Jim O´Neill "Europa hat schlechte Aussichten"

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"Die EU hat gegenüber Russland Fehler gemacht"

Russland muss zudem noch ein weiteres Problem lösen: Das Land leidet unter den Wirtschaftssanktionen, die aufgrund des Ukraine-Konflikts verhängt wurden. Wie bewerten Sie die Strafmaßnahmen des Westens?

Ich bin da hin und her gerissen. Zunächst einmal: Ich finde, dass die EU eine Vielzahl von strategischen Fehlern gemacht hat. Der Westen hätte früher erahnen müssen, wie sensibel Moskau auf die Osterweiterung der NATO reagiert und wie wichtig geopolitisch die Ukraine für Russland ist. Obwohl Russland Mitglied der G8 ist, wurde das Land nicht als gleichberechtigter Partner betrachtet. Weil wir die russische Führung nicht wertgeschätzt und verstanden haben, ist die Lage eskaliert.

Russland hat die Krim annektiert und fast einen ukrainischen Bürgerkrieg entfacht.

Dazu komme ich noch. Ich finde aber wichtig, zunächst die Hintergründe des russischen Handelns zu benennen. Der Westen hat Russland unnötig unter Zugzwang gesetzt. Darauf hat Moskau falsch reagiert. Natürlich geht es nicht, dass ein Land das Völkerrecht missachtet und die Souveränität von Staaten, in diesem Fall das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine, ignoriert. Sanktionen sind demzufolge verständlich und nachvollziehbar. Allerdings: Wenn beide Seiten Besserung wollen, müssen wir einander zuhören. Nur so ist der Konflikt zu lösen.

Putins Folterwerkzeuge im Sanktionskrieg

Würden Sie Unternehmen unter diesen Umständen raten, sich in Russland zu engagieren?

Ich würde im Moment raten, abzuwarten und zu schauen, wie sich der Konflikt entwickelt. Russland hat – wir haben es besprochen – große strukturelle Probleme. Andererseits: Russische Unternehmen sind derzeit sehr günstig und vielleicht eine Einstiegschance in einen attraktiven Markt der Zukunft.

Die Ukraine-Krise ist derzeit nur eines von vielen politischen Konfliktfeldern. Die Terrormilizen der IS bedrohen die Konjunktur, der gesamte Nahe Osten droht zu implodieren. Müssen die BRICs-Staaten mehr politische Verantwortung übernehmen?

Darüber könnte man stundenlang diskutieren. Wirtschaftlich scheinen die Staaten mehr Verantwortung übernehmen zu wollen. Das zeigen zum Beispiel die Überlegungen, eine Entwicklungsbank in Konkurrenz zur Weltbank zu gründen. Darüber hinaus haben sich die vier Staaten untereinander auf Handelserleichterungen geeinigt und gemeinsame Strategien in außen- und umweltpolitischen Themen erarbeitet. Ich glaube, die BRIC-Staaten sind bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen.

Gilt das denn nur für Themen, die den eigenen Interessen der Länder dienen – oder auch bei teuren, unpopulären, aber notwendigen Politikfeldern wie dem Kampf gegen IS?

Zunächst wollen die Staaten Einfluss auf die wirtschaftspolitischen Diskussionen nehmen. Das steht sicherlich im Vordergrund. Das lässt der Westen, insbesondere die USA, nicht zu. Der IWF hat schon 2010 beschlossen, den Schwellenländern mehr Stimmenrechte zu geben, Washington blockiert das. Wenn wir nicht bereit sind, den BRICs-Staaten hier mehr Macht zu geben, werden sie sich sicher nicht mit Verve in den Kampf gegen die IS-Milizen stürzen. Die Haltung von Brasilien, Russland, Indien und China ist klar: Erst mehr Mitsprache im IWF und dann erst können wir über politisches Engagement sprechen.

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