WirtschaftsWoche: Mister O’Neill, Sie haben 2001 in einem Aufsatz erstmals die vier Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien und China als BRIC-Staaten zusammenfasst und ihnen ein Jahrzehnt hoher Wachstumszahlen vorhergesagt. Wie sicher waren Sie sich, dass Ihr Tipp hinhauen würde?
Jim O‘Neill: Jedenfalls nicht so sicher, dass ich mein Haus und Hof darauf verwettet hätte! Ich habe die Studie nach den Terroranschlägen vom 11. September verfasst. Mir war damals klar, dass die Welt nicht weiter so bestehen würde wie bisher. Dass sich etwas ändern würde, auch wirtschaftlich. Wenn die Globalisierung weiter Erfolg haben sollte, durfte sie nicht unter westlicher Dominanz daherkommen. Also habe ich mich an die Arbeit gemacht und mir die größten unterentwickelten Länder, heute sagen wir Schwellenländer, angeschaut.
Das waren die vier BRIC-Staaten?
Ja. China und Indien waren gesetzt als einzige Länder, die mehr als eine Milliarde Einwohner haben. Dazu Brasilien, das bevölkerungsreichste Land Südamerikas und Russland, das größte Land – sowohl nach Fläche als nach Einwohnern – zwischen Atlantik und Uralgebirge. Die Länder haben sich quasi von selbst ergeben.
Zur Person
Terence James, genannt „Jim“, O'Neill ist 57 Jahre alt. Bis April 2013 arbeitete der Brite für die US-Bank Goldman Sachs. Als oberster Vermögensverwalter der Investmentbank betreute er bis zu 800 Milliarden Dollar Kundengelder. Bekannt wurde O’Neill durch einen Aufsatz von 2001, in dem er die vier Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien und China als BRIC-Staaten zusammenfasste und ihnen erfolgreiche Wirtschaftsjahre voraussagte. Das Akronym BRIC wurde später weltbekannt. Seit Anfang 2014 arbeitet er als Honorarprofessor an der Universität von Manchester und forscht für den Brüsseler Thinktank Bruegel.
Das klingt einfach.
Es war einfach, ja! Aber nochmal: Ich hätte nicht gedacht, dass dieser Aufsatz eine derartige Wirkung haben würde. Hatte er auch nicht in den ersten Monaten, sondern erst, als es offizielle Schätzungen gab, dass die vier BRIC-Staaten zusammen ein höheres BIP erwirtschaften werden als die G7. Das wird irgendwann zwischen 2020 und 2030 sein. Und zwar nur, weil sich Brasilen, Russland, Indien und China im ersten Jahrzehnt nach der BRICs-Studie so gut geschlagen haben. Viel besser, als von uns erwartet und prognostiziert.
In den letzten Monaten und Jahren aber sind mindestens zwei – Brasilien und Russland – der vier Staaten abgestützt.
In den ersten zehn Jahren seit 2001 haben sich alle vier Staaten sensationell gut entwickelt. Inzwischen wächst Indien ganz okay, China immer noch beachtlich…
Zuletzt aber nur noch um 7,3 Prozent, so gering wie seit fünf Jahren nicht mehr.
Die Kritik an Chinas Wachstumszahlen ist lächerlich. Das Land hat eine enorme Entwicklung hingelegt und legt immer noch Zahlen vor, von denen fast alle Länder auf der Welt nur träumen können. Natürlich ist China erlahmt, das will ich gar nicht abstreiten. Experten, die – wie ich – das Land seit 20 oder mehr Jahren beobachten, sind von dem Rückgang aber nicht überrascht. Im Gegenteil: China ist in der zweiten Dekade seit 2001 deutlich stärker gewachsen, als ich damals vermutet habe. Das gilt für kein zweites Land.
Die BRIC-Staaten schwächeln
BIP-Wachstum 2010: 10,4 Prozent
BIP-Wachstum 2013 (Prognose): 7,8 Prozent
Quelle: IWF
BIP-Wachstum 2010: 11,2 Prozent
BIP-Wachstum 2013 (Prognose): 5,6 Prozent
BIP-Wachstum 2010: 4,5 Prozent
BIP-Wachstum 2013 (Prognose): 2,5 Prozent
BIP-Wachstum 2010: 7,5 Prozent
BIP-Wachstum 2013 (Prognose): 2,5 Prozent
Zurück zu Brasilien und Russland. Warum sind diese beiden Länder zuletzt abgestürzt?
Brasilien und Russland haben sich enttäuschend entwickelt. Beide Märkte sind – abgesehen von politischen Schwierigkeiten – extrem abhängig von Rohstoffexporten. Bei Brasilien sind das hauptsächlich Sojaprodukte, Fleisch und Zucker, aber auch Eisenerz. Bei Russland wie bekannt Öl und Gas. Durch die Preisstürze an den Rohstoffmärkten haben sich die Probleme der Länder vergrößert und die Wachstumsaussichten verschlechtert.
Sowohl die Regierung in Brasilia, als auch die Putin-Administration in Moskau müssen die Attraktivität des Landes für ausländische Investoren steigern, ihre Produktivität erhöhen und ihre Arbeitskräfte qualifizieren – kurzum: die Wettbewerbsfähig steigern.
"Die EU hat gegenüber Russland Fehler gemacht"
Russland muss zudem noch ein weiteres Problem lösen: Das Land leidet unter den Wirtschaftssanktionen, die aufgrund des Ukraine-Konflikts verhängt wurden. Wie bewerten Sie die Strafmaßnahmen des Westens?
Ich bin da hin und her gerissen. Zunächst einmal: Ich finde, dass die EU eine Vielzahl von strategischen Fehlern gemacht hat. Der Westen hätte früher erahnen müssen, wie sensibel Moskau auf die Osterweiterung der NATO reagiert und wie wichtig geopolitisch die Ukraine für Russland ist. Obwohl Russland Mitglied der G8 ist, wurde das Land nicht als gleichberechtigter Partner betrachtet. Weil wir die russische Führung nicht wertgeschätzt und verstanden haben, ist die Lage eskaliert.
Russland hat die Krim annektiert und fast einen ukrainischen Bürgerkrieg entfacht.
Dazu komme ich noch. Ich finde aber wichtig, zunächst die Hintergründe des russischen Handelns zu benennen. Der Westen hat Russland unnötig unter Zugzwang gesetzt. Darauf hat Moskau falsch reagiert. Natürlich geht es nicht, dass ein Land das Völkerrecht missachtet und die Souveränität von Staaten, in diesem Fall das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine, ignoriert. Sanktionen sind demzufolge verständlich und nachvollziehbar. Allerdings: Wenn beide Seiten Besserung wollen, müssen wir einander zuhören. Nur so ist der Konflikt zu lösen.
Putins Folterwerkzeuge im Sanktionskrieg
Der Kreml droht damit, den Import westlicher Pkw nach Russland einzuschränken. Der russische Markt ist aber schon länger in der Krise. 2013 exportierten deutsche Hersteller 132 000 Fahrzeuge nach Russland - im Jahr davor waren es noch knapp 157 000. Bei Volkswagen liegt der Konzernabsatz in Russland nach zwei Dritteln des Jahres 12 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Unabhängig von den Sanktionen sagt ein VW-Insider: „Der Markt fliegt uns ganz schön um die Ohren.“ Die Sanktionen könnten jene Hersteller teils schonen, die in Russland in eigenen Fabriken produzieren. Der Duisburger Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer hält Importverbote deshalb für verkraftbar: „Nahezu alle wichtigen deutschen Autobauer wie VW, Opel-Chevrolet, Ford, BMW, Daimler Nutzfahrzeuge sind mit Werken in Russland vertreten.“ Der Präsident des Branchenverbands VDA, Matthias Wissmann, aber rät zum Blick über den Tellerrand: Das Thema drücke auf die Psychologie der internationalen Märkte.
Macht Moskau ernst und den Luftraum für westliche Airlines über Sibirien dicht, wäre das ein harter Schlag. Genau das hat Russlands Regierungschef Dmitri Medwedew im Sinn: „Wenn westliche Gesellschaften unseren Luftraum meiden müssen, kann das zum Bankrott vieler Fluggesellschaften führen, die schon jetzt ums Überleben kämpfen.“ Beispielsweise müssten die großen europäischen Airlines Air France-KLM, British Airways oder Lufthansa, die über Sibirien nach Asien fliegen, auf längere Routen ausweichen. Das kostet Treibstoff, Besatzungen müssen länger arbeiten. Experten gehen von etwa 10 000 Euro Mehrkosten pro Flug aus. Dies dürfte nicht ohne Folgen auf die Ticketpreise bleiben, von längeren Flugzeiten für die Kunden ganz zu schweigen. Aber: Bisher päppelte Moskau mit den Einnahmen von über 200 Millionen Euro pro Jahr aus den Überflugrechten die Staatsairline Aeroflot auf. Lachender Dritter wären wohl die Chinesen. Sie könnten dank des Sibirien-Kostenvorteils die Europäer im lukrativen Asiengeschäft noch mehr ärgern.
Bei Lebensmitteln machte Putin bereits ernst und verhängte Anfang August einen Importstopp, weil ihm erste EU-Sanktionen nicht schmeckten. Die 28 EU-Staaten, die USA, Australien, Kanada und Norwegen dürfen für ein Jahr Fleisch, Fisch, Milch, Obst und Gemüse nicht mehr einführen. Einzelne Agrarländer wie Griechenland trifft das hart. Für die deutsche Agrarbranche sind die Folgen überschaubar, sagt Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU). Um Verwerfungen im EU-Markt wegen des Überangebots zu verhindern, rief Schmidt die Verbraucher auf, mehr heimisches Obst und Gemüse zu essen: „One apple a day keeps Putin away“ (Ein Apfel am Tag hält Putin fern). Nun kündigt Moskau an, auch Produkte der Textilindustrie auf den Index zu setzen. Details sind aber unklar.
Hier hält Putin die ultimative „Waffe“ in der Hand. Dreht er den Gashahn zu, hätte Europa ein Problem. Grund zur Panik besteht aber nicht. Die Gasspeicher sind randvoll (Deutschland: 91,5 Prozent, EU-weit: 90), die Vorräte dürften zumindest in Deutschland, das seinen Gasbedarf zu mehr als ein Drittel aus Russland deckt, bis zum Frühjahr reichen. Das Baltikum und Finnland sind aber zu 100 Prozent von russischen Gasimporten abhängig, viele südosteuropäische Länder hängen auch am Gazprom-Tropf. Die Bundesregierung geht davon aus, dass Putin liefertreu bleibt, nicht auf die Export-Milliarden verzichten kann. Die knallharte Entscheidung der EU, die russischen Energieriesen Gazprom Neft, Rosneft, Transneft sowie Rüstungsfirmen jetzt vom europäischen Kapitalmarkt abzuschneiden, dürfte Putin aber mächtig reizen. Polen meldet, Gazprom liefere weniger Gas als vereinbart - was der Monopolist von Putins Gnaden bestreitet.
Würden Sie Unternehmen unter diesen Umständen raten, sich in Russland zu engagieren?
Ich würde im Moment raten, abzuwarten und zu schauen, wie sich der Konflikt entwickelt. Russland hat – wir haben es besprochen – große strukturelle Probleme. Andererseits: Russische Unternehmen sind derzeit sehr günstig und vielleicht eine Einstiegschance in einen attraktiven Markt der Zukunft.
Die Ukraine-Krise ist derzeit nur eines von vielen politischen Konfliktfeldern. Die Terrormilizen der IS bedrohen die Konjunktur, der gesamte Nahe Osten droht zu implodieren. Müssen die BRICs-Staaten mehr politische Verantwortung übernehmen?
Darüber könnte man stundenlang diskutieren. Wirtschaftlich scheinen die Staaten mehr Verantwortung übernehmen zu wollen. Das zeigen zum Beispiel die Überlegungen, eine Entwicklungsbank in Konkurrenz zur Weltbank zu gründen. Darüber hinaus haben sich die vier Staaten untereinander auf Handelserleichterungen geeinigt und gemeinsame Strategien in außen- und umweltpolitischen Themen erarbeitet. Ich glaube, die BRIC-Staaten sind bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen.
Gilt das denn nur für Themen, die den eigenen Interessen der Länder dienen – oder auch bei teuren, unpopulären, aber notwendigen Politikfeldern wie dem Kampf gegen IS?
Zunächst wollen die Staaten Einfluss auf die wirtschaftspolitischen Diskussionen nehmen. Das steht sicherlich im Vordergrund. Das lässt der Westen, insbesondere die USA, nicht zu. Der IWF hat schon 2010 beschlossen, den Schwellenländern mehr Stimmenrechte zu geben, Washington blockiert das. Wenn wir nicht bereit sind, den BRICs-Staaten hier mehr Macht zu geben, werden sie sich sicher nicht mit Verve in den Kampf gegen die IS-Milizen stürzen. Die Haltung von Brasilien, Russland, Indien und China ist klar: Erst mehr Mitsprache im IWF und dann erst können wir über politisches Engagement sprechen.
"Indien hatte nie bessere Chancen als heute"
Würde sich der Vertrauensvorschuss des Westens denn lohnen, wenn er zunächst den Schwellenländern entgegenkommt? China fällt im UN-Sicherheitsrat nicht gerade durch nachhaltige und rationale Politik auf.
Wir werden es nie wissen, wenn wir ihnen nicht mehr Macht geben. Ich verstehe, dass Menschen skeptisch gegenüber den Schwellenländern sind, die oftmals eine andere politische Kultur und Regierungsform – und damit auch andere Interessen haben. Aber Fakt ist: Wenn Länder wie China weiter so wachsen und keine relevante Stimme in Organisationen wie dem IWF oder der Weltbank bekommen, wird deren Macht schwinden – und nicht Chinas Position.
Wir haben viel über China gesprochen. Hat das Land die besten Aussichten der vier BRICs-Staaten?
China befindet sich derzeit von den vier relevanten Schwellenländern in der besten Verfassung. Ihr Vorsprung ist enorm. Allerdings: Ich bin sehr optimistisch, dass sich Indien unter dem neuen Premier Narendra Modi gut entwickeln wird. Indien hatte nie bessere Chancen, als heute!
Das ist eine starke Aussage.
Das ist es ja. Aber sehen Sie: Das Land hat wirklich die Chancen, sein enormes Potenzial endlich auszuschöpfen. In den letzten 20 Jahren hat die indische Politik sehr schlecht gewirtschaftet. Viele Politiker haben sich verzettelt mit Blick auf die vielen Herausforderungen und den unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten. Ich habe oft im Scherz gesagt: Indien und Europa haben eines gemeinsam – sie sind beide unmöglich zu regieren. Unter Modi ändert sich das gerade. Das Land hat fantastische Perspektiven. Ich prognostiziere Ihnen: In der zweites Hälfte dieses Jahrzehnts wird Indien stärker wachsen als China.
In der deutschen Öffentlichkeit wird Indien kaum wahrgenommen. Unterschätzen wir das Land?
Kommentatoren tun das, ja. Vielleicht auch Politiker. Die Märkte aber nicht. Der indische Aktienmarkt hatte bisher ein fantastisches Jahr, auch die Rupie hat deutlich aufgewertet. Deutsche Politiker und Unternehmen sollten Indien nicht ignorieren. Es bietet große Chancen. Alle Produkte, die die Deutschen so erfolgreich nach China verkauft haben, könnten sie schon bald in Indien absetzen. Indien wird das neue China. Die Urbanisierung, die wir erleben, erinnert mich an die Entwicklung Chinas vor 15 Jahren.
Die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen
China ist der nach Frankreich und den Niederlanden der größte Handelspartner Deutschlands. 2013 wurden Waren im Wert von mehr als 140 Milliarden Euro ausgetauscht. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) geht davon aus, dass China in etwa zehn Jahren zum Handelspartner Nummer eins aufsteigen wird.
Die Exporte nach China summierten sich 2013 auf rund 67 Milliarden Euro. Exportschlager sind Maschinen, Fahrzeuge und chemische Produkte. Für Unternehmen wie Audi ist China bereits der wichtigste Absatzmarkt.
Die Chinesen schickten 2013 Waren im Wert von gut 73 Milliarden Euro hierher und damit etwa viermal so viel wie 2000. Vor allem Computer, Handys und Elektronik liefert der Exportweltmeister nach Deutschland. Weitere Verkaufsschlager sind Bekleidung und elektrische Ausrüstungen.
Mehr als 26,5 Milliarden Euro haben deutsche Unternehmen bislang in China investiert. Etwa 4000 Firmen sind dort aktiv. Allein 2012 stiegen die deutschen Investitionen in der Volksrepublik um 28,5 Prozent auf 1,45 Milliarden Dollar. Umgekehrt zieht es immer mehr Chinesen nach Deutschland. 98 Unternehmen siedelten sich 2012 hierzulande neu an - China ist damit Auslandsinvestor Nummer drei, nach den USA und der Schweiz. 2000 Unternehmen sind inzwischen hier ansässig.
Welche Länder haben neben China und Indien beste Perspektiven?
Das sind vor allem die Länder, die in der MINT-Gruppe zusammengefasst werden, also Mexiko, Indonesien, Nigeria, Türkei. Bei drei von ihnen bin ich vom Erfolg überzeugt.
Lassen Sie mich raten: Skeptisch sind Sie einzig bei der Türkei?
Richtig. Da bin ich inzwischen besorgt und skeptisch. Das Land hat sich zuletzt negativ entwickelt, insbesondere politisch, und etwa die Fortschritte bei der wirtschaftlichen Freiheit zurückgenommen. Die Türkei hat ein riesiges Leistungsbilanzdefizit, die Währung ist auf Talfahrt. Ich erwarte dort keine riesigen Sprünge in absehbarer Zeit. Die Türkei wurde von einer ganzen Reihe von Ländern überholt. Etwa von Mexiko.
Was zeichnet das mittelamerikanische Land aus?
Die aktuelle mexikanische Regierung macht einfach einen tollen Job. Sie setzen die Reformen um, die Brasilien, Russland oder Europa bräuchten. Von der Bildung bis zum Energiesektor: alles wird unter die Lupe genommen und verbessert. Die mexikanische Administration ist die vielleicht reformfreudigste Regierung innerhalb der G20. Das ist wirklich sehr imposant.
"Europa leidet unter seinen uninspirierten Politikern"
Mexiko galt schon öfter als Geheimtipp für Investoren. Oft wurden die Erwartungen enttäuscht. Wieso sollte es dieses Mal anders sein?
Ich habe tatsächlich auch schon 2001 über Mexiko nachgedacht, mich dann aber auf die BRIC-Staaten konzentriert. Im Endeffekt bin ich sehr froh, Mexiko nicht mit in die Liste der attraktiven Schwellenländer aufgenommen zu haben. Das Land hat sich wirklich sehr schlecht geschlagen.
Nun aber hat die Politik wirklich einen ambitionierten Reformkurs eingeschlagen. Zudem produzieren bereits zahlreiche Unternehmen, insbesondere aus dem Automobilsektor, in Mexiko und machen dort sehr gute Erfahrungen. Kurzum: Jetzt könnte Mexikos Zeit gekommen sein.
Wissenswertes über Mexiko
Mexiko hat rund 120 Millionen Einwohner, wobei die Bevölkerung jährlich um 1,2 Prozent wächst. Der Anteil derer, die unter 54 sind, liegt bei fast 90 Prozent. Die junge Bevölkerung ist einer der großen Vorteile Mexikos.
Das nominale BIP beträgt 2014 1,28 Billionen US-Dollar. Bis 2015 soll es auf 1,36 Billionen ansteigen. Zum Vergleich: Das deutsche BIP betrug 2013 3,51 Billionen US-Dollar. Ein Drittel des BIPs wurde 2012 durch Bergbau und Industrie generiert, ein Fünftel durch Handel und Gastronomie.
Die mexikanische Wirtschaft wuchs in den letzten zehn Jahren (2004-2013) um durchschnittlich 2,6 Prozent. Besonders schwer wog die Finanzkrise. Wuchs die mexikanische Wirtschaft ansonsten stets um mindestens drei Prozent, wuchs sie 2008 nur noch um 1,4 Prozent und schrumpfte 2009 sogar um 4,7 Prozent. Seit 2010 sind die Wachstumsraten wieder relativ stabil bei rund vier Prozent.
Mexikos Staatsverschuldung beträgt 2014 42,2 Prozent des BIP.
Die Inflation liegt derzeit bei vier Prozent. Für 2015 gehen Analysten davon aus, dass sie auf 3,5 Prozent fällt.
Die Arbeitslosenquote lag 2013 bei rund fünf Prozent. 2014 soll sie auf 4,5 Prozent zurückgehen, 2015 auf 4,2 Prozent.
Der Durchschnittslohn betrug 2010 239 Mexikanische Peso pro Tag – das entspricht in etwa 14 Euro. 2012 stieg der Lohn auf knapp über 15 Euro – das entspricht etwa 300 Euro im Monat.
Neben Indien und Mexiko dürfen Sie jetzt noch ein drittes und letztes Land empfehlen. Welches wäre das?
Das ist gemein. Ich würde gerne Vietnam nennen, das von den steigenden Löhnen und dem Aufschwung des Renminbi profitiert und so eine Art Mini-China ist. Aber wenn ich nur noch einen Tipp habe, dann nehme ich lieber Nigeria. Von dem Land bin ich Fan geworden. Europäer sind sehr skeptisch gegenüber afrikanischen Behörden und Politikern. Aber hey: Nigeria hat sich erfolgreich gegen die Ebola-Epidemie zur Wehr gesetzt. Es kann also Krisen meistern. Zudem spricht die fantastische Demografie für das Land. 15 Prozent aller Afrikaner leben in Nigeria, die Mehrzahl ist sehr jung. Der Aufschwung des Landes ist bereits zu spüren: Die Mittelklasse wächst, auch wenn deren Anteil an der Bevölkerung noch relativ gering ist. Dennoch: Nigeria hat eine tolle Perspektive und ist für die Weltkonjunktur viel wichtiger als etwa Südafrika.
Last but least: Wie sehen Sie Europa Rolle in der Welt?
Der Kontinent ist auf dem absteigenden Ast. Im letzten Jahrzehnt ist Europa um 0,2 Prozent gewachsen, zuletzt immerhin um 1,5 Prozent. Viel mehr ist nicht drin: Die Demografie ist sehr schlecht, die Produktivität viel zu gering und die Politik völlig uninspiriert. Der letzte Punkt gilt im Übrigen auch für Deutschland. Ich hoffe, dass die Reformpolitik des vergangenen Jahrzehnts nicht nivelliert wird. Zuletzt hat die Regierung von Angela Merkel definitiv die falsche Richtung eingeschlagen. Europa hat so schlechte Aussichten. Aber ich betone: Das muss nicht zwangsläufig so sein.
Wie könnte der Abstieg abgemildert werden?
Europa braucht einen Politikwechsel. Berlin, Paris und erst Recht Brüssel sind uninspiriert. In Sonntagsreden wird immer vom europäischen Binnenmarkt gefaselt – aber den gibt es gar nicht. Wer von einem Land ins andere zieht, muss fürchten, doppelt besteuert zu werden oder Ärger mit seiner Sozial- und Krankenversicherung zu bekommen. Wer einen Pkw im EU-Ausland kauft oder beim Umzug in ein anderes EU-Land einen Pkw mitbringt, hat häufig Schwierigkeiten bei der Zulassung oder muss Zölle oder zusätzliche Steuern zahlen. Das alles bedarf einer Überarbeitung. Und zudem – das ist nichts Neues – muss Europa die Herausforderung wahrnehmen, global konkurrenzfähig zu sein. Das ist es derzeit bei Weitem nicht.
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