Höherer Zinssatz „Die türkische Wirtschaft kollabiert“

Kurz vor dem Verfassungsreferendum hebt die türkische Zentralbank den Zinssatz für Kredite an, lässt den Leitzins unberührt. Eine andere Entscheidung wäre als Sabotageakt gewertet worden. Doch die Probleme sind ungelöst.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Der türkische Präsident hatte sich lange gegen Zinserhöhungen gestemmt und den Lira-Verfall mit Attacken von außen auf die türkische Wirtschaft erklärt. Quelle: Reuters

Frankfurt Inmitten der politischen Wirren in der Türkei hat die Zentralbank des Landes die geldpolitischen Zügel angezogen. Die in den vergangenen Monaten unter Druck geratene türkische Währung zog daraufhin am Donnerstag deutlich an. Ein Dollar fiel zur Lira um bis zu 1,1 Prozent auf 3,63 Lira und markierte den tiefsten Stand seit zweieinhalb Wochen. Für einen Euro müssen die Türken derzeit 3,9 Lira aufwenden.

Die Währungshüter hoben den Zinssatz für Kredite, die sich Banken bei der Zentralbank besorgen können, wenn sie keine anderen Darlehen mehr bekommen, um 75 Basispunkte auf 11,75 Prozent an. Den Leitzins ließen sie unverändert bei 8,0 Prozent.

Dass die Zentralbank den Leitzins nicht angetastet hat, liegt nach Einschätzung der Experten der Commerzbank an der bevorstehenden Abstimmung in der Türkei über eine Verfassungsreform, durch die die Kompetenzen von Präsident Recep Tayyip Erdogan erheblich ausgeweitet werden sollen. „Die politische Atmosphäre ist angespannt“, schrieben die Commerzbank-Analysten in einem Kurzkommentar.

Aufsehenerregende Zinserhöhungen würde die Erdogan-Partei AKP mit ziemlicher Sicherheit als einen Sabotageakt bewerten. Erdogan hatte sich lange gegen Zinserhöhungen gestemmt und den Lira-Verfall mit Attacken von außen auf die türkische Wirtschaft erklärt.

Die Währungsproblematik ist laut Commerzbank mit der jüngsten Zins-Entscheidung aber nicht gelöst, daher sei eine Abwertung der Lira im Vergleich zum Dollar auf 3,90 bis zum Jahresende wahrscheinlich. Seit Jahresbeginn rauscht die Lira immer schneller bergab. Wertverluste um die zwei Prozent sind schon längst keine Seltenheit mehr.

Ein Absturz der Lira verteuert Importe und treibt die Inflation an. Die Preiswachstumsrate hat kürzlich die Zehn-Prozent-Marke durchbrochen. Das trifft die Türkei hart, zumal sie mehr Waren ein- als ausführt. Das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte im dritten Quartal um 1,8 Prozent. Aufgrund der Terrorangst reisen viele Touristen in andere Länder – der Türkei bricht dadurch ein wichtiger Wirtschaftszweig und Beschäftigungssektor weg. Die Arbeitslosigkeit liegt momentan bei ungefähr zwölf Prozent. „Die türkische Wirtschaft kollabiert“, warnt die Commerzbank.

Die türkische Zentralbank hatte in der Vergangenheit bereits signalisiert, im Bedarfsfall mit höheren Zinsen gegenzusteuern. Doch das Dilemma: Wenn der Leitzins steigt, fallen die Preise – und die türkische Währung wertet ab. Gleichzeitig verteuern sich aber Kredite. Unternehmen fahren Investitionen zurück, Verbraucher sparen lieber anstatt zu konsumieren. Die heimische Wirtschaft leidet.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%