Henry Kissinger kritisiert Europa wendet sich von der Welt ab

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Keine Vision

Europa muss das „deutsche Problem lösen“, findet der britische Historiker Brendan Simms. Berlin könne das europäische Gleichgewicht empfindlich stören, wenn es innerlich instabil – oder nach außen zu stark sei. „Wird ein mächtiges Deutschland nicht in einen politischen Rahmen eingebunden, hat das Folgen“, sagt Simms. Die zentrale Frage also sei anno 2014, wie auch schon in den vergangenen 200 Jahren, wie der Kontinent mit Deutschland umgehe.

Das sind die Märkte von morgen
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Simms Lösung: Deutschland müsse eingebunden werden in den europäischen Kontext. Mehr Rechte müssten nach Brüssel verlagert werden. Nicht nur – aber eben auch – von Deutschland.

So weit geht Henry Kissinger in seinem Buch „Weltordnung“ nicht. Während er sich nicht nur durch die Geschichte Europas arbeitet, sondern auch kenntnisreich die Entwicklung Asiens, des Nahen Ostens und natürlich der USA nachzeichnet, lässt er sich nicht zu politischen Äußerungen hinreißen. Zwar kritisiert er, dass die Europäische Union unvollendet sei, „eine Mischform, die konstitutionell zwischen einem Staat und einem Staatenbund liegt“. Deren Bürokratie widerspreche der Demokratie, sie vertrete politische Werte, die sie aufgrund fehlender Institutionen – etwa einer gemeinsamen Außenpolitik, geschweige denn einer gemeinsamen Armee – gegen Widerstände durchsetze könne. Gleichzeitig unterstreicht Kissinger, dass nicht ein US-Amerikaner den Europäern Ratschläge erteilen solle, über ihre Fortentwicklung müssten die Europäer schon alleine entscheiden.

Egal ob als Bundesstaat oder Staatenbund: Wichtig sei, dass Europa sich entscheide und Positionen festlege. Denn sonst laufe der Kontinent, der „vor knapp einem Jahrhundert noch ein Quasimonopol auf die Gestaltung der globalen Ordnung hatte“, so Kissinger, Gefahr, irrelevant und nicht mehr gehört zu werden.

Europa, da kann man Kissinger nur zustimmen, hat offensichtlich noch nicht erkannt, wie sich Macht verschiebt. Zwar versucht Deutschland, als Exportweltmeister neue Märkte zu erschließen und China und mit deutlich geringerer Leidenschaft auch Indien, Vietnam, Nigeria oder Ghana mit Gütern und Wissen bei deren Modernisierung zu helfen. Geopolitisch aber haben Deutschland und Europa „keine Vision“ wie Kissinger richtig moniert. Das könnte fatale Folgen haben, warnt der Deutschamerikaner: „Europa wendet sich just in einem Augenblick nach innen, da die Weltordnung, die es in bedeutendem Maße mit geschaffen hat, von zerstörerischen Entwicklungen bedroht wird, die alle Regionen, die ihre Mitgestaltung versäumen, am Ende in den Abgrund reißen könnte.“

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