Die Inflation ist spürbar. Und anders als erwartet, halten die Preissteigerungen weiterhin an. Im vergangenen Jahr ist der Verbraucherpreisindex in Deutschland kontinuierlich gestiegen, von einem Prozent im Januar 2021 auf über fünf Prozent im Dezember. Dafür verantwortlich ist unter anderem die ausgelaufene Senkung der Mehrwertsteuer. Außerdem sind die globalen Lieferketten durch die Pandemie immer noch gestört. Dadurch ist das Angebot gesunken und die Preise sind wiederum gestiegen, etwa in der Halbleiterindustrie. Das ist ein normaler Effekt in unserer Marktwirtschaft, der zu einer normalen Steigerung der Inflation führt. Allerdings gibt es noch weitere Preistreiber, die in der Coronapandemie begründet sind.
Denn zu Beginn der Pandemie war die Nachfrage in einigen Bereichen stark eingebrochen, etwa in der Metall- und Elektroindustrie. Deshalb waren auch die Preise für Energie und Kraftstoff stark gesunken. Rohöl der Sorte Brent erreichte im April 2020 das niedrigste Niveau der vergangenen zehn Jahre. Viele haben schon vergessen, dass der Dieselpreis im Frühjahr 2020 teilweise auf unter einen Euro gefallen war. So günstig wie lange nicht.
Mit der wirtschaftlichen Erholung steigt auch wieder der Energiebedarf, und deshalb steigen auch die Preise. Auch das ist ein Inflationstreiber. Diese Effekte waren absehbar und sind dementsprechend in die Inflationserwartung eingeflossen.
Nicht kalkulierbar war und ist das Agieren von Russland, unserem wichtigsten Gaslieferanten, der seinen Rohstoff ganz bewusst zu geopolitischen Zwecken einsetzt. Laut der internationalen Energieagentur hat der staatlich kontrollierte russische Gasversorger Gazprom im vierten Quartal 2021 ein Viertel weniger Gas geliefert als ein Jahr zuvor. Das zeigt, dass die Inflation vor allem durch fossile Energien getrieben ist. All diese Aspekte tragen zu den steigenden Preisen bei – und treffen in ihrer Summe Menschen mit kleinen Einkommen ins Mark. Weder die Geopolitik noch die Energiepreise liegen allerdings im Einflussbereich der Europäischen Zentralbank.
Geldpolitik wirkt immer zeitverzögert. Eine Zinsanpassung hätte auf die Preise an der Tankstelle oder die Heizkosten in diesem Winter keine unmittelbare Wirkung. Die EZB ist insbesondere für mittelfristige Preisstabilität verantwortlich – und zwar für die gesamte Euro-Zone. Und das Inflationsziel liegt bei zwei Prozent. Belehrungen oder gar Aufforderungen zum Handeln aus der Politik sind angesichts der Unabhängigkeit der EZB nicht angebracht. Sie nähren nur die Illusion, die EZB könnte kurzfristig für sinkende Preise sorgen. Außerdem schieben solche Forderungen die politische Verantwortung an die falsche Adresse. Die EZB kann kurzfristig nichts bewirken – aber die Politik kann es. Und neben der Pandemie bereiten die steigenden Preise den Menschen im Land aktuell die größten Sorgen.
Deshalb sollten wir Politiker das ernst nehmen und selbst handeln, denn die unerwartete Langfristigkeit der hohen Inflationsraten verlangt schnell wirksame Maßnahmen. Die neue Koalition in Berlin hat mit dem einmaligen Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger, Auszubildende und Bafög-Empfänger eine erste und richtige Maßnahme auf den Weg gebracht. Sie erreicht diejenigen, die am dringendsten auf Unterstützung angewiesen sind. Dennoch ist damit vielen anderen Menschen in unserem Land noch nicht geholfen.
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Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung hat errechnet, dass besonders Familien mit Kindern und die Mittelschicht von den steigenden Preisen betroffen sind. Auch für diese Menschen sollten Maßnahmen ergriffen werden, um die aktuellen Preissteigerungen abzumildern.
Die Energiepreise kurzfristig zu senken ist allerdings schwierig umzusetzen. Eine zeitlich befristete Absenkung der Umsatzsteuer auf Energie würde nicht helfen. Ihr Effekt wäre nur befristet. Die Kosten wären zudem hoch, das Problem nur in die Zukunft geschoben. Eine Erhöhung der Pendlerpauschale wäre wenig zielgenau, da auch gut verdienende Pendler stark profitieren würden.
Es gibt bessere Maßnahmen. Ein einfacher, direkter und schneller Weg wäre eine gezielte steuerliche Entlastung für die Bezieherinnen und Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen. Und zwar durch die Anhebung des steuerlichen Grundfreibetrags und die Erhöhung des Arbeitnehmerpauschbetrages von derzeit 1000 Euro auf 1500 Euro. Das wäre bereits im aktuell laufenden Verfahren zum vierten Coronasteuerhilfegesetz im Bundestag möglich.
Der Pauschbetrag wurde seit 1990 nicht mehr an die Inflation angepasst, damals lag er bei 2000 DM. Mit der Erhöhung auf 1500 Euro wäre der Lohnsteuerabzug geringer, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hätten schnell und ganz konkret eine Kompensation für die steigenden Preise in ihrer Tasche. Ein wichtiger Nebeneffekt: Bürgerinnen und Bürger und die Finanzverwaltung würden von Bürokratie entlastet. Die große Mehrheit aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer könnten komplett darauf verzichten, Belege zu sammeln und ihre Fahrtkilometer zu zählen.
Das wären wirksame und zielgenaue Maßnahmen, mit denen die Ampel in Berlin zeigen könnte, dass sie auf neue Herausforderungen schnell und undogmatisch reagiert.
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