Inflation Die Finanzkrise treibt die Preise

Seite 4/4

Grafik: Was die Preise treibt

Ungebremst ist der Aufwärtstrend auch bei den Preisen für Agrarrohstoffe. Der von den Vereinten Nationen erstellte Nahrungsmittel-Preisindex hat seinen bisherigen Höchststand aus dem Jahr 2008 übertroffen, als es in mehreren Entwicklungsländern zu Hungerrevolten kam. Weizen und Zucker, Zink und Blei, Kohle und Stahl – überall geht es nach oben.

Dazu trägt auch der weltweite Konjunkturaufschwung bei, der die Nachfrage nach Rohstoffen für industrielle Verwendungen ankurbelt. Schlechte Ernten und Naturkatastrophen treiben die Preise zusätzlich in die Höhe. Die Jahrhundertflut in Australien etwa, dem weltweit größten Kohleexporteur und viertgrößten Weizenlieferanten, hat weite Teile der Getreideernte ruiniert und die meisten Kohleminen absaufen lassen. In Europa kostet Weizen nun so viel wie seit drei Jahren nicht mehr.

Der Kokskohlepreis ist in den vergangenen Wochen von 225 Dollar auf rund 285 Dollar je Tonne gestiegen, für das zweite Quartal 2011 rechnen Analysten mit rund 310 Dollar. Wird Kohle teurer, klettert auch der Stahlpreis – für die Produktion einer Tonne Stahl sind rund 330 Kilo Kokskohle nötig.

Da Australien 20 Prozent seiner Förderung nach Europa exportiert, könnten auch deutsche Stahlhersteller von kommenden Engpässen empfindlich getroffen werden. Der größte australische Kohleförderer Anglo American prophezeit, dass es noch Wochen dauern werde, bis alle Schächte ausgepumpt sind. "Das ist ein zusätzlicher Schub für die Stahlpreise", sagt Gisbert Rühl, Chef des Stahlhändlers Klöckner & Co aus Duisburg. Auch E.On hat bereits angekündigt, dass es Preissprünge auf dem Kohlemarkt an die Stromkunden weitergeben will.

Risiko Lohn-Preis-Spirale

In der offiziellen Teuerungsrate von 1,7 Prozent schlägt sich all das noch nicht so recht nieder. Doch die Bürger spüren, wie die Preiswelle ihre Kaufkraft wegspült. Nach Berechnungen des Statistik-Professors Wolfgang Brachinger von der Uni Fribourg in der Schweiz liegt die gefühlte Inflation in Deutschland derzeit bei 5,2 Prozent – so hoch wie in der Inflationsphase 2007/08.

Das könnte die Konjunktur belasten. "Die Menschen machen ihren Konsum stark von der wahrgenommenen Inflation abhängig", sagt Brachinger, "das wird den privaten Konsum in den nächsten Monaten drücken." Brachinger hält daher die aktuelle Wachstumsprognose der Bundesregierung von 2,3 Prozent für 2011 für zu hoch. "Die Bundesregierung sollte ihre Prognose nach unten korrigieren", empfiehlt Brachinger.

Der Aufwärtstrend bei der Inflation ist Wasser auf die Mühlen der Gewerkschaften. Vor allem in Deutschland, wo der überaus kräftige Aufschwung, die steigenden Unternehmensgewinne und die sich abzeichnende Verknappung von Arbeitskräften den Arbeitnehmervertretern ohnehin schon reichlich Argumente für höhere Löhne liefern. Der Tarifabschluss in der Stahlbranche mit einem Lohnplus von 3,6 Prozent zeigt, wohin die Reise in den anstehenden Tarifrunden in diesem und dem nächsten Jahr geht.

EZB will Inflation unter zwei Prozent halten

Bei Poggenpohl hat man darauf bereits reagiert. "Wir haben bei unseren Preiskalkulationen eine Lohnerhöhung mit einer Drei vor dem Komma eingerechnet", sagt Poggenpohl-Chef Duffner. Andere Unternehmen dürften ähnlich kalkulieren. Damit droht in Gang zu kommen, was Währungshüter fürchten wie der Teufel das Weihwasser: eine Spirale aus anziehenden Inflationserwartungen, höheren Löhnen und steigenden Preisen.

Die Tarifabschlüsse in Deutschland könnten ein Signal für andere Länder der Euro-Zone sein. Die Hoffnung der EZB, die Inflationsrate knapp unter der Marke von zwei Prozent zu halten, dürfte sich dann schnell als Illusion erweisen.

Deutsche-Bank-Ökonom Mayer rechnet daher für die nächsten Jahre mit einer schleichenden Inflationierung der Weltwirtschaft. "Mittelfristig", so Mayer, "müssen wir uns auf Teuerungsraten um die fünf Prozent einstellen."

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%