Die wirtschaftlichen Folgen des britischen EU-Ausstiegs könnten weitaus drastischer sein, als es die jüngsten Wirtschaftszahlen aus London vermuten lassen. Das geht aus einem Bericht des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) von dieser Woche hervor. Der britische Finanzminister Philip Hammond hatte bei der Vorstellung des Haushalts Mitte der Woche leicht nach unten korrigierte Wachstumsprognosen für die nächsten Jahre vorgestellt.
Betrachtet man die Prognosen aber über einen längeren Zeitraum, zeigt sich ein anderes Bild: Dem IW-Bericht zufolge sind die Wachstumserwartungen für das britische Bruttoinlandsprodukt im Zeitraum 2016 bis 2020 inzwischen um fünf Prozentpunkte niedriger als vor dem Brexit-Wahlkampf.
Die Prognose für das Wachstum der Firmeninvestitionen für den gleichen Zeitraum ist sogar um 30 Prozentpunkte eingebrochen, das entspricht knapp drei Vierteln des erwarteten Wachstums. Auch für die Konsumausgaben ergibt sich ein düsteres Bild - ihr erwarteter Anstieg verlangsamte sich ebenfalls um 5 Prozentpunkte. „Das ist zweifellos auch der Verunsicherung durch den Brexit zuzuschreiben“, heißt es in dem IW-Bericht.
Welche deutschen Branchen der Brexit treffen könnte
Jedes fünfte aus Deutschland exportierte Auto geht laut Branchenverband VDA ins Vereinigte Königreich. Präsident Matthias Wissmann warnte daher vor Zöllen, die den Warenverkehr verteuerten. BMW etwa verkaufte in Großbritannien 2015 rund 236 000 Autos - über 10 Prozent des weltweiten Absatzes. Bei Mercedes waren es 8 Prozent, bei VW 6 Prozent. BMW und VW haben auf der Insel zudem Fabriken für ihre Töchter Mini und Bentley. Von „deutlich geringeren Verkäufen“ in Großbritannien nach dem Brexit-Votum berichtete bereits Opel. Der Hersteller rechnet wegen des Entscheids 2016 nicht mehr mit der angepeilten Rückkehr in die schwarzen Zahlen.
Für die deutschen Hersteller ist Großbritannien der viertwichtigste Auslandsmarkt nach den USA, China und Frankreich. 2015 gingen Maschinen im Wert von 7,2 Milliarden Euro auf die Insel. Im vergangenen Jahr liefen die Geschäfte weniger gut. In den ersten zehn Monaten 2016 stiegen die Exporte nach Großbritannien dem Branchenverband VDMA zufolge um 1,8 Prozent gemessen am Vorjahr. 2015 waren sie aber noch um 5,8 Prozent binnen Jahresfrist gewachsen. Mit dem Brexit sei ein weiteres Konjunkturrisiko für den Maschinenbau dazugekommen, sagte VDMA-Präsident Carl Martin Welcker im Dezember.
Die Unternehmen fürchten schlechtere Geschäfte wegen des Brexits. Der Entscheid habe bewirkt, dass sich das Investitions- und Konsumklima in Großbritannien verschlechtert habe, sagte jüngst Kurt Bock, Präsident des Branchenverbands VCI. Für die deutschen Hersteller ist Großbritannien ein wichtiger Abnehmer gerade von Pharmazeutika und Spezialchemikalien. 2016 exportierten sie Produkte im Wert von 12,9 Milliarden Euro ins Vereinigte Königreich, rund 7,3 Prozent ihrer Gesamtexporte.
Für Elektroprodukte „Made in Germany“ ist Großbritannien der viertgrößte Abnehmer weltweit. 2015 exportierten deutsche Hersteller laut Branchenverband ZVEI Waren im Wert von 9,9 Milliarden Euro in das Land, 9,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Im vergangenen Jahr liefen die Geschäfte mit dem Vereinigten Königreich nicht mehr so gut. Nach zehn Monaten verzeichnet der Verband ein Plus bei den Elektroausfuhren von 1,7 Prozent gemessen am Vorjahr. Grund für die Eintrübung seien nicht zuletzt Wechselkurseffekte wegen des schwachen Pfunds, sagte Andreas Gontermann, Chefvolkswirt des ZVEI.
Banken brauchen für Dienstleistungen in der EU rechtlich selbstständige Tochterbanken mit Sitz in einem EU-Staat. Derzeit können sie grenzüberschreitend frei agieren. Mit dem Brexit werden Barrieren befürchtet. Deutsche Geldhäuser beschäftigten zudem Tausende Banker in London, gerade im Investmentbanking. Die Deutsche Bank glaubt indes nicht, dass sie ihre Struktur in Großbritannien „kurzfristig wesentlich“ ändern muss. Die Commerzbank hat ihr Investmentbanking in London schon stark gekürzt. Um viel geht es für die Deutsche Börse. Sie will sich mit dem Londoner Konkurrenten LSE zusammenschließen. Der Brexit macht das Projekt noch komplizierter.
Grundlage für diese Einschätzung sind Zahlen des Office for Budget Responsibility, einer unabhängigen britischen Behörde. Die IW-Experten nahmen Zahlen vom Herbst 2015 - aus der Zeit vor dem Referendumswahlkampf - zur Grundlage ihrer Berechnungen. Damals waren die Experten noch weit optimistischer, was die Entwicklung der britischen Wirtschaft angeht. Doch das hat sich seitdem geändert. Die Wachstumsperspektiven seien dem IW-Papier zufolge seitdem immer weiter zurückgenommen worden.
„Der Brexit schwächt also schon in Gegenwart und naher Zukunft die ehemals so starke britische Wirtschaft“, heißt es dort. Es ändere auch nichts, dass der Wachstumseinbruch für die unmittelbare Zeit nach dem Brexit-Votum geringer war als befürchtet. Befürworter eines britischen EU-Austritts hatten sich bereits in der Ansicht bestätigt gesehen, dass Warnungen vor den wirtschaftlichen Folgen des EU-Ausstiegs übertrieben gewesen seien. Stimmt nicht, sagen nun die IW-Experten.