Ist der Roboter Ihr Feind? Wer von der Digitalisierung profitiert – und wer verliert

Digitalisierung am Arbeitsmarkt Quelle: Getty Images

Der Megatrend der Digitalisierung wird sich regional völlig unterschiedlich auf die Arbeitsmärkte auswirken und die internationale Arbeitsteilung verändern. Das sind die potenziellen Gewinner und Verlierer.

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Das Haustechnikunternehmen Stiebel Eltron ist so etwas wie ein deutscher Digitalisierungsvorreiter. Der Familienbetrieb aus dem niedersächsischen Holzminden hat in den vergangenen zehn Jahren einen siebenstelligen Betrag in die Digitalisierung seiner Fertigung gesteckt und so die Lohnstückkosten um rund 40 Prozent gesenkt. Wo früher Arbeiter per Hand Warmwassergeräte verpackten, arbeiten heute rund um die Uhr drei Industrieroboter. Die Maschinen kommunizieren dabei ständig mit ihren elektrischen Kollegen in der Firmendependance im hessischen Eschwege, die Vorprodukte nach Holzminden liefert.

Die digitale Transformation bei Stiebel Eltron geht aber noch weiter: Eine Taskforce arbeitet derzeit an 30 neuen Projekten, um die digitale Dividende für das Unternehmen zu erhöhen. Im nächsten Schritt sind die Büroarbeiten dran. Geschäftsführer Nicholas Matten, 57, will die „komplette Buchhaltung automatisieren, sodass bei uns kein Blatt Papier mehr nötig ist“. Der Manager sieht hier „bei den Arbeitskosten ein Einsparpotenzial zwischen 30 und 40 Prozent“. Und die Belegschaft? Die soll nicht leiden. „Betroffene Arbeitnehmer wollen wir nicht entlassen, sondern fortbilden und in anderen Bereichen des Unternehmens einsetzen“, sagt Matten. Und auch sonst lässt sich zumindest in diesem Unternehmen der Roboter nicht als Jobkiller dingfest machen: Aktuell arbeiten bei Stiebel Eltron in Deutschland rund 1500 Leute, 400 mehr als vor zehn Jahren.

So positiv für die Beschäftigten dürfte der Megatrend Industrie 4.0 allerdings nicht überall ausgehen. Selten haben sich in der Wirtschaftsgeschichte die Arbeitsprozesse und Wertschöpfungsketten so radikal verändert wie durch die Digitalisierung. Die Zahl der Industrieroboter ist weltweit zwischen 2010 und 2017 von einer Million auf 2,1 Millionen gestiegen. Bis 2021 dürfte das Heer der elektronischen Helfer in den Werkhallen auf knapp 3,8 Millionen in die Höhe schießen.

Kollege RoboterGeschätzter Bestand von Industrierobotern weltweit (in Millionen Stück) * Prognose; Quelle: Statista

Roboter schweißen, montieren und verpacken, sie kommunizieren untereinander, werden immer autonomer. Vor diesem Hintergrund fragen sich nicht nur die Gewerkschaften, wie lange der aktuelle Rekordstand von 45 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland Bestand haben kann. Und ob in Zukunft nicht nur die Industrie in menschenleeren Hallen produziert, sondern auch in Verwaltungen, Banken, Versicherungen, im Verkehrswesen oder im medizinischen Bereich intelligente Software und vernetzte Roboter die Arbeitskraft des Menschen ersetzen.

Was die Jobfolgen der Digitalisierung betrifft, war die Bibel der meisten Arbeitsmarktforscher bislang die Studie „The future of employment“ des schwedischen Ökonomen Carl Benedikt Frey und des Informatikers Michael Osborne von der Universität Oxford. Das Paper stammt aus dem Jahr 2013 und wurde 2017 in einem Fachjournal veröffentlicht. Es rechnet am Beispiel der USA vor, dass 47 Prozent der Arbeitnehmer in Berufen arbeiten, die in den kommenden 10 bis 20 Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit von Robotern übernommen werden können. 2015 übertrugen deutsche Ökonomen die Ergebnisse in einer Studie für das Bundesarbeitsministerium auf Deutschland. Ergebnis: Auch hierzulande arbeiten 42 Prozent der Beschäftigten in Berufen mit „hoher Automatisierungswahrscheinlichkeit“.

Die Osborne-Frey-Studie aber ist zum einen eine reine Bruttoanalyse: Sie kümmert sich nicht um die Frage, wie viele (und welche) Jobs durch technologischen Fortschritt neu entstehen. Zum anderen liefert sie keine schlüssigen Hinweise darauf, wie sich die Gewinner und Verlierer der Digitalisierung regional verteilen.

Vor allem diese Frage rückt in der Wirtschaftswissenschaft nun stärker in den Fokus. In den vergangenen Wochen sind gleich mehrere neue Studien auf den Markt gekommen. Sie zeigen gravierende Unterschiede bei den möglichen Jobeffekten der Digitalisierung – innerhalb Deutschlands, innerhalb der OECD-Staaten, aber auch zwischen Schwellen- und Industrieländern.

Ökonomen des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) etwa haben das Automatisierungspotenzial auf die Ebene der deutschen Bundesländer heruntergebrochen. Das IAB geht davon aus, dass bis 2025 rund 1,5 Millionen Arbeitsplätze der Digitalisierung zum Opfer fallen und zugleich 1,5 Millionen neue Jobs entstehen – allerdings nicht an gleicher Stelle. „Die fortschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt stellt die Bundesländer vor unterschiedliche Herausforderungen“, heißt es in der Studie in bestem Ökonomendeutsch.

Jobalarm im SaarlandAnteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Berufen mit hohem Potenzial für digitale Substitution (in Prozent)Quelle: IAB

Im Saarland arbeiten demnach 30 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Berufen, in denen bereits heute über 70 Prozent der Tätigkeiten von Computern oder computergesteuerten Maschinen erledigt werden könnten. In Berlin hingegen, wo der Dienstleistungssektor über 80 Prozent zur Bruttowertschöpfung beiträgt, sind es nur knapp 15 Prozent der Beschäftigten. Innerhalb der großen Flächenländer schwanken die Werte zwischen 27,9 Prozent in Baden-Württemberg und 19,3 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern (siehe Grafik oben). Insgesamt hat sich laut Studie der Anteil der Berufe mit „hohem Substituierbarkeitspotenzial in allen Bundesländern deutlich erhöht“.

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