel sollte einen Stapel kurzärmeliger Hemden mitnehmen, wenn er demnächst seinen Koffer für die große China-Reise packt. Just im Juli fühlt sich das Klima in Shanghai an, als verbinde ein unsichtbares Dampfbad die vielen Hundert Wolkenkratzer der Innenstadt. Der schwüle Sommer an Chinas Südküste ist im Freien kaum zu ertragen. Nur in Büros, Hotels oder Limousinen kann der Vorstandschef von Deutscher Post/DHL durchatmen.
Einen kühlen Kopf wird Appel brauchen. Der Chef des größten deutschen Logistikkonzerns will nicht bloß ein, zwei Tage in Chinas Wirtschaftsmetropole weilen, sondern sein Post-Imperium für vier Wochen aus dem Reich der Mitte regieren. Was ungewöhnlich klingt, ist nur konsequent: Die Zukunft des gelben Riesen und vieler anderer deutscher Unternehmen entscheidet sich in Asien, auf den Leitmärkten von morgen. In China setzte die Post voriges Jahr rund vier Milliarden Euro um. Das gesamte Marktvolumen, darunter auch die Transporte im Inland, wird nach Schätzungen der Bonner bis 2015 um zehn Prozent pro Jahr auf 417 Milliarden Euro steigen – insofern sieht Appel noch Luft nach oben.
Starre Politik
Nicht nur die Post sucht ihr Heil in Fernost. Inzwischen haben die meisten Konzerne erkannt, dass Wohl und Wehe der Weltwirtschaft von den sogenannten Schwellenländern abhängen, die es zu verstehen gilt. Daher ist es kein Zufall, dass jeder dritte Top-Manager bei Dax-Konzernen aus dem Ausland stammt. Nur die Politik denkt nicht global: Im Westen hält sie am werteorientierten Wirtschaftssystem als Blaupause für den Rest des Globus fest – und merkt nicht, wie die Welt im globalen Wirrwarr zerfällt. Dabei ist die Wirtschaft in einer Welt, in der die fluiden Regeln des Staatskapitalismus die Ordnung der freien Marktwirtschaft verdrängen, so stark wie nie zuvor auf Flankenschutz der Politik angewiesen.
Wie sich die Welt verändert hat
Bruttoinlandsprodukt in Milliarden Dollar:
2000: 905
2030: 2282
Bevölkerung in Millionen:
2000: 31
2030: 40
Bruttoinlandsprodukt in Milliarden Dollar:
2000: 12.423
2030: 22.288
Bevölkerung in Millionen:
2000: 282
2030: 362
Bruttoinlandsprodukt in Milliarden Dollar:
2000: 802
2030: 4.944
Bevölkerung in Millionen:
2000: 174
2030: 220
Bruttoinlandsprodukt in Milliarden Dollar:
2000: 2.379
2030: 3.947
Bevölkerung in Millionen:
2000: 82
2030: 79
Bruttoinlandsprodukt in Milliarden Dollar:
2000: 10.641
2030: 21.484
Bevölkerung in Millionen:
2000: 466
2030: 473
Bruttoinlandsprodukt in Milliarden Dollar:
2000: 274
2030: 2380
Bevölkerung in Millionen:
2000: 811
2030: 1.562
Bruttoinlandsprodukt in Milliarden Dollar:
2000: 324
2030: 4.706
Bevölkerung in Millionen:
2000: 147
2030: 136
Bruttoinlandsprodukt in Milliarden Dollar:
2000: 1.496
2030: 25.584
Bevölkerung in Millionen:
2000: 1.300
2030: 1.400
Bruttoinlandsprodukt in Milliarden Dollar:
2000: 599
2030: 7.174
Bevölkerung in Millionen:
2000: 1.100
2030: 1.500
Der Aufstieg der anderen ist kein neues Phänomen. Aber seit Japan und die USA in Schulden versinken, Europas Wohlfahrtspolitik nicht mehr finanzierbar ist und der EU die Spaltung durch die eigene Währung droht, steckt der Westen in der Sinnkrise. Derweil blühen im Osten Autokratien, deren Politiker in der Weltpolitik zunehmend selbstbewusst auftreten, freiheitliche Prinzipien aushebeln und ihre Handels-, Investitions- und Standortpolitik nach Gutdünken ändern.
Über den Tellerrand blicken
Wieso sprechen wir noch von Schwellenländern? Auf der Schwelle zu wem oder was? Lebensqualität in Shanghai, Moskau und Rio de Janeiro ist heute für viele höher als in Detroit oder Eisenhüttenstadt. Die Weltbank erwartet, dass China 2025 die USA als größte Ökonomie der Welt überholen wird, bis dahin wird Indien vor China mit mehr als 1,3 Milliarden Einwohnern zum bevölkerungsreichsten Markt werden.
Es ist an der Zeit, die Aufsteiger als das zu betrachten, was sie sind – Motoren des globalen Wachstums. „Wir müssen akzeptieren, dass China und Indien das Gleichgewicht der Welt verändern werden“, sagt Dirk Messner, Chef des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik in Bonn. „Wir sollten sie ernst nehmen und einbinden, da wir ohne sie kaum mehr Politik machen können.“ Für die Bundesregierung bedeutet das: Berlin muss weiter über den Tellerrand der Innenpolitik schauen, Außenpolitik muss zur Wirtschaftspolitik werden – erst recht, seit die EU ein Sanierungsfall ist.
Es ist Zeit für mehr Realismus: Im Verhältnis zu den aufsteigenden Ökonomien verliert der Westen an Bedeutung. Er muss aber nicht in Bedeutungslosigkeit versinken, wenn er die Globalisierung als Chance statt als Bedrohung begreift. Wirtschaftslenker wie Post-Chef Appel haben das verstanden und reagieren – ganz pragmatisch.