John Maynard Keynes Versöhner für die Arbeitslosen

Seite 3/4

Keynes ökonomische Grundideen zu Zeiten der Lehman-Pleite

John Maynard Keynes hat nicht nur mit- sondern vorausgedacht Quelle: dapd

Doch die Weltwirtschaftskrise lehrte etwas anderes. Die Unternehmen reagierten auf die wegbrechende Nachfrage mit drastischen Produktionskürzungen und Entlassungen. Preise und Löhne sanken zwar – doch die Rückkehr zum Gleichgewicht blieb aus. Stattdessen reduzierten die niedrigeren Löhne die Kaufkraft der Arbeitnehmer, bremsten den Konsum und veranlassten die Unternehmen zu weiteren Produktionskürzungen. Die Abwärtsspirale beschleunigte sich.

Keynes sah daher „keinen Grund für die Annahme, dass flexible Löhne in der Lage sind, nachhaltig Vollbeschäftigung herzustellen.“ Das Wirtschaftssystem, so urteilte er, könne so nicht wieder ins Gleichgewicht kommen. Entscheidend für die Beschäftigung sei vielmehr die effektive Nachfrage auf dem Gütermarkt. Keynes stellte so eine Verbindung zwischen Güter- und Arbeitsmarkt her, die die Klassiker nicht kannten.

Weil die Konsumausgaben langsamer zulegten als die Einkommen, neige die Wirtschaft trotz wachsenden Wohlstands zur Nachfrageschwäche. Aus diesem „fundamental-psychologischen Gesetz“ (das der US-Nobelpreisträger Milton Friedman später empirisch widerlegte) leitete Keynes die Schlussfolgerung ab, der Staat müsse die Nachfrage künstlich stützen.

Keynes Liquiditätsfalle

In der Folge stiegen die Produktion, die Beschäftigung, das Einkommen und der Konsum. Es entstehe ein Multiplikatoreffekt, der das volkswirtschaftliche Gesamteinkommen über den ursprünglichen Nachfrageimpuls hinaus erhöht. Der Effekt falle umso kräftiger aus, je größer der Konsumanteil am Einkommen ist. Keynes ging davon aus, dass Unternehmen investieren, wenn der Zinssatz für den Kredit zum Kauf einer Anlage niedriger ist als die „Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals“. Darunter verstand er die erwartete Rendite einer Maschine. Sinkt der Kreditzins unter die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals, lohnt sich die Investition. In einer Krise kommt es laut Keynes daher darauf an, die Investitionen durch sinkende Zinsen anzukurbeln. Die Zentralbank müsse die Geldmenge ausweiten und die Zinsen nach unten drücken. Allerdings, so konstatierte Keynes, gibt es Situationen, in denen dies misslingt. (siehe Grafik links, zum vergrößern anklicken)

Erstens könne es sein, dass „eine große Zunahme der Geldmenge so viel Ungewissheit über die Zukunft verursacht, dass die Vorlieben für Liquidität aus dem Sicherheitsmotiv verstärkt werden“. Statt das Geld für den Kauf von Staatsanleihen zu verwenden, was den Kapitalmarktzins nach unten drückt, horten die Bürger es – die Wirtschaft steckt in der Liquiditätsfalle.

Zwar relativierte Keynes die Bedeutung seiner Erkenntnisse. „Dieser Grenzfall mag in der Zukunft praktische Relevanz erlangen, bisher kenne ich dafür allerdings kein Beispiel“, schrieb er. Doch mehr als 70 Jahre später, nach der Pleite der Lehman-Bank, trat dieser Grenzfall ein. Die Banken verloren das Vertrauen untereinander und horteten ihr Geld bei der Zentralbank, statt es anderen Banken als Kredit zur Verfügung zu stellen. Die Liquidität verknappte sich, der Zins schoss nach oben und verharrte lange auf erhöhtem Niveau. Die Keynes’sche Liquiditätsfalle schnappte zu.

"In the long run, we are all dead"

Ein zweites Problem kann Keynes zufolge entstehen, wenn der Zins infolge der Geldmengenausweitung zwar sinkt, aber „die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals rascher als der Zinsfuß fällt“. Gründe dafür können zunehmender Pessimismus und sinkende Absatzerwartungen der Unternehmen sein. Dann kann auch ein niedriger Kreditzins die Betriebe nicht zu Investitionen in Maschinen und Anlagen veranlassen. Die Wirtschaft befindet sich in der Investitionsfalle.

In beiden Extremsituationen kann nur die Regierung der Wirtschaft aus der Krise helfen. Dazu muss der Staat als Investor auftreten, zum Beispiel im Bausektor, und dies mit Krediten oder Steuern finanzieren. Die Kritik, der Markt könne sich langfristig selbst helfen, konterte Keynes mit dem Satz: „In the long run, we are all dead.“
Die wohl populärste Darstellung der Keynes’schen Theorie stellt das IS-LM-Modell dar, das seinen festen Platz in den Lehrbüchern der Volkswirtschaftslehre hat (siehe Grafik). Allerdings stammt es nicht von Keynes selbst, sondern von dem britischen Ökonomen John Hicks, der sich 1937 an einer Interpretation der „Allgemeinen Theorie“ versucht hat. Das Modell definiert die Kombination von Zins und Volkseinkommen, bei der sich Güter- und Geldmarkt im Gleichgewicht befinden. Auf dem Gütermarkt herrscht Gleichgewicht, wenn die zinsabhängigen Investitionen (I) der einkommensabhängigen Ersparnis (S) entsprechen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%