Große Ökonomen und ihre Ideen Schumpeter und die Zivilisationsmaschine

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Der Deutsche Volkswirt Quelle: WirtschaftsWoche

Als Schumpeter 1925 im Alter von 43 Jahren zum zweiten Mal heiratete und zum Professor für wirtschaftliche Staatswissenschaft an die Universität Bonn berufen wurde, kehrte erstmals in seinem Leben so etwas wie Ruhe ein. Schumpeter hatte zu diesem Zeitpunkt bereits zehn Karrieren hinter sich: als wissenschaftliches Wunderkind und Buchautor, als Investmentbanker und österreichischer Finanzminister, als Anwalt in Kairo und Regierungsberater in Berlin, als Gentleman in London und Lehrbeauftragter in der Bukowina (heute Ukraine) – und als Salonlöwe und Schürzenjäger überall da, wo er auftauchte. So wurzellos sein Leben, so rastlos war sein Geist – angespornt von einer ehrgeizigen Mutter, die „Joszi“ nach dem frühen Tod des Vaters aus der mährischen Heimat nach Wien lotste – und von einer tief sitzenden Leidenschaft für Luxus, Vornehmheit und Verschwendung. Ein ganzes Leben lang hat Schumpeter sich gewissermaßen vor sich selbst hergetrieben und den Punkt gesucht, von dem aus er seine Bahn ziehen wollte: als Bürgersohn auf dem Theresianum in Wien, wo er Bank an Bank mit Habsburger Adelssprösslingen saß und fünf Fremdsprachen büffelte; als promovierter Uni-Absolvent und Forschungsreisender, der in England die zwölf Jahre ältere Tochter eines Würdenträgers heiratete, um den Umgang mit Dienstboten und Seidentüchern zu erlernen; als arrivierter Professor in Bonn (1925 –1932) und Harvard (1932–1950), wo er unbändig viel gelesen, gelehrt und geschrieben hat, sich selbst streng zensierend mit Tagesformnoten – und seit den Vierzigerjahren zunehmend ungehalten, düster und sterbensfroh. Denn er merkte, dass er nicht mehr so frisch und flexibel war wie in seinem dritten Lebensjahrzehnt, der „heiligen Dekade“ seines Lebens.

Dynamische Führer

Die wissenschaftliche Bühne betrat Schumpeter 1911. Seine „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ ist der Geniestreich eines 28-Jährigen – in ihr ist fast alles angelegt, was später noch ausdifferenziert werden wollte. Das Werk beginnt mit der 100-seitigen Darstellung einer bewegungslosen Marktwirtschaft, in der eine unsichtbare Hand über einen Kreislauf wacht, der „jahraus, jahrein abläuft“, in dem „die Produktion den Bedürfnissen folgt“ und Kaufleute sich „in ausgefahrenen Bahnen“ bewegen. Erst im zweiten Kapitel wird klar, dass Schumpeter das Panorama dieser statischen Wirtschaft nur aufspannt, um die Revolution des „dynamisch-energischen“ Industriekapitalismus umso effektvoller in Szene zu setzen. Mit kühnen Strichen führt er die Figur des „Führers“ ein, der sich „außerhalb der gegebenen Bahn“ bewegt, ein „Neuerer“, der die Wirtschaft „schöpferisch“ gestaltet und ihr „neue Formen“ verleiht, ein „Mann der Tat“, der „seine Produkte dem Markte aufdrängt“. Dabei wird Schumpeters Unter- » » nehmer nicht nur vom Eigennutz und rationalen Kalkül angetrieben, im Gegenteil: Er ähnelt einem „großen, schaffenden Künstler“, der beseelt ist vom „Traum und Willen, ein privates Reich“ zu gründen: „Solche Männer schaffen, weil sie nicht anders können.“ Vor allem schaffen sie eine kapitalistische Welt, die von ihren Innovationen laufend umgepflügt wird und die damit ihrem „Wesen nach ein Prozess wirtschaftlichen Wandels“ ist.

Kritik an den Klassikern

Schumpeters Kapitalismus-Theorie bringt einen neuen, individualpsychologischen Ton in die Ökonomie. Sie revidiert den Lehrsatz, dass Eigennutz der Hauptantrieb menschlichen Handels sei. Sie verwirft die Annahme eines rational handelnden „Homo oeconomicus“. Und sie verabschiedet das Harmoniegesetz von Angebot und Nachfrage. Kurzum: Schumpeter erklärt das Gleichgewichtsdenken der Klassiker für obsolet. Stabilisierter Kapitalismus sei ein Widerspruch in sich. Sein Tempus sei nicht die Gegenwart, sondern die Zukunft. Seine Modi seien nicht Kreislauf und Wiederkehr, sondern Expansion und Wandel. Sein Geld sei nicht akkumuliertes Vermögen (Kapital), sondern geschöpftes Versprechen (Kredit). Neue Firmen schaffen neue Werte mit neuem Geld – die kapitalistische Revolution besteht für Schumpeter darin, dass sie uns in eine Art dauernde Zukunft katapultiert: Der Unternehmer schafft Produkte, der Bankier produziert Kaufkraft – und beide zusammen schaffen einen dynamischen, unabschließbaren Fortschrittsprozess.

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