Globalisierungsreport Globalisierung vergrößert den Vorsprung reicher Länder

Im Gegensatz zu landläufigen Vorstellungen profitieren die reichen Länder stärker von der Globalisierung als die Schwellenländer. Die Autoren des Bertelsmann-Globalisierungsreports fordern dennoch offene Märkte.

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Drei Containerschiffe im Hamburger Hafen. Deutschland und andere entwickelte Länder vergößern durch die Globalisierung ihren Wohlstandsvorsprung vor Schwellenländern. Quelle: dpa

Von freiem Handel profitieren alle Länder. Das ist einer der zentralen Glaubenssätze moderner (Außen-)Wirtschaftspolitik, seit David Ricardo 1817 seine Theorie des „komparativen Kostenvorteils“ anhand des berühmten Beispiels der englisch-portugiesischen Wirtschaftsbeziehungen vorstellte. Völlig verstummt sind die Skeptiker dieser Vision einer endlosen Win-Win-Situation allerdings nie. Und jetzt erhalten sie neues Argumentationsfutter. Nicht vom Anti-Globalisierungsbündnis Attac, sondern ausgerechnet von der Bertelsmann-Stiftung.

„Die Globalisierung hat während der vergangenen zwei Jahrzehnte vor allem den Wohlstand in den Industrienationen vermehrt. Schwellen- und Entwicklungsländer hingegen profitierten vergleichsweise wenig,“ verkündet die Stiftung als eines der zentralen Ergebnisse einer Studie der Prognos AG im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, die erstmals berechnet hat, in welchem Umfang Globalisierung 42 nationale Volkswirtschaften wachsen lässt.

Dabei kommt sie zu dem Ergebnis, dass Globalisierung grundsätzlich für alle untersuchten Länder positive Effekte auf das Wachstum hatte. Aber: Das Zusammenwachsen der Welt führt nicht dazu, dass sich die Wohlstandsunterschiede zwischen Industrieländern wie Finnland, Dänemark oder Japan und den Schwellenländern verringern. Im Gegenteil: Pro Jahr und Kopf wuchs durch Globalisierungseffekte das Bruttoinlandsprodukt in den Top-20 Industrieländern zwischen 1990 und 2011 durchschnittlich um ungefähr 1.000 Euro, aber in Ländern wie Mexiko, China oder Indien um weniger als 100 Euro je Einwohner. Die absoluten Zuwächse je Einwohner waren in den großen Schwellenländern Südafrika, Brasilien, Russland, Mexiko, China und Indien am geringsten.

In der öffentlichen Wahrnehmung verdeckt die Fokussierung der Medien und Analysten auf das prozentuale BIP-Wachstum kompletter Volkswirtschaften – unabhängig von der Frage nach dem Einfluss der Globalisierung - die Vergrößerung des Abstandes des Wohlstandes. Dass ein Zehn-Prozent-Wachstum Chinas auf einen der 1,3 Milliarden Chinesen runtergerechnet weniger Einkommenszuwachs bedeutet, als ein Zwei-Prozent-Wachstum für einen der 80 Millionen Deutschen, spielt in dieser Investoren-Perspektive keine Rolle.

Deutschland zählt zu den größten Gewinnern der Globalisierung. Hinter Finnland, Dänemark und Japan habe Deutschland am stärksten von der weltweiten Verflechtung profitiert, schreiben die Autoren. So ließ die Globalisierung zwischen 1990 und 2011 das reale deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Durchschnitt jedes Jahr um rund 100 Milliarden Euro wachsen, behaupten die Autoren. Die zunehmende Verflechtung auf politischer, wirtschaftlicher und sozialer Ebene sei somit für etwa 20 Prozent des Wachstums der deutschen Volkswirtschaft verantwortlich gewesen. In Summe betrugen die BIP-Gewinne aus den Globalisierungseffekten in diesem Zeitraum rund zwei Billionen Euro. Das entspricht durchschnittlich 1.240 Euro pro Kopf und Jahr. In der Rangliste der Globalisierungsgewinner folgen auf Deutschland die Schweiz, Österreich und Israel.

„Wir müssen erkennen, dass die Globalisierung die Schere zwischen Arm und Reich eher noch weiter öffnet", sagte Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung. Er folgert aus den Ergebnissen allerdings nicht die Forderung, die Globalisierung durch neue Handelsschranken zu reduzieren. Schließlich profitierten auch die Schwellenländer. De Geus fordert stattdessen „aktive Entwicklungszusammenarbeit“. Die Industrieländer sollten ihre Märkte für Produkte aus weniger entwickelten Ländern öffnen, ihre Subventionen für Agrarprodukte reduzieren, notwendige Bildungsmaßnahmen sowie den Ausbau der Infrastruktur und der Produktionsanlagen einschließlich der notwendigen Technologien finanzieren.

Maßstab zur Messung von Globalisierung war für die Studie ein „Globalisierungsindex“, der sich eng an den KOF-Globalisierungsindex der Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH Zürich anlehnt. Er untersucht neben Indikatoren zur wirtschaftlichen Globalisierung auch Aspekte sozialer Globalisierung (Tourismus, Migration) und politischer Globalisierung (institutionalisierte Verflechtung, Außenbeziehungen etc.).

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