Italien Das bedeutet die Regierungskrise in Rom für den Euro

Quelle: imago images

Weil die Europäische Zentralbank die Inflation nicht rechtzeitig und wirksam bekämpft, werden die politischen Ränder gestärkt. In Italien liegen die Neofaschisten vorn. Europa steht vor einer neuen Euro-Krise. Italien könnte wegen seines Zinsspreads zum ersten Streitfall werden. Ein Gastbeitrag.

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In Italien droht die Regierung der nationalen Einheit unter Führung von Ministerpräsident Mario Draghi auseinanderzubrechen. Der ausschlaggebende Streitpunkt ist ein Entlastungspaket von den Folgen der Inflation, die zuletzt bei 7,4 Prozent lag. Die Entlastungen gehen der Fünf-Sterne-Bewegung nicht weit genug. Mario Draghi hat seinen Rücktritt angeboten, der von Staatspräsident Sergio Mattarella aber vorerst nicht angenommen wurde.

Mario Draghi soll bis zum 20. Juli 2022 sondieren, ob weiterhin eine Regierung unter seiner Führung eine ausreichende Mehrheit in beiden Kammern des italienischen Parlaments erhalten könnte und sich am Mittwoch im Parlament erklären. Präsident Mattarella will offensichtlich eine Auflösung des Parlaments und vorgezogene Neuwahlen im September oder Oktober und die damit verbundenen Unsicherheiten und möglichen finanziellen Turbulenzen am Staatsanleihenmarkt vermeiden.

In Italien wechseln die Regierungen zwar öfter als anderswo, aber mit der derzeitigen Regierungskrise ist Italien ein weiteres Land im Euroraum, in welchem die sich verfestigende Inflation politische Folgen zeitigt. Und Italien wird nicht das letzte Land im Euroraum bleiben, in welchem die Inflation politische Machtverschiebungen hervorrufen dürfte.

Zur Person

Darüber hinaus stärkt das Versäumnis der Europäischen Zentralbank, rechtzeitig und wirksam die Inflation zu bekämpfen, die politischen Ränder. In Frankreich hatte sich in den Parlamentswahlen am 12. und 19. Juni 2022 der Trend aus der ersten Runde der Präsidentenwahlen am 10. April 2022 fortgesetzt und die rechtspopulistische Partei Rassemblement unter Führung von Marine Le Pen und das Linksbündnis NUPES unter Führung von Jean-Luc Mélenchon derart gestärkt, dass Präsident Emmanuel Macrons Wahlbündnis seine absolute Mehrheit im Parlament verloren hat.

In Italien liegt in den derzeitigen Umfragen (Stand: 15.7.2022) die neofaschistische Partei Fratelli d’Italia mit 22,6 Prozent vor der sozialdemokratischen PD mit 21,8 Prozent, der Lega von Salvini mit 14,9 Prozent, der Fünf-Sterne mit 11,3 Prozent und der Forza Italia mit 8,5 Prozent. Im Vergleich zur letzten Parlamentswahl am 4. März 2018 würde ein derartiges Wahlergebnis einen Stimmengewinn für die Neofaschisten von 18,2 Prozent bedeuten und einen Stimmenverlust für die Fünf-Sterne von 21,4 Prozent.

Die Regierungskrise verstärkt die Unsicherheit in Italien. Kauft die europäische Notenbank bald verstärkt italienische Anleihen und treibt damit deren Kurse, könnten Privatanleger mitverdienen.
von Saskia Littmann

Wie die Finanzmärkte eine neue italienische Regierung unter Führung der Neofaschisten bewerten werden, ist offen, zumal weitere Unsicherheiten über das Verhalten von Italien in der EU und in Bezug auf den Ukrainekrieg wahrscheinlich sein dürften. Es ist deshalb verständlich, dass Präsident Mattarella versucht, eine Regierung unter Draghis Führung am Leben zu erhalten, vorgezogene Neuwahlen zu vermeiden und zu hoffen, dass bis zu den regulären Parlamentswahlen im Frühjahr 2023 die gemäßigten politischen Kräfte vor den Neofaschisten liegen werden.

Der Euro-Raum steht am Beginn einer neuen Krise

Unabhängig von einer sich andeutenden politischen Machtverschiebung in Italien und unabhängig von der Frage, ob Mario Draghi Ministerpräsident Italiens bleiben wird, könnte Italien jedoch aufgrund seines Zinsspreads zum ersten Streitfall in der jetzt beginnenden neuen Euro-Krise werden. Der Euro-Raum steht am Beginn einer neuen Krise, weil die nördlichen Euro-Länder eine strikte und konsequente Inflationsbekämpfung befürworten, während die südlichen Euro-Länder – und vornehmlich Italien, aber auch Frankreich – deutliche und dauerhafte Zinserhöhungen durch die EZB und die Einstellung von Anleihekaufprogrammen wegen der hohen Staatsschuldenstände fürchten. Dieser Interessengegensatz wird sich nicht dauerhaft unterdrücken lassen.

Und selbst falls das von der EZB geplante Antifragmentierungs-Instrument, das die EZB am 21. Juli 2022 vorstellen will, von den Finanzmärkten als geeignet eingestuft werden sollte, dürfte dieses Instrument lediglich eine kurze Verschnaufpause bedeuten. Denn wie auch immer dieses Instrument ausgeschaltet sein mag, die EZB kann letztlich nicht gleichzeitig die Staatsschuldentragfähigkeit erleichtern und durch eine restriktivere Geldpolitik die Inflation bekämpfen.

Eine schnelle und wirksame Inflationsbekämpfung ist insbesondere im Euroraum nur möglich, wenn vorab die Eurostaaten schnell entschuldet werden. Noch will in der Politik der meisten Euroländer und im Präsidium der EZB niemand diese Notwendigkeit eingestehen. Der Fall Italien zeigt jedoch besonders eindrücklich, dass an einer schnellen Entschuldung der Euro-Staaten kein Weg vorbeiführt, wenn die Inflation wirksam bekämpft werden soll.

Sollte der Euro jedoch weiter an Wert verlieren, dann könnte sich vielleicht sowohl in Italien als auch in Deutschland und auch in anderen Euro-Ländern die Einsicht verbreiten, dass ein Abbau der Staatsverschuldung und eine Entschuldung der Eurozone in einem Schritt à la Chicago-Plan das gemeinsame Interesse sowohl der südlichen als auch der nördlichen Euro-Länder darstellt.

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Mario Draghi hat bis zum 20. Juli 2022 Zeit, die bisherige Koalition zu retten oder eine neue Regierung unter seiner Führung zu bilden. Die EZB stellt am 21. Juli 2022 ihr Antifragmentierungs-Instrument vor. Wenn alles gut geht, bleiben die Finanzmärkte ruhig. Der 20. und 21. Juli 2022 könnten aber auch die Daten der ersten Schlacht in der neuen Euro-Krise, an deren Beginn wir erst stehen, markieren. Hinter den Kulissen der EZB dürfte diese Schlacht jedoch bereits voll im Gange sein.

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