In der Griechenland-Frage haben Sie sich weit aus dem Fenster gelehnt und den Euro-Austritt des Landes gefordert. Bleiben Sie dabei oder hat sich die Lage durch das neue Rettungspaket entspannt?
Griechenland hat in der Währungsunion keine Zukunft. In dem Land hat sich doch nichts verändert! Die Regierung hat die alten Vereinbarungen mit den Geldgebern nicht eingehalten und ist bei der Umsetzung der neuen Vereinbarungen schon nach kurzer Zeit in Rückstand. Die Milliarden fließen trotzdem. Das interessiert nur kaum jemanden, weil die Flüchtlingskrise medial und politisch alles überlagert.
Frau Sinn, in der Griechenlandfrage wurde Ihr Mann heftig kritisiert. Teilen Sie seine Positionen?
Gerlinde Sinn: Wir haben da keine großen Differenzen. Ich bin als Ökonomin in meinem Urteil zuweilen unbekümmerter. Manche würden sagen: auch radikaler.
Oha, inwiefern?
Gerlinde Sinn: Ich war von Anfang an der Überzeugung, dass Griechenland nicht in den Euro gehört. Das Land war dafür noch nicht reif. Um Reformen zu implementieren, muss man hinter ihnen stehen. Das ist bei vielen Griechen nicht der Fall. Kommen die Reformen nur durch Zwang von außen zustande, untergräbt dies die Souveränität des Landes und führt zu Unruhen. Mein Mann hat zunächst weniger radikal argumentiert.
Griechenland bleibt im Euro, gleichzeitig denkt Großbritannien, darüber nach, die EU zu verlassen. Welche Folgen hätte ein „Brexit“?
Er wäre verheerend, weil dann in der EU das liberale Gegengewicht zum etatistischen Frankreich fehlen würde. Die EU würde noch französischer, als sie schon ist. Der französische Weg der staatlichen Wirtschaftslenkung ist aber ein Weg in die Stagnation. Ich würde den Briten Konzessionen machen, damit sie in der EU bleiben, zum Beispiel indem ich der Zentralisierung der europäischen Politik Einhalt gebiete.
Derzeit bahnt sich eher das Gegenteil an. Glauben Sie, dass sich die von Frankreich propagierte Idee einer Fiskalunion durchsetzt, mit eigenem Finanzminister und Budget der Euro-Zone?
Der Druck ist groß. Der Club Med hat in der Währungsunion die Mehrheit und will unter allen Umständen einen europäischen Finanzausgleich mit Eurobonds. Dem Ziel ist man heute schon sehr nahe gekommen, und man wird weiter bohren. Deutschland wird zum Störenfried gestempelt, wenn es sich weigert, die Geldbörse aufzumachen. Denken sie nur an die neuen Attacken von Matteo Renzi. Ich befürchte, dass unsere Politiker das nur begrenzt aushalten werden.
Wie sehen Sie heute die Rolle der EZB, deren Anleihekäufe Sie heftig attackiert haben? Hat uns die Notenbank mit ihrer expansiven Geldpolitik am Ende nicht doch den Kopf gerettet?
Ja, sicher ist sie als Retterin unterwegs. Dass sie bankrotte Staaten und Banken vor dem Konkurs bewahrt hat, ist unbestreitbar. Aber das ist es ja gerade, was ich kritisiere.
Von Grexit bis Graccident - die wichtigsten Begriffe zur Schuldenkrise
Der Kunstbegriff wurde aus den englischen Worten für „Griechenland“ (Greece) und „Ausstieg“ (Exit) gebildet - gemeint ist ein Ausstieg oder Rauswurf Griechenlands aus der Eurozone. So etwas ist in den EU-Verträgen allerdings gar nicht vorgesehen. Die Idee: Würde Griechenland statt des „harten“ Euro wieder eine „weiche“ Drachme einführen, könnte die griechische Wirtschaft mit einer billigen eigenen Währung ihre Produkte viel günstiger anbieten.
Neuerdings wird auch vor einem unbeabsichtigten Euro-Aus der Griechen gewarnt. Das Kunstwort dafür besteht aus Greece und dem englischen Wort für „Unfall“ (Accident) - wobei das Wort im Englischen auch für „Zufall“ stehen kann. Gemeint ist ein eher versehentliches Schlittern in den Euro-Ausstieg, den eigentlich niemand will - der aber unvermeidbar ist, weil Athen das Geld ausgeht. Mittlerweile taucht die Wortschöpfung auch als „Grexident“ auf.
Staaten brauchen Geld. Weil Steuereinnahmen meist nicht ausreichen, leihen sie sich zusätzlich etwas. Das geschieht am Kapitalmarkt, wo Staaten sogenannte Anleihen an Investoren verkaufen. Eine Anleihe ist also eine Art Schuldschein. Darauf steht, wann der Staat das Geld zurückzahlt und wie viel Zinsen er zahlen muss.
Im Grunde handelt es sich ebenfalls um Anleihen - allerdings mit deutlich kürzerer Laufzeit. Während Anleihen für Zeiträume von fünf oder zehn oder noch mehr Jahren ausgegeben werden, geht es bei T-Bills um kurzfristige Finanzierungen. Die Laufzeit solcher Papiere beträgt in der Regel nur einige Monate.
Manchmal hat ein Staat so viel Schulden, dass er sie nicht zurückzahlen kann und auch das Geld für Zinszahlungen fehlt. Dann versucht er zu erreichen, dass seine Gläubiger auf einen Teil ihres Geldes verzichten. Das nennt man Schuldenschnitt. Dieser schafft finanzielle Spielräume. Allerdings wächst auch das Misstrauen, dem Staat künftig noch einmal Geld zu leihen.
Seit 2010 hatten immer mehr Staaten wegen hoher Schulden das Vertrauen bei Geldgebern verloren. Für sie spannten die Europartner einen Rettungsschirm auf. Er hieß zuerst EFSF, wurde später vom ESM abgelöst. Faktisch handelt es sich um einen Fonds, aus dem klamme Staaten Kredithilfen zu geringen Zinsen bekommen können.
In der Euro-Schuldenkrise wurde der Begriff für das Trio aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und EU-Kommission gebraucht. Sie kontrollieren die verlangten Reformfortschritte. Im Euro-Krisenland Griechenland ist die Troika deswegen zum Feindbild geworden. In seinem Schreiben an die Eurogruppe spricht Athen nun von „Institutionen“. Auch die Europartner wollen das Wort „Troika“ nicht mehr verwenden. In offiziellen Dokumenten war ohnehin nie die Rede von der „Troika“.
Sie hätten also ernsthaft Staats- und Bankenpleiten in Kauf genommen?
Ein Konkurs ist ja ein Schuldenschnitt. Einem überschuldeten Land erlaubt er, wieder zu atmen. Und nur die Möglichkeit des Konkurses eines Einzelstaates bewirkt im Übrigen, dass Kreditgeber bei der Geldvergabe an unsolide wirtschaftende Empfänger zögern. Nur so kann verhindert werden, dass eine Föderation von Einzelstaaten im Schuldensumpf ertrinkt. In der Schweiz würde ein Kanton niemals Hilfe von Notenbank oder Zentralstaat bekommen. Oder nehmen Sie die USA und ihre Bundesstaaten: Kalifornien steht am Rande der Pleite, die US-Notenbank kauft trotzdem kein einziges Staatspapier von dort. Die No-Bail-out-Regel ist der Garant der Stabilität dieser föderativen Staaten.