Die EZB setzt trotz der jüngsten Turbulenzen im Bankensektor ihren Straffungskurs mit einem weiteren großen Zinsschritt fort. Die Währungshüter um Notenbankchefin Christine Lagarde beschlossen am Donnerstag, im Kampf gegen die hohe Inflation wie im Februar die Schlüsselsätze um einen halben Prozentpunkt anzuheben. Damit liegt der an den Finanzmärkten richtungsweisende Einlagensatz, den Geldhäuser für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten, künftig bei 3,00 Prozent. Der Leitzins steigt auf 3,50 Prozent. „Wir lassen nicht nach in unserem Engagement, die Inflation zu bekämpfen“, sagte Lagarde. Die EZB sei entschlossen, die Teuerungsrate mittelfristig wieder zur Zielmarke von zwei Prozent zurückzubringen.
Lagarde ließ den weiteren Kurs im Kampf gegen den anhaltend starken Preisschub aber offen: „Das hohe Maß an Unsicherheit unterstreicht die Bedeutung eines datenabhängigen Ansatzes für unsere Zinsentscheidungen“, sagte die Notenbank-Chefin. Die jüngsten Spannungen an den Finanzmärkten hätten die Unsicherheiten gesteigert. „Das ist der Grund, warum wir das Prinzip der Datenabhängigkeit verstärken.“
Der deutsche Leitindex Dax und sein europäisches Pendant EuroStoxx lagen nach den Beschlüssen am Nachmittag zeitweise 1,1 Prozent beziehungsweise 1,4 Prozent im Plus, nachdem sie zunächst ins Minus gerutscht waren.
Volkswirte äußerten sich positiv. Es sei richtig, dass die EZB noch einmal einen großen Zinsschritt gemacht habe, sagte der Leiter des ZEW-Forschungsbereichs Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft, Friedrich Heinemann. „Alles andere wäre ein Zeichen der Panik gewesen und hätte die Verunsicherung noch vergrößert.“ Ulrike Kastens, Europa-Volkswirtin bei der Fondsgesellschaft DWS, wies auf das Mandat der EZB hin, für Preisstabilität zu sorgen: „Diese ist weder aktuell noch auf Basis der Projektionen für die nächsten Jahre gegeben. Daher dürfte die EZB nicht darum herumkommen, die Leitzinsen weiter zu erhöhen.“
Auch aus Sicht des Chefvolkswirts des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), Andreas Bley, hätte eine Pause der Zinserhöhungen die Unruhe an den Finanzmärkten womöglich noch verstärkt. „Die EZB hat heute richtig entschieden, trotz der Turbulenzen an den internationalen Finanzmärkten an ihrer zuvor angekündigten Zinserhöhung festzuhalten.“ Der Bundesverband deutscher Banken (BdB) sprach sich für weitere Zinsschritte aus. „Die EZB sollte ihren Kurs weiter fortsetzen, damit die Inflation mittelfristig und nachhaltig zurückgedrängt werden kann“, sagte die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin Henriette Peucker.
Die Währungshüter bekräftigten zudem ihre Entschlossenheit, eine zeitnahe Rückkehr der Inflation auf das mittelfristige Zwei-Prozent-Ziel sicherzustellen. Sie ließen den weiteren Kurs im Kampf gegen die Teuerung aber offen: „Die erhöhte Unsicherheit verdeutlicht einmal mehr, wie wichtig ein datengestützter Ansatz bei den Leitzinsbeschlüssen des EZB-Rats ist“, erklärten die Euro-Wächter.
Die Währungshüter erklärten zu den Börsenturbulenzen, sie beobachteten die aktuellen Marktspannungen genau. Die EZB sei bereit, so zu reagieren, wie nötig, um Preis- und Finanzstabilität im Euro-Raum zu wahren. „Der Bankensektor des Euroraums ist widerstandsfähig: Kapital- und Liquiditätspositionen sind solide“, erklärte die Euro-Notenbank. Die EZB besitze alle Instrumente, um das Finanzsystem nötigenfalls mit Liquiditätshilfen zu unterstützen.
Schneller schlau: Inflation
Wenn die Preise für Dienstleistungen und Waren allgemein steigen – und nicht nur einzelne Produktpreise – so bezeichnet man dies als Inflation. Es bedeutet, dass Verbraucher sich heute für zehn Euro nur noch weniger kaufen können als gestern noch. Kurz gesagt: Der Wert des Geldes sinkt mit der Zeit.
Die Inflationsrate, auch Teuerungsrate genannt, gibt Auskunft darüber, wie hoch oder niedrig die Inflation derzeit ist.
Um die Inflationsrate zu bestimmen, werden sämtliche Waren und Dienstleistungen herangezogen, die von privaten Haushalten konsumiert bzw. genutzt werden. Die Europäische Zentralbank (EZB) beschreibt das wie folgt: „Zur Berechnung der Inflation wird ein fiktiver Warenkorb zusammengestellt. Dieser Warenkorb enthält alle Waren und Dienstleistungen, die private Haushalte während eines Jahres konsumieren bzw. in Anspruch nehmen. Jedes Produkt in diesem Warenkorb hat einen Preis. Dieser kann sich mit der Zeit ändern. Die jährliche Inflationsrate ist der Preis des gesamten Warenkorbs in einem bestimmten Monat im Vergleich zum Preis des Warenkorbs im selben Monat des Vorjahrs.“
Eine Inflationsrate von unter zwei Prozent gilt vielen Experten als „schlecht“, da sie ein Zeichen für schwaches Wirtschaftswachstum sein kann. Auch für Sparer sind diese niedrigen Zinsen ein Problem. Die EZB strebt mittelfristig eine Inflation von zwei Prozent an.
Deutlich gestiegene Preise belasten Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie können sich für ihr Geld weniger leisten. Der Privatkonsum ist jedoch eine wichtige Stütze der Konjunktur. Sinken die Konsumausgaben, schwächelt auch die Konjunkturentwicklung.
Von Disinflation spricht man, wenn die Geschwindigkeit der Preissteigerungen abnimmt – gemeint ist also eine Verminderung der Inflation, nicht aber ein sinkendes Preis-Niveau.
Die Furcht vor einer neuen Bankenkrise hatte in den vergangenen Tagen an den Börsen heftige Turbulenzen ausgelöst. Erst hatte der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank (SVB) in den USA den Bankensenktor an den Börsenplätzen in den Vereinigten Staaten und in Europa nach unten gezogen.
Dann fachte die Vertrauenskrise bei der Credit Suisse, der zweitgrößten Bank der Schweiz, die Unruhe an den Finanzmärkten erneut an. Die Credit Suisse greift nun nach der Rettungsleine der Schweizerischen Nationalbank (SNB) und Kredite über bis zu 50 Milliarden Franken bei der Notenbank aufnehmen.
Für die Europäische Zentralbank war dies daher keine einfache Zinsentscheidung, denn die Euro-Wächter müssen auch die Stabilität des Finanzsystems im Blick halten. Auf der anderen Seite hatten Notenbankchefin Lagarde und andere Währungshüter zuletzt wiederholt die Absicht bekräftigt, im Kampf gegen die hohe Inflation einen erneuten großen Zinsschritt um 0,50 Prozentpunkte zu gehen. Damit stand auch ihre Glaubwürdigkeit auf dem Spiel.
Denn die Inflation im Euro-Raum ließ zwar zuletzt leicht nach – sie sank im Februar auf 8,5 Prozent von 8,6 Prozent im Januar. Doch das Notenbank-Ziel einer Teuerung von 2,0 Prozent liegt damit immer noch weit entfernt. Zudem nahm die Kernrate, in der die schwankungsanfälligen Energie – und Lebensmittelpreise ausgeklammert bleiben, im Februar auf 5,6 Prozent zu nach 5,3 Prozent im Januar. Das bereitet den Währungshütern Sorgen: Denn dies könnte Hinweise darauf geben, dass der starke Preisschub womöglich noch länger anhält als bislang gedacht.
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