Hans-Werner Sinn Die Geldpolitik produziert Siechtum

Billiges Kapital und niedrige Zinsen kurbeln nicht das Wachstum an, sondern schützen die Vermögenden. Ein anhaltender Aufschwung gelingt nur mit einem Paradigmenwechsel in der Geldpolitik.

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Hans-Werner Sinn. Quelle: dpa Picture-Alliance

Als John Williams, der Präsident der mächtigen Distrikt-Zentralbank der US-Westküstenstaaten, kürzlich vorschlug, das Inflationsziel der Federal Reserve Bank von zwei Prozent auf drei Prozent anzuheben, atmeten viele Anleger auf. Sie werteten den Vorstoß als Signal für weiterhin niedrige Zinsen. Höhere Zinsen hätten niedrigere Aktien- und Immobilienpreise bedeutet – und so manche Jahresbilanz verhagelt.

Williams begründet seine Empfehlung mit der Gefahr der Säkularen Stagnation, einem Begriff, der 1938 von Alvin Hansen, einem Zeitgenossen von Keynes, geprägt wurde. Säkulare Stagnation bedeutet: Es gibt einen dauerhaften Sparüberhang über die Investitionen, der auch bei Nullzinsen nicht verschwindet, weil die Menge der rentablen Investitionsmöglichkeiten erschöpft ist. Hansen wollte den Sparüberhang durch permanente Budgetdefizite des Staates abschöpfen.

Williams indes setzt auf die Geldpolitik. Da der natürliche Realzins, zu dem genug Investitionen zustande kommen, null oder sogar negativ sei, müsse die Notenbank auch bereit sein, mit niedrigeren Nominalzinsen eine höhere Inflationsrate anzupeilen.

Deutschsprachige Ökonomen und Soziologen des 20. Jahrhunderts

Mit seiner Angst vor einer Säkularen Stagnation steht der Autor nicht allein. Ökonomen wie Carl Christian von Weizsäcker oder Larry Summers haben ähnliche Befürchtungen geäußert. Auch ich selbst habe 2009 die Gefahr einer Säkularen Stagnation vom japanischen Typus beschrieben.

Inzwischen ist aber einiges Wasser den Rhein hinuntergeflossen, und es schält sich angesichts der alle Mandatsgrenzen sprengenden Interventionen der Notenbanken eine weitere Hypothese zur Erklärung des Geschehens heraus. Ich nenne sie das „selbst produzierte Siechtum“.

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