IWF relativiert Neoliberalismus-Kritik Zurück auf Kurs

„Neoliberalism: Oversold?“, titelte der IWF vergangene Woche in seinem Magazin „Finance & Development“ und sorgte damit bei vielen für helle Überraschung. Nun rudert IWF-Chefökonom Maurice Obstfeld zurück – teilweise.

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Lange galt der IWF als Bastion marktradikaler Angebotsdogmatiker. Das hat sich geändert. Quelle: dpa

Washington Der Internationale Währungsfonds hat ein Imageproblem, seit Jahren schon. Er gilt als finstere Finanzmacht, die notleidendenden Staaten eine neoliberale Reformagenda aufzwingt, den „Washington Consensus“: Privatisierungen, Deregulierungen, Sparprogramme und offene Kapitalmärkte. So komme die Geldelite auf ihre Kosten, behaupten Globalisierungsgegner, während einfache Bürger die Zeche zahlten.

Mit der Wirklichkeit hat dieses Zerrbild wenig zu tun, den internen Wandel des IWF lässt es völlig außer Acht. Eine Bastion marktradikaler Angebotsdogmatiker ist der Währungsfonds schon lange nicht mehr. Spätestens seit der Finanzkrise ist der Neokeynesianismus zur dominanten ökonomischen Strömung innerhalb des IWF geworden. Nach und nach verabschiedete sich der Fonds von alten Glaubensgewissheiten. Er setzte sich nicht nur selbstkritisch mit dem gescheiterten Rettungsprogramm für Griechenland auseinander, er warnte auch generell vor übertriebenem Spareifer. Selbst Kapitalkontrollen, einst pauschal als Effizienzhindernisse erachtet, seien unter bestimmten Umständen ratsam, schlussfolgert der IWF inzwischen.

Dennoch war es überraschend, dass der IWF vergangene Woche in seinem Magazin „Finance & Development“ titelte: „Neoliberalism: Oversold?“. Überraschend, weil provokante Überschriften nicht Sache einer Institution sind, deren Publikationen normalerweise Wischi-Waschi-Titel tragen wie: „Navigating Monetary Policy Challenges and Managing Risks“ und „Sustaining the Recovery“. Überraschend aber auch, weil sich der IWF mit Neoliberalismus einen Kampfbegriff der Globalisierungsgegner zu eigen machte.

Der Magazinbeitrag wurde intern und extern kontrovers diskutiert. Nun rudert der IWF zurück – zumindest teilweise. In einem vom IWF selbst geführten Interview präzisiert Chefökonom Maurice Obstfeld, was sich hinter der Neujustierung des Fonds verbirgt – und was nicht. Der Artikel sei „weitgehend missverstanden“ worden, stellt Obstfeld klar. „Er bedeutet keine große Veränderung der Herangehensweise des Fonds.“


„Evolution, nicht Revolution“

Vielmehr versuche der IWF auf der Basis praktischer Erfahrungen und neuer Forschungserkenntnisse die Effektivität seiner Beratungsleistungen und Krisenreaktionsprogramme zu verbessern. „Ich würde den Prozess als Evolution beschreiben, nicht als Revolution“, sagt Obstfeld.

Vor allem die Debatte um die Sparpolitik greift Obstfeld heraus. Der Neoliberalismus-Artikel war teils so interpretiert worden, als würde der IWF eine Abkehr von seinen fiskalpolitischen Anpassungsprogrammen vorbereiten, die oft mit harten Sparauflagen verbunden sind. Dies sei keinesfalls der Fall, argumentiert Obstfeld, der Währungsfonds propagiere kein munteres Schuldenmachen: „Regierungen können nicht langfristig über ihre Verhältnisse leben, ohne zahlungsunfähig zu werden.“ Staatspleiten seien mit hohen Kosten für die Bürger verbunden, gerade für die ärmsten. „Das ist ein Fakt, keine ideologische Position“, hebt Obstfeld hervor.

Es gebe aber Grenzen, wie groß die Schmerzen seien können, die Volkswirtschaften erdulden können oder sollten: „In besonders schwierigen Fällen empfehlen wir daher Umschuldungen oder Schuldenerleichterungen, die es erfordern, dass die Gläubiger einen Teil der Kosten tragen.“

Damit spielt Obstfeld auf den Problemfall Griechenland an, das von den Europartnern zu Sparzielen gedrängt wird, die der IWF für unrealistisch hält. Der Fonds macht sich deshalb für einen Schuldennachlass stark.

Generell, betont Obstfeld, sei es die Aufgabe des IWF, Regierungen so zu beraten, dass sie ihre Fiskalpolitik auf eine Art und Weise gestalten, die „schlechte Ergebnisse“ verhindert. Dies könne im Einzelfall allerdings auch bedeuten, einem Staat zu empfehlen, auf „exzessive Budgeteinschnitte“ zu verzichten, „die kontraproduktiv für Wachstums-, Gerechtigkeits- und selbst fiskalische Ziele seien können“.

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