Inflation Die grüne Mär von der fossilen Inflation

Inflation bei Tankpreise, Heiz- und Energiekosten. Quelle: imago images

Politiker und Notenbanker verweisen gerne auf die Hausse der Energiepreise als Grund für die hohen Teuerungsraten. Doch damit lenken sie von der wahren Ursache der Inflation ab.  

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Bildungsforscher beklagen seit langem, dass es den deutschen Schülern an ökonomischem Basiswissen fehlt. Die Studien, die das grassierende ökonomische Analphabetentum faktenreich belegen, sind Legion. Doch der Mangel an ökonomischem Sachverstand scheint sich nicht auf den für den künftigen Wohlstand in Deutschland so wichtigen Nachwuchs zu beschränken. Er offenbart sich zunehmend auch bei Politikern, also jener Gruppe von Menschen, die sich berufen fühlen, die Geschicke des Landes zu lenken.

Nun muss ein Politiker keinen Masterabschluss in Volkswirtschaftslehre von einer Elite-Universität vorweisen, um gute Wirtschaftspolitik zu betreiben. Doch über ein gewisses ökonomisches Grundwissen sollte er schon verfügen – oder sich dieses zumindest durch kompetente Berater quasi im Schnellkurs aneignen. 

Bei Ricarda Lang, der Co-Bundesvorsitzenden der Grünen und Mitglied des Deutschen Bundestages, scheint es in dieser Hinsicht, nun ja, sagen wir, noch etwas Luft nach oben zu geben. Darauf lassen jedenfalls ihre Erklärungen zu den Ursachen der aktuellen Inflation und zur Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) schließen. Im Podcast „Chefgespräch“ mit WirtschaftsWoche-Chefredakteur Beat Balzli erklärt Lang, die Inflation, die in Deutschland aktuell bei 7,9 Prozent liegt, sei „vor allem eine fossile Inflation“. Die Kostenexplosion der fossilen Energieträger habe die Energiepreise steigen lassen. Das wiederum habe „weiteste Wirkungen auf die Produktpreise“.  Daher sei die Abkehr von den fossilen Energieträgern und der Ausbau der erneuerbaren Energien „auch ein Garant für stabile Preise in der Zukunft“.

Inflation ist keine Naturgewalt

Die Europäische Zentralbank (EZB) hingegen sieht Lang nicht im Obligo, gegen die Inflation vorzugehen. „Aus meiner Sicht würden Zinserhöhungen dieser Inflationswelle nicht entgegenwirken, da wir eine coronabedingte und gleichzeitig kriegsbedingte und energiepreisbedingte Inflation haben“, so Lang. Die EZB habe keine Fehler gemacht, meint die Grünen-Vorsitzende.  „Wir müssen schauen, was steckt hinter diesen Preisentwicklungen und da würde eine reine Fokussierung auf die Zinspolitik diese Ursachen überhaupt nicht bekämpfen“, urteilt sie. 

Anders hätte Christine Lagarde, die Chefin der EZB, wohl auch nicht argumentiert. Denn auch Lagarde verbreitet landauf landab das Narrativ, die Inflation sei einer Naturgewalt gleich über Europa hereingebrochen. Die durch die Corona-Pandemie ausgelösten Lieferengpässe und der Ukraine-Krieg hätten das Angebot an Energie und anderen Gütern verknappt und deren Preise in die Höhe getrieben. Dagegen sei die EZB machtlos. Basta. 

Doch so einfach wie Frau Lang und Frau Lagarde die Sache mit der Inflation darstellen, ist es nicht. Denn zum Inflations-Tango gehören immer zwei: das Angebot und die Nachfrage. Erst wenn die gesamtwirtschaftliche Nachfrage das Angebot übersteigt, setzen die Preise der Güter auf breiter Front zum Höhenflug an. Richtig ist, dass die Pandemie und die weltweit verhängten Lockdown-Maßnahmen die Produktion von Gütern und Dienstleistungen eingeschränkt und deren Auslieferung erschwert haben. In China stocken Produktion und Außenhandel wegen der immer wieder verhängten Lockdown-Maßnahmen der Regierung noch immer. Das bremst das globale Güterangebot. 

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Die Notenbanken sind die Quelle der Inflation

Was Lang und Lagarde jedoch verschweigen: Während das weltweite Güterangebot in der Pandemie schrumpfte, haben die Zentralbanken, darunter die EZB, die Nachfrage angekurbelt, indem sie riesige Geldsummen in die Wirtschaft pumpten. Um die großzügigen Corona-Hilfspakete der Regierungen zu finanzieren, kauften die Zentralbanken (die Geschäftsbanken agierten hier als Zwischenhändler) in großem Stil Staatsanleihen und pumpten so über die Geschäftsbanken frisches Geld auf die Konten des Staates. Dieser überwies das Geld als Corona-Hilfen an die Bürger und Unternehmen, auf deren Konten es als Sichteinlagen landete.

Die Geldmenge M1 (Bargeld und Sichteinlagen) in der Eurozone legte dadurch zeitweise mit Raten von mehr als 16 Prozent zu. Die Bürger gaben das Geld aus, kauften sich neue Möbel, Küchen, Laptops und beauftragten Handwerker mit der Renovierung ihrer vier Wände. Die Folge des monetär induzierten Nachfragebooms waren steigende Preise. 

Auch die Hausse der Energiepreise wäre ohne die Geldflut nicht zustande gekommen. Auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie fuhren die Mineralölgesellschaften und die Fracking-Unternehmen in den USA ihre Förderung wegen der wegbrechenden Nachfrage herunter. Als die Corona-Maßnahmen gelockert wurden, traf die mit dem Geld der Notenbanken munitionierte Nachfrage auf geschrumpfte Förderkapazitäten. Die fossilen Energieträger verteuerten sich. Weil fossile Energie für die Produktion vieler Waren und Dienstleistungen benötigt wird, legten auch deren Preise zu. Es setzten Zweitrundeneffekte ein. 

Das zeigt: Die hohen Energiepreise sind nicht Ursache, sondern Symptom der Inflation. Die wahre Ursache für die steigenden Preise liegt in der Ausweitung der Geldmenge. Für deren Expansion sind die Notenbanken verantwortlich. Sie haben die monetäre Überversorgung der Weltwirtschaft bewusst herbeigeführt. „Inflation“, so hat es der Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman (1912 – 2006) formuliert, „ist immer und überall ein monetäres Phänomen“.  Auch wenn sich die Wachstumsraten der Geldmenge M1 zuletzt etwas abgeschwächt haben, befindet sich nach wie vor zu viel Geld im Umlauf. Der Höhenflug der Preise dürfte daher anhalten. 

Die EZB muss die Liquidität absaugen 

Nicht der Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien, wie Lang und die Grünen es fordern, sondern eine radikale Wende in der Geldpolitik ist nötig, um die Menschen von der Geißel der Inflation zu befreien. Trippelschritte bei den Zinsen wie sie die EZB angekündigt hat, reichen nicht aus. Die EZB muss vielmehr die überschüssige Liquidität aus dem Bankensektor absaugen und so dessen Kreditschöpfungskapazitäten verringern. Das erfordert den Verkauf der Anleihen, die die EZB mit ihren Kaufprogrammen erworben hat. Dazu aber fehlt den Notenbankern der Mut. Sie fürchten, der Verkauf von Staatsanleihen könnte deren Renditen und damit die Finanzierungskosten der hoch verschuldeten Länder der Währungsunion nach oben treiben.

Statt das Narrativ der EZB von der Energiepreisexplosion als Quelle der Inflation zu übernehmen, sollte Frau Lang ihr Gewicht als Co-Vorsitzende der Grünen und Bundestagsabgeordnete in die Waagschale werfen, damit Bundestag und Bundesregierung endlich ihrer Integrationsverantwortung gerecht werden, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Lissabon-Urteil 2009 ausbuchstabiert hat. Sie verpflichtet den Bundestag, das Handeln europäischer Hoheitsträger mit Blick auf mögliche Kompetenzüberschreitungen zu prüfen und diesen gegebenenfalls entgegenzutreten. 

Dass der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB ein flagranter Verstoß gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung ist und die Notenbank mit der von ihr produzierten Inflation ihren Stabilitätsauftrag verletzt, ist selbst für ABC-Schützen der Volkswirtschaftslehre offensichtlich. Ebenso offenkundig ist die Tatsache, dass der Bundestag im Hinblick auf seine Integrationsverantwortung bisher schlichtweg versagt hat. 

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Hören Sie hier die Folge des Podcasts „Chefgespräch“, in der die Co-Parteivorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, erzählt, warum nicht jede Kritik an Frauen frauenfeindlich ist, sie für eine Übergewinnsteuer plädiert – und die Neoliberalen vielleicht gar nicht so hart lügen wie sie immer dachte.

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