Hans-Werner Sinn "Am liebsten Biologie. Ökonomie war zweite Wahl"

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Liebe meines Lebens

(…)
Denn noch mehr als das Studium zog mich Gerlinde Zoubek in ihren Bann, eine von vielleicht drei Frauen unter rund 100 Studenten der VWL in Münster. Heute sind die Studenten dieses Fachs etwa zur Hälfte männlich und zur Hälfte weiblich. Damals gab es fast nur junge Männer, und da galt es sich zu beeilen, wenn man bei einem der Mädchen landen wollte. Die zunächst zwanglosen Kontakte, die sich mit Gerlinde ergaben, wurden alsbald durch eine Einladung zum selbst gemachten Essen ergänzt, und dann kam eins zum anderen.

Vor 50 Jahren also fanden wir uns – und haben uns seither nicht mehr losgelassen. 1970 verlobten wir uns und bereits im November 1971 heirateten wir, also noch während des Studiums. Die Eltern meiner Frau waren nicht so euphorisch wie ich – oder wie wir –, aber am Ende stellten sie sich nicht in den Weg. Ich war damals 23 und meine Frau 22 Jahre alt.

Einen nicht unwichtigen Anlass für die Entscheidung, so früh zu heiraten, gab ein Erlebnis bei einer Maklerin, bei der wir nach einer gemeinsamen Wohnung suchten. Als sie erfuhr, dass wir Studenten der Volkswirtschaft waren, erklärte sie uns, dass ihr Verlobter BWL studieren würde, sie ihn aber nicht ehelichen wollte, bevor er sein Diplom hatte, damit sie sicher sein konnte, keine Fehlentscheidung zu treffen.

Vater Hans-Werner Sinn 1977. (Copyright Hans-Werner Sinn/Privat) Quelle: Privatfoto

Eine solche, aus unserer Sicht auch ökonomisch motivierte Einstellung zu Liebe und Hochzeit fanden wir geradezu empörend. Von ihr wollten wir uns unbedingt abgrenzen, und so gingen wir zum Standesamt, bevor wir wussten, wie das Examen ausgehen würde. Noch während des Studiums zu heiraten gilt nicht nur heute, sondern galt vor allem damals als extrem ungewöhnlich.

Und so wurde unsere Entscheidung auch von manchen unserer Kommilitonen und Freunde mit hochgezogenen Augenbrauen quittiert. Für meine Frau war die Umstellung besonders gewöhnungsbedürftig, weil sich die Professoren über den neuen Namen wunderten. Sie hieß nun Gerlinde Sinn. Aber als sie den Grund erfuhren, gratulierten sie artig. Wir bezogen eine kleine Wohnung, etwa so groß wie jene, die meine Eltern besessen hatten, als ich ein Kind war. Ein Zimmer diente uns abwechselnd als Küche und Schlafzimmer, und ein rollbarer Tisch, den ich dazu gebastelt hatte, half beim Umbau, je nachdem, ob wir den Raum zum Kochen oder zum Schlafen nutzen wollten. Unsere Kommilitonen beneideten uns damals sehr um unseren Quelle-Geschirrspüler. Ich war es, der auf seiner Anschaffung bestanden hatte, um das bis dahin allzu oft durchlittene Elend überquellender Berge schmutzigen Geschirrs in der Wohngemeinschaft, in der ich bis dahin mit einem anderen Studenten gelebt hatte, gar nicht erst aufkommen zu lassen.

In den Alpen 1983. (Copyright Hans-Werner Sinn/Privat) Quelle: Privatfoto

(…) Seit unserem gemeinsamen Studium bis heute ist sie zudem eine meiner wichtigsten intellektuellen Sparringspartner. Sie begleitet meine Forschungsarbeiten und Bücher kritisch und unterstützend zugleich. Und wenn es wieder einmal eine Attacke gegen den angeblich marktradikalen Ehemann gibt, ist sie es, mit der ich mich zuerst beratschlage, was zu tun ist.

Auf unseren vielen, nicht zuletzt beruflich notwendig gewordenen Reisen ist es zudem sie, die immer wieder kommunikative Tore öffnet, auch mir. Das gelingt ihr durch ihre direkte und freundliche Art und weil sie nicht nur ein exzellentes Englisch spricht, sondern auch recht gut französisch und italienisch. Seit einigen Jahren lernt sie nun auch Tschechisch.

Es gibt wenige Menschen, die ich so bewundere wie sie. Nein, es gibt keine. Gerlinde ist die Liebe meines Lebens.

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