Große Ökonomen und ihre Ideen Schumpeter und die Zivilisationsmaschine

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Kämpfer für Innovation und Unternehmertum

Schumpeter war ein großer Kapitalismustragiker, gewiss, aber seine Tragik hatte Methode. Er fand nichts dabei, dass der Kapitalismus die Reichen bereichert – solange Unternehmer ihre Einkünfte darauf verwenden, zu investieren und den Lebensstandard aller zu erhöhen. Viel größere Sorgen bereitete ihm, dass die Politik die kapitalistische Gans schlachten könnte und der Nachschub an goldenen Eiern zum Erliegen käme. Alles, was Vergangenheit festschrieb und den Fortschrittsmotor beeinträchtigte; alles, was Innovationen abträglich war; alles, was dem Unternehmertum und der Kredittätigkeit schadete, hat Schumpeter in tagespolitischen Zwischenrufen bekämpft. Als österreichischer Finanzminister (1919) wetterte er gegen den Friedensvertrag von Saint-Germain – dieser würge die Wirtschaftstätigkeit ab. Als Kolumnist des „Deutschen Volkswirts“, dem Vorläufer der WirtschaftsWoche, drängte er auf maßvolle Einkommensteuern, auf die Kopplung der Löhne an die Produktivität – und auf eine Subventionspolitik, die Starke stärkt, nicht Schwache pflegt. Als Zeitzeuge der sowjetischen Machtübernahme in Osteuropa und des Triumphzugs von Ausgabenprogrammen in den westlichen Wohlfahrtsstaaten schließlich machte er allen Keynes-Jüngern den Vorwurf, den Antikapitalismus geistig respektabel zu machen.

Angst vorm Sozialismus

Schumpeter hat die Ambivalenzen der Fortschrittsmaschine gesehen. Er bemerkte, dass die greifbaren Vermögenswerte im Kapitalismus durch ein Aktienpaket ersetzt werden – und dass sich damit das Gefühl der persönlichen Verantwortung verflüchtigt. Er wusste um das Problem der Entfremdung und sorgte sich über die „Zersetzung“ von Familien, die auch „in ihrem Privatleben eine Art unausgesprochene Kostenrechnung einführen“. So optimistisch er die zivilisatorischen Errungenschaften des Kapitalismus beurteilte, so pessimistisch stimmte ihn der Verfall von Bildung und Bindung in einer ewig sich wandelnden Welt. Die Erinnerung an das kleinbetriebliche Kaffeehaus-Wien ließ ihn zeit seines Lebens nicht los. Seiner Faszination für die Erneuerungskraft des Kapitalismus aber tat das keinen Abbruch, im Gegenteil: Schumpeter sah den Sozialismus auf dem Vormarsch – und seine Angst davor, den Leuten könne sozialistisches Brot besser schmecken als kapitalistisches, „ganz einfach, weil es sozialistisches Brot ist“, war so groß, dass sein Lob des Kapitalismus oft überschwänglicher ausfiel, als er es in Wahrheit meinte.

Die goldene Gans

Man kann ihm ankreiden, dass er die Breite der Wohlstandsproduktion und soziale Durchlässigkeit der kapitalistischen Veränderungsmaschine überschätzte: Erfolg war für ihn vergänglich, Reichtum temporär: „Die Oberschichten der Gesellschaft gleichen Gasthöfen, die zwar immer voll von Leuten sind, aber immer von anderen.“ Das Entstehen vererbbarer Geld-Geschlechter, die Feudalisierung der Finanzmärkte, die Reproletarisierung der Arbeiterschaft – das alles war für ihn (langfristig) unvorstellbar.

Er selbst allerdings würde argumentieren, dass an seiner Krise nicht der Kapitalismus Schuld trägt, sondern eine Politik, die ihn auf dem Gewissen hat. Wer nicht Unternehmertum, Innovationen und ein gesundes Kreditwesen fördert, sondern Bestandspflege betreibt und Umverteilung schuldenfinanziert, darf sich nicht wundern, dass die goldene Gans irgendwann keine Eier mehr legt. Dass damit nicht nur der Kapitalismus selbst auf dem Spiel steht, sondern auch das, worauf er sich gründet – eine Atmosphäre des Fortschritts –, hat niemand so deutlich gesehen wie Schumpeter. Seine überragende Bedeutung besteht darin, dass er uns die ganze Wahrheit über die moderne Wirtschaft erzählt und ihr Grundgesetz bis zur Kenntlichkeit zugespitzt hat: Ohne Kapitalismus keine Zukunft – und keine Zukunft ohne Kapitalismus.

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