Hoher Kapitalexport

Deutscher Exportüberschuss bremst Investitionen

Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss steigt immer weiterer und die Kritik wird immer lauter. Dabei hat der Überschuss auch für Deutschland erhebliche Schattenseiten. Mit dem Leistungsbilanzüberschuss einher geht ein hoher Kapitalexport. Allein 2014 flossen 240 Milliarden Euro Kapital aus Deutschland ins Ausland ab. Und dieser Kapitalexport verstärkt hierzulande die Investitionszurückhaltung.

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Illustration Gestapelte Containern im Hamburger Hafen Quelle: dpa

Der Überschuss in der deutschen Leistungsbilanz betrug 2014 knapp 220 Milliarden Euro, und er steuert in Relation zur Wirtschaftsleistung auf die zehn Prozent-Marke zu. Das ist unter den großen Volkswirtschaften einsamer Rekord. Nicht nur schaffen es unsere exportorientierten Unternehmen, ihre Produkte erfolgreich im Ausland zu verkaufen. Auch die für den Inlandsmarkt produzierenden Unternehmen können den Konkurrenten aus dem Ausland Paroli bieten. Die Handelsbilanz steht damit mit 230 Milliarden Euro im Plus. In der zweiten Hauptkomponente der Leistungsbilanz, der Dienstleistungsbilanz, hat sich das seit Jahrzehnten übliche Defizit auf 39 Milliarden Euro verringert. Und die Bilanz der Primäreinkommen – hauptsächlich Erträge aus Finanz- und Direktinvestitionen im Ausland – steht mit 67 Milliarden Euro im Plus.

Stefan Bielmeier ist seit 2010 der Chefvolkswirt und Leiter Research der DZ Bank, dem Zentralinstitut von mehr als 900 Genossenschaftsbanken. (zum Vergrößern bitte anklicken) Quelle: Presse

Der Leistungsbilanzüberschuss ist Beleg für die hohe Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Aber: "Bist du Volkswirt, vergiss die Gegenbuchung nicht", pflegte ein alter Volkswirtschaftsprofessor zu sagen. Der Gegenposten zum Leistungsbilanzüberschuss ist nämlich der – abgesehen von einigen kleinen Posten – ebenso große Fehlbetrag in der Kapitalbilanz. Im Jahr 2014 flossen netto 240 Milliarden Euro Kapital aus Deutschland an das Ausland, im Wesentlichen in Gestalt von Direktinvestitionen und Wertpapieranlagen. Diese Mittel wurden in Deutschland erspart, aber nicht investiert. Vielmehr wurden sie an das Ausland "verliehen" und dort letztlich für Investitionen oder auch konsumtive Ausgaben verwendet.

Haben wir etwa im Inland keinen Bedarf an höheren Investitionen? Man mag argumentieren, dass die deutschen Unternehmen auch ohne hohe Investitionen offensichtlich sehr wettbewerbsfähig sind. Ebenso klar ist aber auch, dass die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit früher oder später höhere Investitionen erfordern wird, schon deshalb, weil sonst technische Neuerungen nur ungenügend Eingang in den Kapitalstock finden. Und eher früher als später braucht Deutschland mehr öffentliche Investitionen. Das Niveau hier reicht kaum aus, um unsere viel gerühmte Infrastruktur in Stand zu halten.

Die Kritik am deutschen Leistungsbilanzüberschuss hat allerdings andere Gründe und kommt hauptsächlich aus dem Ausland. Denn im deutschen Überschuss spiegelt sich ein – abgesehen von (allerdings beträchtlichen) statistischen Lücken – ebenso großes Leistungsbilanzdefizit des Rests der Welt gegenüber Deutschland. Dieser Gegenposten verteilt sich allerdings auf eine Vielzahl von Ländern, so dass das "Ungleichgewicht", das als Gefahr für die internationale Finanzstabilität gilt, in erster Linie am deutschen Überschuss und nicht an den Defiziten anderer Länder festgemacht wird.

Das sind die 15 attraktivsten Wachstumsmärkte
Container im Hamburger Hafen Quelle: dpa
15. SüdafrikaIn Südafrika wird für das Jahr 2015 eine Wachstumsrate von 2,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) erwartet. Zum Vergleicht: Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) prognostiziert für Deutschland im selben Jahr ein Wachstum von 1,3 Prozent. Quelle: AP
14. EstlandMit einer prognostizierten Wachstumsrate von 2,5 Prozent steht Estland noch ein wenig besser da. Der seit 1991 unabhängige Staat mit der malerischen Hauptstadt Tallinn (Bild) ist seit 2011 Mitglied der Eurozone. Quelle: dpa
13. SlowakeiAuch die Slowakei ist Euro-Mitglied und dies schon seit 2009. Das Bild zeigt die Hauptstadt Bratislava. Für die Slowakei prognostizieren die Experten von Euler Hermes ein Wachstum von 2,7 Prozent des BIP. Quelle: dpa
12. UruguayDie Landwirtschaft ist ein wichtiger Wirtschaftszweig in Uruguay. Bei ausländischen Investoren ist das Land bisher eher unbekannt. Das prognostizierte Wachstum beträgt 2015 2,8 Prozent. Quelle: REUTERS
11. LettlandLettlands Bruttoinlandsprodukt soll voraussichtlich um 3,2 Prozent wachsen. Seit 2004 ist das baltische Land in der Europäischen Union, seit 2014 in der Euro-Zone. Diese verliert für die deutschen Exporteure zunehmend an Gewicht. 2014 machten sie nur noch 36,6 Prozent ihres Auslandsumsatzes in den Ländern der Währungsgemeinschaft, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Im Jahr 2005 hatte der Anteil noch 44,7 Prozent betragen. Grund für den Rückgang ist die Finanz- und Wirtschaftskrise. Quelle: dpa
10. PolenGleichzeitig werden die EU-Mitgliedsstaaten, die nicht der Währungsunion angehören, immer wichtiger. Deren Anteil an den deutschen Exporten erhöhte sich von 2013 auf 2014 von 20,1 auf 21,4 Prozent. 1993 lag er bei nur 16,2 Prozent. Zu diesen Staaten gehört auch Polen, welches einen Aufschwung erlebt. Das Bruttoinlandsprodukt wird voraussichtlich um 3,3 Prozent wachsen. Quelle: dpa

Wiederum andere Gründe hat die Kritik aus weniger wettbewerbsfähigen Euro-Ländern, die darauf hinaus läuft, dass Deutschland mit seiner außenwirtschaftlichen Stärke seinen Partnerländern Wachstumschancen nimmt. Dabei wird allerdings oft übersehen, dass die Verbesserung der deutschen Leistungsbilanz in den zurückliegenden zehn Jahren ausschließlich auf höhere Überschüsse im Verkehr mit Ländern außerhalb der EWU zurückzuführen ist. Noch bis 2009 entfielen auf die Euro-Mitgliedsländer in der Regel die Hälfte oder mehr des deutschen Überschusses, inzwischen ist dieser Anteil weniger als ein Viertel. Deutschland hat also durchaus einen Beitrag zur Reduzierung des EWU-internen Ungleichgewichts geleistet.

Risikofaktor Deutschland?

Wenn die EU-Kommission den deutschen Fall schon seit einiger Zeit als Risikofaktor identifiziert und das „Ungleichgewichtsverfahren“ gegen Deutschland jüngst sogar verschärft hat, mit womöglich drohenden Sanktionen, kann Deutschland dieser Kritik durchaus gute Argumente entgegen halten. Insbesondere der aktuell wieder beschleunigte Anstieg des Leistungsbilanzüberschusses – darauf hat die Bundesregierung mit Recht hingewiesen – ist nicht von der deutschen Wirtschaftspolitik zu verantworten, sondern hängt mit der Geldpolitik der EZB zusammen, die eine starke Abwertung des Euro bewirkt hat. Von der Abwertung profitieren Exportunternehmen, die bei unveränderten Absatzpreisen im Ausland höhere Einnahmen in Euro haben, oder die sogar ihre Preise im Ausland senken und damit ihren Absatz erhöhen könnten. Spiegelbildlich verteuern sich in Deutschland importierte Güter, oder die Erlöse der ausländischen Unternehmen in ihrer eigenen Währung fallen.

Deutschlands wichtigste Handelspartner
Russische Föderation Quelle: dpa-tmn
Belgien Quelle: REUTERS
Die Schweizer Landesfahne weht am Großen Aletschgletscher Quelle: ZB
Die Österreichische Flagge Quelle: dpa
assanten und Fahrzeuge passieren in Rom das Kolosseum Quelle: dapd
Lichtereines vorbei fahrenden Busses strahlen vor dem Big Ben in London Quelle: Reuters
Eine US-Flagge weht vor der Freiheitsstatue Quelle: REUTERS

Auch in der Bilanz der Primäreinkommen hat die Euro-Abwertung einen positiven Effekt, weil der Euro-Gegenwert der im Ausland erzielten Vermögenseinkommen steigt. Hinzu kommt, dass – unabhängig von der Euro-Abwertung – der Ölpreis stark gefallen ist. Dafür, dass die Ölrechnung gegenüber den Lieferländern nun niedriger ausfällt, kann die deutsche Wirtschaftspolitik ebenfalls kaum verantwortlich gemacht werden. Das wichtigste Argument ist aber ein anderes: Letztlich sollten alle Euro-Länder an einem kräftigen Wachstum im größten Mitgliedsland interessiert sein, denn nur so kann dieses weiter seinen großen Beitrag zur Überwindung der Wachstumsschwäche in Europa leisten.

Das alles heißt nicht, dass sämtliche Einwände gegen den hohen deutschen Leistungsbilanzüberschuss vom Tisch gewischt werden sollten. Es ist durchaus richtig, dass Spielraum für eine Stärkung der deutschen Binnennachfrage besteht. Höhere Investitionen, ob privat oder staatlich, würden wenigstens tendenziell den außenwirtschaftlichen Überschuss senken und zugleich die künftigen Wachstumsmöglichkeiten erhöhen.

Längerfristig wird sich die deutsche Wirtschaft ohnehin mehr nach innen orientieren, schon allein wegen des ungünstigen demografischen Trends: In den nächsten 15 Jahren erreichen mit den geburtenstarken Jahrgängen rund 20 Millionen Menschen in Deutschland das Rentenalter. Daraus dürfte sich eine substantielle Veränderung des Sparverhaltens ergeben. Damit wird sich der Sparüberschuss in Deutschland ebenso wie sein Gegenposten, der Leistungsbilanzüberschuss, sukzessive reduzieren.

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